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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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der letzten Jahre auf dem Gebiet des musikalischen Schaffens. Bei einem Blick
auf unser Musikleben haben wir es aber nicht nUr mit den Musikern und
ihren Werken, sondern auch mit denen zu thun, welche sie kennen lernen, hören
und genießen sollen, für welche die Musik gemacht wird. Wenn früher ins'
gemein besonders an den Höfen der Fürsten und auf den Schlössern reicher
Edelleute die Musik gehegt wurde, so hat sich das jetzt allgemach sehr umge¬
wandelt. Die Liebhaberei der deutschen Fürsten hat sich meist dem Theater
und da wieder vielfach dem Ballet zugewendet; voll den Opern werden aus
unsern Hoftbeatern mit Vorliebe diejenigen gegeben, welche weniger durch ihre
Musik als durch glänzende Ausstattung zu wirken versprechen.

So hat sich die Musik in die Familie, die Vereine geflüchtet und wir
empfinden es mit Stolz, daß nicht wenige deutsche Städte die Erbschaft der
Fürstenhöfe übernommen und mit dem anvertrauten Pfunde gewissenhaft zu
arbeiten verstanden haben. Leipzig besitzt in seinen Gewandhausconcerten ein
Musikinstilut, welches, lediglich von Privaten geleitet, über nicht unbedeutende
Mittel gebietet, und welches auf eine lange ehrenvolle Wirksamkeit zurückblicken
kann, und ähnliche Einrichtungen finden sich jetzt in der Mehrzahl der größeren
deutschen Städte.

Es wird von Interesse sein, an dem Beispiel einer Stadt wie Leipzig
diese zweite Seite unsres Musiklebens näher ins Auge zu fassen. Die For¬
derungen, welche man von vornherein an ein solches Institut stellen kann, sind
bescheiden und bestehen, ganz abgesehen von dem Vorhandensein der nöthigen
künstlerischen Kräfte, erstlich in Räumlichkeiten, welche zweckentsprechend akustisch
und groß gebaut sind, so daß sie Raum bieten für die Orchester und Chorkräfte,
welche für größere Werke nöthig sind. Auch der Zuhörerraum muß so groß
sein, daß wenigstens die Mehrzahl derer, welche Interesse und Neigung zur
Musik dazu treiben, Platz darin finden kann. Hier wollen wir glei'es bemerken,
daß diese erste Forderung durch das leipziger Gewandhaus nicht erfüllt wird.
Daß das Orchester für die ausübenden Kräfte entschieden zu klein ist, werden
wir weiter unten noch zu berühren haben. Allein der Raum sür die Zuhörer
ist nicht weniger knapp bemessen. Denn um nichts zu sagen von der Schmal-"
heit der Sitze, der Gedrängtheit der Sitzreihen, so ist vor allem doch die That¬
sache zu constatiren, daß alle Sitzplätze gleich im Voraus und zu Anfang der
Saison vergeben und dadurch sehr Vielen der Zutritt verschlossen wird. So
lange die Billets auf die Person des Inhabers lauteten, mochte man sich gern
mit dieser Einrichtung versöhnen. Die Gesammtheit der Zuhörer bekam dadurch
einen etwas vertrauteren Charakter, der Einzelne stand in einer Art persön¬
lichen Verhältnisses zum Ganzen, und zu Mendelssohns Zeit erwarb sich dieses
so zusammengesetzte Publicum den Ruf einer feinsinnigen, strengen, aber gerechten
Zuhörerschaft. Man hat später aus Nothwendigkeit diese Einrichtung auf-


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der letzten Jahre auf dem Gebiet des musikalischen Schaffens. Bei einem Blick
auf unser Musikleben haben wir es aber nicht nUr mit den Musikern und
ihren Werken, sondern auch mit denen zu thun, welche sie kennen lernen, hören
und genießen sollen, für welche die Musik gemacht wird. Wenn früher ins'
gemein besonders an den Höfen der Fürsten und auf den Schlössern reicher
Edelleute die Musik gehegt wurde, so hat sich das jetzt allgemach sehr umge¬
wandelt. Die Liebhaberei der deutschen Fürsten hat sich meist dem Theater
und da wieder vielfach dem Ballet zugewendet; voll den Opern werden aus
unsern Hoftbeatern mit Vorliebe diejenigen gegeben, welche weniger durch ihre
Musik als durch glänzende Ausstattung zu wirken versprechen.

So hat sich die Musik in die Familie, die Vereine geflüchtet und wir
empfinden es mit Stolz, daß nicht wenige deutsche Städte die Erbschaft der
Fürstenhöfe übernommen und mit dem anvertrauten Pfunde gewissenhaft zu
arbeiten verstanden haben. Leipzig besitzt in seinen Gewandhausconcerten ein
Musikinstilut, welches, lediglich von Privaten geleitet, über nicht unbedeutende
Mittel gebietet, und welches auf eine lange ehrenvolle Wirksamkeit zurückblicken
kann, und ähnliche Einrichtungen finden sich jetzt in der Mehrzahl der größeren
deutschen Städte.

Es wird von Interesse sein, an dem Beispiel einer Stadt wie Leipzig
diese zweite Seite unsres Musiklebens näher ins Auge zu fassen. Die For¬
derungen, welche man von vornherein an ein solches Institut stellen kann, sind
bescheiden und bestehen, ganz abgesehen von dem Vorhandensein der nöthigen
künstlerischen Kräfte, erstlich in Räumlichkeiten, welche zweckentsprechend akustisch
und groß gebaut sind, so daß sie Raum bieten für die Orchester und Chorkräfte,
welche für größere Werke nöthig sind. Auch der Zuhörerraum muß so groß
sein, daß wenigstens die Mehrzahl derer, welche Interesse und Neigung zur
Musik dazu treiben, Platz darin finden kann. Hier wollen wir glei'es bemerken,
daß diese erste Forderung durch das leipziger Gewandhaus nicht erfüllt wird.
Daß das Orchester für die ausübenden Kräfte entschieden zu klein ist, werden
wir weiter unten noch zu berühren haben. Allein der Raum sür die Zuhörer
ist nicht weniger knapp bemessen. Denn um nichts zu sagen von der Schmal-"
heit der Sitze, der Gedrängtheit der Sitzreihen, so ist vor allem doch die That¬
sache zu constatiren, daß alle Sitzplätze gleich im Voraus und zu Anfang der
Saison vergeben und dadurch sehr Vielen der Zutritt verschlossen wird. So
lange die Billets auf die Person des Inhabers lauteten, mochte man sich gern
mit dieser Einrichtung versöhnen. Die Gesammtheit der Zuhörer bekam dadurch
einen etwas vertrauteren Charakter, der Einzelne stand in einer Art persön¬
lichen Verhältnisses zum Ganzen, und zu Mendelssohns Zeit erwarb sich dieses
so zusammengesetzte Publicum den Ruf einer feinsinnigen, strengen, aber gerechten
Zuhörerschaft. Man hat später aus Nothwendigkeit diese Einrichtung auf-


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[0085] der letzten Jahre auf dem Gebiet des musikalischen Schaffens. Bei einem Blick auf unser Musikleben haben wir es aber nicht nUr mit den Musikern und ihren Werken, sondern auch mit denen zu thun, welche sie kennen lernen, hören und genießen sollen, für welche die Musik gemacht wird. Wenn früher ins' gemein besonders an den Höfen der Fürsten und auf den Schlössern reicher Edelleute die Musik gehegt wurde, so hat sich das jetzt allgemach sehr umge¬ wandelt. Die Liebhaberei der deutschen Fürsten hat sich meist dem Theater und da wieder vielfach dem Ballet zugewendet; voll den Opern werden aus unsern Hoftbeatern mit Vorliebe diejenigen gegeben, welche weniger durch ihre Musik als durch glänzende Ausstattung zu wirken versprechen. So hat sich die Musik in die Familie, die Vereine geflüchtet und wir empfinden es mit Stolz, daß nicht wenige deutsche Städte die Erbschaft der Fürstenhöfe übernommen und mit dem anvertrauten Pfunde gewissenhaft zu arbeiten verstanden haben. Leipzig besitzt in seinen Gewandhausconcerten ein Musikinstilut, welches, lediglich von Privaten geleitet, über nicht unbedeutende Mittel gebietet, und welches auf eine lange ehrenvolle Wirksamkeit zurückblicken kann, und ähnliche Einrichtungen finden sich jetzt in der Mehrzahl der größeren deutschen Städte. Es wird von Interesse sein, an dem Beispiel einer Stadt wie Leipzig diese zweite Seite unsres Musiklebens näher ins Auge zu fassen. Die For¬ derungen, welche man von vornherein an ein solches Institut stellen kann, sind bescheiden und bestehen, ganz abgesehen von dem Vorhandensein der nöthigen künstlerischen Kräfte, erstlich in Räumlichkeiten, welche zweckentsprechend akustisch und groß gebaut sind, so daß sie Raum bieten für die Orchester und Chorkräfte, welche für größere Werke nöthig sind. Auch der Zuhörerraum muß so groß sein, daß wenigstens die Mehrzahl derer, welche Interesse und Neigung zur Musik dazu treiben, Platz darin finden kann. Hier wollen wir glei'es bemerken, daß diese erste Forderung durch das leipziger Gewandhaus nicht erfüllt wird. Daß das Orchester für die ausübenden Kräfte entschieden zu klein ist, werden wir weiter unten noch zu berühren haben. Allein der Raum sür die Zuhörer ist nicht weniger knapp bemessen. Denn um nichts zu sagen von der Schmal-" heit der Sitze, der Gedrängtheit der Sitzreihen, so ist vor allem doch die That¬ sache zu constatiren, daß alle Sitzplätze gleich im Voraus und zu Anfang der Saison vergeben und dadurch sehr Vielen der Zutritt verschlossen wird. So lange die Billets auf die Person des Inhabers lauteten, mochte man sich gern mit dieser Einrichtung versöhnen. Die Gesammtheit der Zuhörer bekam dadurch einen etwas vertrauteren Charakter, der Einzelne stand in einer Art persön¬ lichen Verhältnisses zum Ganzen, und zu Mendelssohns Zeit erwarb sich dieses so zusammengesetzte Publicum den Ruf einer feinsinnigen, strengen, aber gerechten Zuhörerschaft. Man hat später aus Nothwendigkeit diese Einrichtung auf- 10*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/85>, abgerufen am 24.07.2024.