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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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denn nach oben in die großen Stuben und suchten uns in einer der am
wenigsten belegten ein Plätzchen zum Ausruhen. Ein freiwilliger Jäger von
unserm Regiment, Kowaczek mit Namen, hatte bereits in einer Ecke eine be¬
queme Stelle gefunden, und da noch Raum neben ihm war. nahm ich diesen
ein, berechnend, daß er mir, der ich nur meinen nicht allzuwarmen Dienstüber¬
rock hatte, wohl erlauben würde, mit unter feinem Mantel zu liegen. Meine
Füße schmerzten fürchterlich, und da er hinunterging, trug ich ihm auf, mir
meinen Burschen zu schicken, damit er mir die Stiefel aufzöge; der kam und
nach vieler Mühe und großen Qualen gelang es. Aber o Schrecken! ich hatte
keine Fersen in den Strümpfen und die der Füße waren ganz blutig und rohes
Fleisch. Nichts konnte man bekommen, kaum ein wenig Wasser, um sie zu
reinigen, an alte Leinwand, sie zu verbinden, war nicht zu denken. Endlich
erhielt ich von einem der mit gefangenen Soldaten eine Binde. Nun fing uns
auch der Hunger an zu plagen, den wir eine Zeit lang durch Wasser, das zu
haben und gut war, besebwicbtigten. Aber lange hielt das nicht vor, und dann
trat er desto ungestümer auf. Da kam, es mochte drei Uhr Nachmittags sein, der
Bursche des mit gefangenen und durch drei Hiebe am Kopf verwundeten
Lieutenant Metzig von unserm Regiment mit einer blechernen Gießkanne, wie
man sie in den Gärten hat, zu seinem Herrn und sagte ihm: er habe auf der
Chaussee heute Morgen beim Marsch ein Schöpscnviertel, das ganz zertreten
und zerfahren im Kothe gelegen, gefunden, es mitgenommen, gereinigt und
mit Reis in dieser Gießkanne gekocht, ob der Herr Lieutenant etwas davon
essen wolle? Wir richteten alle die Köpfe in die Höhe, und der Lieutenant
Metzig bot uns allen an mit ihm zu theilen. Es waren aber keine Löffel da;
endlich schaffte er zwei Stück, und nun wanderte er von einem zum andern,
jeder nahm zwei Löffel voll, datur ging er weiter. Diese Runde machte er
noch einmal, weiter aber reichte es nicht. So erhielt jeder vier Löffel köstliche
Fleischbrühe von dem weggeworfenen, zerfahren und zertreten gewesenen Schöpsen¬
viertel, eine Erquickung sonder gleichen in unserm Elend. Wohl waren wir
sehr unglücklich, allein es gab manchen noch weit mehr zu Beklagenden, wovon
wir bald ein Beispiel sehen sollten. Die Thüre öffnete sich, und herein kam
ein Mann mit verbundenem Kops, in einen Soldatenmantel gekleidet; er machte
den Mantel auseinander, und siehe da, er hatte kein Kleidungsstück darunter,
nicht einmal ein Hemd. Wir erfuhren, daß er der Lieutenant v. Mikusch
Von dem damaligen zehnten Reserveregiment (jetzigen ersten oberschlesischen
Ur. 22) war, daß er gestern niedergehauen worden und besinnungslos liegen
geblieben war, und daß er die ganze kalte Februarnacht, während wir trans-
portirt wurden, so im Freien gelegen hatte. Heute Morgen waren die Bauern
gekommen, um die Todten zu plündern, und hatten ihn aller Kleidungsstücke
beraubt bis aus die Stiefeln. Erst als sie ihm auch diese ausgezogen, halte er


denn nach oben in die großen Stuben und suchten uns in einer der am
wenigsten belegten ein Plätzchen zum Ausruhen. Ein freiwilliger Jäger von
unserm Regiment, Kowaczek mit Namen, hatte bereits in einer Ecke eine be¬
queme Stelle gefunden, und da noch Raum neben ihm war. nahm ich diesen
ein, berechnend, daß er mir, der ich nur meinen nicht allzuwarmen Dienstüber¬
rock hatte, wohl erlauben würde, mit unter feinem Mantel zu liegen. Meine
Füße schmerzten fürchterlich, und da er hinunterging, trug ich ihm auf, mir
meinen Burschen zu schicken, damit er mir die Stiefel aufzöge; der kam und
nach vieler Mühe und großen Qualen gelang es. Aber o Schrecken! ich hatte
keine Fersen in den Strümpfen und die der Füße waren ganz blutig und rohes
Fleisch. Nichts konnte man bekommen, kaum ein wenig Wasser, um sie zu
reinigen, an alte Leinwand, sie zu verbinden, war nicht zu denken. Endlich
erhielt ich von einem der mit gefangenen Soldaten eine Binde. Nun fing uns
auch der Hunger an zu plagen, den wir eine Zeit lang durch Wasser, das zu
haben und gut war, besebwicbtigten. Aber lange hielt das nicht vor, und dann
trat er desto ungestümer auf. Da kam, es mochte drei Uhr Nachmittags sein, der
Bursche des mit gefangenen und durch drei Hiebe am Kopf verwundeten
Lieutenant Metzig von unserm Regiment mit einer blechernen Gießkanne, wie
man sie in den Gärten hat, zu seinem Herrn und sagte ihm: er habe auf der
Chaussee heute Morgen beim Marsch ein Schöpscnviertel, das ganz zertreten
und zerfahren im Kothe gelegen, gefunden, es mitgenommen, gereinigt und
mit Reis in dieser Gießkanne gekocht, ob der Herr Lieutenant etwas davon
essen wolle? Wir richteten alle die Köpfe in die Höhe, und der Lieutenant
Metzig bot uns allen an mit ihm zu theilen. Es waren aber keine Löffel da;
endlich schaffte er zwei Stück, und nun wanderte er von einem zum andern,
jeder nahm zwei Löffel voll, datur ging er weiter. Diese Runde machte er
noch einmal, weiter aber reichte es nicht. So erhielt jeder vier Löffel köstliche
Fleischbrühe von dem weggeworfenen, zerfahren und zertreten gewesenen Schöpsen¬
viertel, eine Erquickung sonder gleichen in unserm Elend. Wohl waren wir
sehr unglücklich, allein es gab manchen noch weit mehr zu Beklagenden, wovon
wir bald ein Beispiel sehen sollten. Die Thüre öffnete sich, und herein kam
ein Mann mit verbundenem Kops, in einen Soldatenmantel gekleidet; er machte
den Mantel auseinander, und siehe da, er hatte kein Kleidungsstück darunter,
nicht einmal ein Hemd. Wir erfuhren, daß er der Lieutenant v. Mikusch
Von dem damaligen zehnten Reserveregiment (jetzigen ersten oberschlesischen
Ur. 22) war, daß er gestern niedergehauen worden und besinnungslos liegen
geblieben war, und daß er die ganze kalte Februarnacht, während wir trans-
portirt wurden, so im Freien gelegen hatte. Heute Morgen waren die Bauern
gekommen, um die Todten zu plündern, und hatten ihn aller Kleidungsstücke
beraubt bis aus die Stiefeln. Erst als sie ihm auch diese ausgezogen, halte er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/63>, abgerufen am 24.07.2024.