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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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nes weißes Brod auf seinen Tornister geschnallt. Ein Feldwebel von der elf¬
ten Compognie unseres Bataillons, Namens Süntel befand sich neben mir, er
war mit einem französischen Unteroffizier, der aus seiner Truppe herausge¬
treten war, im eifrigen Gespräch begriffen. Ich fragte den Feldwebel, ob er
kein Messer bei sich habe, und ohne zu antworten steckte er mir eins zu, jeden¬
falls ahnte er, was ich vorhatte. Die beiden, der Unteroffizier und der Feld¬
webel, marschirten nun tapfer fort, ich ging hinter ihnen und hielt das Mes¬
ser leicht und leise an den schwachen Riemen, mit welchem da? Brod befestigt
war, bis er durchschnitten war und das Brod herunterfiel, wobei ich es auf¬
fing und nun stehen blieb und die andern vorbeimarschiren ließ. Damals
machte ich mir aus dieser Handlung kein Gewissen, heut denke ich darüber an¬
ders, obgleich der peinigende Hunger Schlimmeres entschuldigen könnte. Wäh¬
rend dessen kam ein älterer Offizier von unserm Regiment, ein Premierlieute¬
nant v. K.......g, der überhaupt schwächlich und jetzt so erschöpft war,
daß er jeden Augenblick umfallen konnte, an mich heran. Ich sah seine elende
Lage, gab ihm ein Stück Brod, faßte ihn unter den Arm und hals ihm so
eine Viertelstunde fort. Er aß wie ich und fand sich gestärkt, den Rest des
entwendeten Brodes vertheilte ich unter die Uebrigen.

Beim Weitergehen empfand ich immer heftiger werdende Schmerzen an den
Füßen, und bald merkte ich, daß meine Fersen wund sein mußten und ich im Blute
ging. Auf einem Chausseehaufen sah ich einen alten Bekannten liegen, einen
Schützen vom schlesischen Schützenbataillon (jetzigem 6. Jägerbataillon), Namens
Sparschuh, einen Bayreuther. welcher früher mit mir bei derselben Compagnie ge¬
standen hatte, als ich noch Pvrtcp6efähnrich war. Er war völlig angekleidet,
und hatte das Gewehr und alles Gepäck neben sich. Wahrscheinlich schwer ver¬
wundet, athmete er noch und muß kurz nachher gestorben sein. Wie gern
hätte ich ihm beigestanden, wenn das französische: ferre^-vous!" uns nicht
vorwärts getrieben hätte. Er war schon 1807 einer der bravsten Soldaten
gewesen, hatte aus freiem Antriebe bei uns fortgedient, weil er nicht für die
Franzosen fechten wollte, und hatte nun hier, wo der noch jetzt lebende Gene¬
ral der Infanterie v. Neumann damals mit zwei Compagnien so heldenmüthig
einen Pachthof, in den er sich geworfen, vertheidigt hatte, seinen Tod gefunden.

Endlich erreichten wir, es mochte Mittags 12 Uhr sein, Montmirail. Wir
wurden alle' zusammen, Offiziere wie Unteroffiziere und Gemeine, .in den
Hof der Mairie geführt. Uns Offizieren gestattete man später in die obern
Zimmer zu gehen und uns unter den russischen Blessirten vom sackenschen
Corps, das zwei Tage vorher gleich uns eine Schlappe erlitten hatte, so gut
es anging, ein Unterkommen zu suchen. Unter den Gefangenen war auch
mein Bursche, eine ehrliche treue Seele, wie denn überhaupt der Schlesier
meist eine große Anhänglichkeit an seine Herrschaft bekundet. So gingen wir


nes weißes Brod auf seinen Tornister geschnallt. Ein Feldwebel von der elf¬
ten Compognie unseres Bataillons, Namens Süntel befand sich neben mir, er
war mit einem französischen Unteroffizier, der aus seiner Truppe herausge¬
treten war, im eifrigen Gespräch begriffen. Ich fragte den Feldwebel, ob er
kein Messer bei sich habe, und ohne zu antworten steckte er mir eins zu, jeden¬
falls ahnte er, was ich vorhatte. Die beiden, der Unteroffizier und der Feld¬
webel, marschirten nun tapfer fort, ich ging hinter ihnen und hielt das Mes¬
ser leicht und leise an den schwachen Riemen, mit welchem da? Brod befestigt
war, bis er durchschnitten war und das Brod herunterfiel, wobei ich es auf¬
fing und nun stehen blieb und die andern vorbeimarschiren ließ. Damals
machte ich mir aus dieser Handlung kein Gewissen, heut denke ich darüber an¬
ders, obgleich der peinigende Hunger Schlimmeres entschuldigen könnte. Wäh¬
rend dessen kam ein älterer Offizier von unserm Regiment, ein Premierlieute¬
nant v. K.......g, der überhaupt schwächlich und jetzt so erschöpft war,
daß er jeden Augenblick umfallen konnte, an mich heran. Ich sah seine elende
Lage, gab ihm ein Stück Brod, faßte ihn unter den Arm und hals ihm so
eine Viertelstunde fort. Er aß wie ich und fand sich gestärkt, den Rest des
entwendeten Brodes vertheilte ich unter die Uebrigen.

Beim Weitergehen empfand ich immer heftiger werdende Schmerzen an den
Füßen, und bald merkte ich, daß meine Fersen wund sein mußten und ich im Blute
ging. Auf einem Chausseehaufen sah ich einen alten Bekannten liegen, einen
Schützen vom schlesischen Schützenbataillon (jetzigem 6. Jägerbataillon), Namens
Sparschuh, einen Bayreuther. welcher früher mit mir bei derselben Compagnie ge¬
standen hatte, als ich noch Pvrtcp6efähnrich war. Er war völlig angekleidet,
und hatte das Gewehr und alles Gepäck neben sich. Wahrscheinlich schwer ver¬
wundet, athmete er noch und muß kurz nachher gestorben sein. Wie gern
hätte ich ihm beigestanden, wenn das französische: ferre^-vous!" uns nicht
vorwärts getrieben hätte. Er war schon 1807 einer der bravsten Soldaten
gewesen, hatte aus freiem Antriebe bei uns fortgedient, weil er nicht für die
Franzosen fechten wollte, und hatte nun hier, wo der noch jetzt lebende Gene¬
ral der Infanterie v. Neumann damals mit zwei Compagnien so heldenmüthig
einen Pachthof, in den er sich geworfen, vertheidigt hatte, seinen Tod gefunden.

Endlich erreichten wir, es mochte Mittags 12 Uhr sein, Montmirail. Wir
wurden alle' zusammen, Offiziere wie Unteroffiziere und Gemeine, .in den
Hof der Mairie geführt. Uns Offizieren gestattete man später in die obern
Zimmer zu gehen und uns unter den russischen Blessirten vom sackenschen
Corps, das zwei Tage vorher gleich uns eine Schlappe erlitten hatte, so gut
es anging, ein Unterkommen zu suchen. Unter den Gefangenen war auch
mein Bursche, eine ehrliche treue Seele, wie denn überhaupt der Schlesier
meist eine große Anhänglichkeit an seine Herrschaft bekundet. So gingen wir


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[0062] nes weißes Brod auf seinen Tornister geschnallt. Ein Feldwebel von der elf¬ ten Compognie unseres Bataillons, Namens Süntel befand sich neben mir, er war mit einem französischen Unteroffizier, der aus seiner Truppe herausge¬ treten war, im eifrigen Gespräch begriffen. Ich fragte den Feldwebel, ob er kein Messer bei sich habe, und ohne zu antworten steckte er mir eins zu, jeden¬ falls ahnte er, was ich vorhatte. Die beiden, der Unteroffizier und der Feld¬ webel, marschirten nun tapfer fort, ich ging hinter ihnen und hielt das Mes¬ ser leicht und leise an den schwachen Riemen, mit welchem da? Brod befestigt war, bis er durchschnitten war und das Brod herunterfiel, wobei ich es auf¬ fing und nun stehen blieb und die andern vorbeimarschiren ließ. Damals machte ich mir aus dieser Handlung kein Gewissen, heut denke ich darüber an¬ ders, obgleich der peinigende Hunger Schlimmeres entschuldigen könnte. Wäh¬ rend dessen kam ein älterer Offizier von unserm Regiment, ein Premierlieute¬ nant v. K.......g, der überhaupt schwächlich und jetzt so erschöpft war, daß er jeden Augenblick umfallen konnte, an mich heran. Ich sah seine elende Lage, gab ihm ein Stück Brod, faßte ihn unter den Arm und hals ihm so eine Viertelstunde fort. Er aß wie ich und fand sich gestärkt, den Rest des entwendeten Brodes vertheilte ich unter die Uebrigen. Beim Weitergehen empfand ich immer heftiger werdende Schmerzen an den Füßen, und bald merkte ich, daß meine Fersen wund sein mußten und ich im Blute ging. Auf einem Chausseehaufen sah ich einen alten Bekannten liegen, einen Schützen vom schlesischen Schützenbataillon (jetzigem 6. Jägerbataillon), Namens Sparschuh, einen Bayreuther. welcher früher mit mir bei derselben Compagnie ge¬ standen hatte, als ich noch Pvrtcp6efähnrich war. Er war völlig angekleidet, und hatte das Gewehr und alles Gepäck neben sich. Wahrscheinlich schwer ver¬ wundet, athmete er noch und muß kurz nachher gestorben sein. Wie gern hätte ich ihm beigestanden, wenn das französische: ferre^-vous!" uns nicht vorwärts getrieben hätte. Er war schon 1807 einer der bravsten Soldaten gewesen, hatte aus freiem Antriebe bei uns fortgedient, weil er nicht für die Franzosen fechten wollte, und hatte nun hier, wo der noch jetzt lebende Gene¬ ral der Infanterie v. Neumann damals mit zwei Compagnien so heldenmüthig einen Pachthof, in den er sich geworfen, vertheidigt hatte, seinen Tod gefunden. Endlich erreichten wir, es mochte Mittags 12 Uhr sein, Montmirail. Wir wurden alle' zusammen, Offiziere wie Unteroffiziere und Gemeine, .in den Hof der Mairie geführt. Uns Offizieren gestattete man später in die obern Zimmer zu gehen und uns unter den russischen Blessirten vom sackenschen Corps, das zwei Tage vorher gleich uns eine Schlappe erlitten hatte, so gut es anging, ein Unterkommen zu suchen. Unter den Gefangenen war auch mein Bursche, eine ehrliche treue Seele, wie denn überhaupt der Schlesier meist eine große Anhänglichkeit an seine Herrschaft bekundet. So gingen wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/62>, abgerufen am 24.07.2024.