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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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dingliche Abhängigkeit vom Landesherrn, deren die Dorfobrigkeit gewartet hatte,
verfälschte fiel) zur persönlichen Untertänigkeit gegen Leute, die nicht von
Bauernart waren, "und diese gewöhnten sich, was sie durch Gunst oder Kauf
gewonnen hatten, als zu ihrem ritterlichen Gut, zu ihrem Stand und Gcburls-
rccht gehörend anzusehen, dem "Gut" eine herrschaftliche Bedeutung zu vinoiciren."

Diese Ausartungen weisen indeß über die Epoche der Askanier hinaus,
wenn sie gleich unter ihnen schon begannen. Aber der Fortgang der heillosen
Zerrüttung konnte nur befördert werden, als nach Markgraf Waldeinars Tode
(1319) das Haus erloschen war und der Erbfolgesircit die Bestandtheile der
Marken bald hierhin bald dorthin auseinanderriß. Es kam dahin, daß es den
Bauern der Mark ähnlich erging, wie den slavischen Borfahren. In der Zeit
der Herrschaft Ludwigs des Bayern mehren sich in den Landbüchern die Ver¬
zeichnisse der "verlassenen" oder richtiger "verlassen gemachten" Hufen in ent¬
setzlichem Maße. Um 1370 werden z. B. als verlassen angeführt: in einem Dorfe
von 60 Hufen S4, in einem anderen von 40 Hufen werden 34 besessen gelassen
in Hoffnung auf bessere Erträge; im Ganzen wurden jener Zeit in einem Jahre
126 Hufen in 30 Dörfern von den Bauern und Kassatcn aufgegeben. Das war
der kürzeste Weg zur vollständigen Entfaltung der Gutsherrlichkeit, die denn auch
nicht säumte in jede leergewordene Stelle pünktlich einzurücken. Es geschah bei dieser
Lage der Dinge nichts Unnatürliches als nun in der bayrischen Zeit auch die ge-
scunmte Gerichtsbarkeit über die Dorfschaften in die Hände der Ritter gegeben
wurde. Der Bielseitigkcit und Zersplitterung von Pflichtverhältnissen zwischen
Gutsherrn und Bauern, wie sie hier vorlag, entsprach nun das wüste Durch¬
einander von Rechtszuständigkeiten, so daß es als Glück angesehen wurde, wenn
bei einer Dorfschaft sich wenigstens alle Anwartschaften und Gerechtsame in
der Person eines Gutsherrn vereinigten. Dann bestand doch wenigstens eine
Einheit in der Aussaugung, oder es konnte sich in gutem Falle ein näheres,
persönliches Verhältniß zwischen dem Herrn und den Dorfsassen anbahnen.
Freilich aber war es wieder vornehmlich diese patriarchalische Anschauung, auf
Grund deren ein Princip sich ausbildete, welches die Zerstörung der Baucrn-
freiheit vollendete. Noch in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts wird
des Rechtes der Freizügigkeit urkundlich abdacht. Darnach kann der Bauer
"von seines Herren Gut oder Hufe" abziehen, nachdem er seine Zahlungen
geleistet und neu gepflügt habe; wolle der Herr das Gut nicht annehmen, so
soll es jener "vor dem Richter und den Bauern auf einen Zaun stecken und
frei von dannen gehn." Hiergegen erhebt sich nun die Meinung, das Erbrecht,
welches der Bauer an die Hufe hat, bedeute daß er, "zur Hufe geboren" sei
und er demzufolge "sich nicht verziehen" dürfe ohne des Herrn Genehmigung.
Damit ward die Auszeichnung getilgt, die selbst nach der ehemaligen adeligen
Rechtsanschauung des märkischen "Gcvcmcrn Erbe" um des willen besaß, weil


dingliche Abhängigkeit vom Landesherrn, deren die Dorfobrigkeit gewartet hatte,
verfälschte fiel) zur persönlichen Untertänigkeit gegen Leute, die nicht von
Bauernart waren, „und diese gewöhnten sich, was sie durch Gunst oder Kauf
gewonnen hatten, als zu ihrem ritterlichen Gut, zu ihrem Stand und Gcburls-
rccht gehörend anzusehen, dem „Gut" eine herrschaftliche Bedeutung zu vinoiciren."

Diese Ausartungen weisen indeß über die Epoche der Askanier hinaus,
wenn sie gleich unter ihnen schon begannen. Aber der Fortgang der heillosen
Zerrüttung konnte nur befördert werden, als nach Markgraf Waldeinars Tode
(1319) das Haus erloschen war und der Erbfolgesircit die Bestandtheile der
Marken bald hierhin bald dorthin auseinanderriß. Es kam dahin, daß es den
Bauern der Mark ähnlich erging, wie den slavischen Borfahren. In der Zeit
der Herrschaft Ludwigs des Bayern mehren sich in den Landbüchern die Ver¬
zeichnisse der „verlassenen" oder richtiger „verlassen gemachten" Hufen in ent¬
setzlichem Maße. Um 1370 werden z. B. als verlassen angeführt: in einem Dorfe
von 60 Hufen S4, in einem anderen von 40 Hufen werden 34 besessen gelassen
in Hoffnung auf bessere Erträge; im Ganzen wurden jener Zeit in einem Jahre
126 Hufen in 30 Dörfern von den Bauern und Kassatcn aufgegeben. Das war
der kürzeste Weg zur vollständigen Entfaltung der Gutsherrlichkeit, die denn auch
nicht säumte in jede leergewordene Stelle pünktlich einzurücken. Es geschah bei dieser
Lage der Dinge nichts Unnatürliches als nun in der bayrischen Zeit auch die ge-
scunmte Gerichtsbarkeit über die Dorfschaften in die Hände der Ritter gegeben
wurde. Der Bielseitigkcit und Zersplitterung von Pflichtverhältnissen zwischen
Gutsherrn und Bauern, wie sie hier vorlag, entsprach nun das wüste Durch¬
einander von Rechtszuständigkeiten, so daß es als Glück angesehen wurde, wenn
bei einer Dorfschaft sich wenigstens alle Anwartschaften und Gerechtsame in
der Person eines Gutsherrn vereinigten. Dann bestand doch wenigstens eine
Einheit in der Aussaugung, oder es konnte sich in gutem Falle ein näheres,
persönliches Verhältniß zwischen dem Herrn und den Dorfsassen anbahnen.
Freilich aber war es wieder vornehmlich diese patriarchalische Anschauung, auf
Grund deren ein Princip sich ausbildete, welches die Zerstörung der Baucrn-
freiheit vollendete. Noch in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts wird
des Rechtes der Freizügigkeit urkundlich abdacht. Darnach kann der Bauer
„von seines Herren Gut oder Hufe" abziehen, nachdem er seine Zahlungen
geleistet und neu gepflügt habe; wolle der Herr das Gut nicht annehmen, so
soll es jener „vor dem Richter und den Bauern auf einen Zaun stecken und
frei von dannen gehn." Hiergegen erhebt sich nun die Meinung, das Erbrecht,
welches der Bauer an die Hufe hat, bedeute daß er, „zur Hufe geboren" sei
und er demzufolge „sich nicht verziehen" dürfe ohne des Herrn Genehmigung.
Damit ward die Auszeichnung getilgt, die selbst nach der ehemaligen adeligen
Rechtsanschauung des märkischen „Gcvcmcrn Erbe" um des willen besaß, weil


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[0520] dingliche Abhängigkeit vom Landesherrn, deren die Dorfobrigkeit gewartet hatte, verfälschte fiel) zur persönlichen Untertänigkeit gegen Leute, die nicht von Bauernart waren, „und diese gewöhnten sich, was sie durch Gunst oder Kauf gewonnen hatten, als zu ihrem ritterlichen Gut, zu ihrem Stand und Gcburls- rccht gehörend anzusehen, dem „Gut" eine herrschaftliche Bedeutung zu vinoiciren." Diese Ausartungen weisen indeß über die Epoche der Askanier hinaus, wenn sie gleich unter ihnen schon begannen. Aber der Fortgang der heillosen Zerrüttung konnte nur befördert werden, als nach Markgraf Waldeinars Tode (1319) das Haus erloschen war und der Erbfolgesircit die Bestandtheile der Marken bald hierhin bald dorthin auseinanderriß. Es kam dahin, daß es den Bauern der Mark ähnlich erging, wie den slavischen Borfahren. In der Zeit der Herrschaft Ludwigs des Bayern mehren sich in den Landbüchern die Ver¬ zeichnisse der „verlassenen" oder richtiger „verlassen gemachten" Hufen in ent¬ setzlichem Maße. Um 1370 werden z. B. als verlassen angeführt: in einem Dorfe von 60 Hufen S4, in einem anderen von 40 Hufen werden 34 besessen gelassen in Hoffnung auf bessere Erträge; im Ganzen wurden jener Zeit in einem Jahre 126 Hufen in 30 Dörfern von den Bauern und Kassatcn aufgegeben. Das war der kürzeste Weg zur vollständigen Entfaltung der Gutsherrlichkeit, die denn auch nicht säumte in jede leergewordene Stelle pünktlich einzurücken. Es geschah bei dieser Lage der Dinge nichts Unnatürliches als nun in der bayrischen Zeit auch die ge- scunmte Gerichtsbarkeit über die Dorfschaften in die Hände der Ritter gegeben wurde. Der Bielseitigkcit und Zersplitterung von Pflichtverhältnissen zwischen Gutsherrn und Bauern, wie sie hier vorlag, entsprach nun das wüste Durch¬ einander von Rechtszuständigkeiten, so daß es als Glück angesehen wurde, wenn bei einer Dorfschaft sich wenigstens alle Anwartschaften und Gerechtsame in der Person eines Gutsherrn vereinigten. Dann bestand doch wenigstens eine Einheit in der Aussaugung, oder es konnte sich in gutem Falle ein näheres, persönliches Verhältniß zwischen dem Herrn und den Dorfsassen anbahnen. Freilich aber war es wieder vornehmlich diese patriarchalische Anschauung, auf Grund deren ein Princip sich ausbildete, welches die Zerstörung der Baucrn- freiheit vollendete. Noch in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts wird des Rechtes der Freizügigkeit urkundlich abdacht. Darnach kann der Bauer „von seines Herren Gut oder Hufe" abziehen, nachdem er seine Zahlungen geleistet und neu gepflügt habe; wolle der Herr das Gut nicht annehmen, so soll es jener „vor dem Richter und den Bauern auf einen Zaun stecken und frei von dannen gehn." Hiergegen erhebt sich nun die Meinung, das Erbrecht, welches der Bauer an die Hufe hat, bedeute daß er, „zur Hufe geboren" sei und er demzufolge „sich nicht verziehen" dürfe ohne des Herrn Genehmigung. Damit ward die Auszeichnung getilgt, die selbst nach der ehemaligen adeligen Rechtsanschauung des märkischen „Gcvcmcrn Erbe" um des willen besaß, weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/520>, abgerufen am 24.07.2024.