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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Berührung mit der Hansa und dem Ritterstaate des Marienordens ward sie
ein Musterbild deutscher Colonisation und Staatswirthschaft und gab vermöge
ihres Machtumfanges und ihrer Eigenschaft als Fürstenland jenen Nachbarn,
den kühnen Vorkämpfern deutscher Cultur, den sichernden Rückhalt.

Was es für unsere ganze politische Entwickelung auf sich hatte, jener neuen
Stütze sicher zu sein, das zeigte sich, als auch sie morsch und hinfällig wurde.
Die Zersetzung, welche im Reiche die Hohenstaufen mühsam und künstlich hinaus¬
zuschieben getrachtet hatten, wiederholte sich allmälig auch hier. Den Anstoß
dazu gab nicht blos der Umstand, daß der Frieden nach der großen Kriegs¬
arbeit die straffen und einfachen Bande der politischen Zustände löste; es kam
hinzu, daß das Familieninteresse des herrschenden Hauses der unheilvollen
Maxime der Landestheilung nachging. Jeder Theilfürst aber war darauf be¬
dacht, sich eine Anzahl ganz besonders treugewärtiger Diener und Berather zu
sammeln. Zu dem Ende wurden für die Hofämter vornehmlich solche aus¬
gewählt, welche sich durch Besitz auszeichneten, und diese dadurch verpflichtet,
daß ihnen die Verwaltung der Aemter auf eigene Rechnung anheimgegeben
ward. Es konnte nicht fehlen, daß auf diesem Wege auch die Verpfändung
landesherrlicher Rechte und Gefälle, die Vergebung bürgerlicher und bäuerlicher
Lehen und Frohnden, die Übertragung juridischer Kompetenzen, kurz das
ganze System des Feudaldruckes Eingang fand. Kein Wunder, daß dieser
von der märkischen Ministcrialität mit Eifer ausgebildeten Richtung endlich auch
die starke und eigenthümliche Bäuerlichkeit erlag, die hier sich festgesetzt hatte.
Nach Bezwingung der Slaven, welche man theils gewaltsam ausgekauft und
in die Wälder verdrängt, theils in die niedrigen Dienste auf die Unterhose
versetzt hatte, waren in diese weiten Brandländer deutsche Auswanderer, beson¬
ders Sachsen und Vläminger in hellen Haufen eingerückt. Jeder Unternehmer
einer Colonie wurde vom Landesherrn in der Regel direct belehnt, nachdem er
die Flur vom betreffenden Grundherrn gekauft hatte. Er erhält sie mit der
Verpflichtung, sie an Ansiedler zu vertheilen, und behält seinerseits neben dem
Erblehn des Schulzenamtes seine Quote von den Gerichtseinnahmen und von
der Hufenzahl. Die Hufner haben Grundzins und Zehnten zu entrichten und
der Landesherr darf sie zu gewisse^ obrigkeitlichen oder gemeinnützigen Dienst¬
leistungen in Anspruch nehmen. Im Uebrigen war der märkische Bauer sein
eigener Herr. Diese gesunde und gedeihliche Verfassung ward zunächst dadurch
gedrückt, daß der Landesherr den Rittern und Knappen, deren Wirthschaften
in der Regel schlecht gediehen, seine Ansprüche an die Dorfschaften und die Ein¬
treibung derselben lieh oder richtiger verkaufte. Zwar berührte dieses Verhält¬
niß zu den Herren die bäuerliche Freiheit noch nicht; nur riß alsbald der Mi߬
brauch ein. solche "Rechte" in der Weise zu handhaben, als wäre mit ihnen
auch die herrschaftliche Befugniß vergabt, aus der sie abgeleitet waren. Die


"Ärenjdotm I. 1864. 65

Berührung mit der Hansa und dem Ritterstaate des Marienordens ward sie
ein Musterbild deutscher Colonisation und Staatswirthschaft und gab vermöge
ihres Machtumfanges und ihrer Eigenschaft als Fürstenland jenen Nachbarn,
den kühnen Vorkämpfern deutscher Cultur, den sichernden Rückhalt.

Was es für unsere ganze politische Entwickelung auf sich hatte, jener neuen
Stütze sicher zu sein, das zeigte sich, als auch sie morsch und hinfällig wurde.
Die Zersetzung, welche im Reiche die Hohenstaufen mühsam und künstlich hinaus¬
zuschieben getrachtet hatten, wiederholte sich allmälig auch hier. Den Anstoß
dazu gab nicht blos der Umstand, daß der Frieden nach der großen Kriegs¬
arbeit die straffen und einfachen Bande der politischen Zustände löste; es kam
hinzu, daß das Familieninteresse des herrschenden Hauses der unheilvollen
Maxime der Landestheilung nachging. Jeder Theilfürst aber war darauf be¬
dacht, sich eine Anzahl ganz besonders treugewärtiger Diener und Berather zu
sammeln. Zu dem Ende wurden für die Hofämter vornehmlich solche aus¬
gewählt, welche sich durch Besitz auszeichneten, und diese dadurch verpflichtet,
daß ihnen die Verwaltung der Aemter auf eigene Rechnung anheimgegeben
ward. Es konnte nicht fehlen, daß auf diesem Wege auch die Verpfändung
landesherrlicher Rechte und Gefälle, die Vergebung bürgerlicher und bäuerlicher
Lehen und Frohnden, die Übertragung juridischer Kompetenzen, kurz das
ganze System des Feudaldruckes Eingang fand. Kein Wunder, daß dieser
von der märkischen Ministcrialität mit Eifer ausgebildeten Richtung endlich auch
die starke und eigenthümliche Bäuerlichkeit erlag, die hier sich festgesetzt hatte.
Nach Bezwingung der Slaven, welche man theils gewaltsam ausgekauft und
in die Wälder verdrängt, theils in die niedrigen Dienste auf die Unterhose
versetzt hatte, waren in diese weiten Brandländer deutsche Auswanderer, beson¬
ders Sachsen und Vläminger in hellen Haufen eingerückt. Jeder Unternehmer
einer Colonie wurde vom Landesherrn in der Regel direct belehnt, nachdem er
die Flur vom betreffenden Grundherrn gekauft hatte. Er erhält sie mit der
Verpflichtung, sie an Ansiedler zu vertheilen, und behält seinerseits neben dem
Erblehn des Schulzenamtes seine Quote von den Gerichtseinnahmen und von
der Hufenzahl. Die Hufner haben Grundzins und Zehnten zu entrichten und
der Landesherr darf sie zu gewisse^ obrigkeitlichen oder gemeinnützigen Dienst¬
leistungen in Anspruch nehmen. Im Uebrigen war der märkische Bauer sein
eigener Herr. Diese gesunde und gedeihliche Verfassung ward zunächst dadurch
gedrückt, daß der Landesherr den Rittern und Knappen, deren Wirthschaften
in der Regel schlecht gediehen, seine Ansprüche an die Dorfschaften und die Ein¬
treibung derselben lieh oder richtiger verkaufte. Zwar berührte dieses Verhält¬
niß zu den Herren die bäuerliche Freiheit noch nicht; nur riß alsbald der Mi߬
brauch ein. solche „Rechte" in der Weise zu handhaben, als wäre mit ihnen
auch die herrschaftliche Befugniß vergabt, aus der sie abgeleitet waren. Die


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[0519] Berührung mit der Hansa und dem Ritterstaate des Marienordens ward sie ein Musterbild deutscher Colonisation und Staatswirthschaft und gab vermöge ihres Machtumfanges und ihrer Eigenschaft als Fürstenland jenen Nachbarn, den kühnen Vorkämpfern deutscher Cultur, den sichernden Rückhalt. Was es für unsere ganze politische Entwickelung auf sich hatte, jener neuen Stütze sicher zu sein, das zeigte sich, als auch sie morsch und hinfällig wurde. Die Zersetzung, welche im Reiche die Hohenstaufen mühsam und künstlich hinaus¬ zuschieben getrachtet hatten, wiederholte sich allmälig auch hier. Den Anstoß dazu gab nicht blos der Umstand, daß der Frieden nach der großen Kriegs¬ arbeit die straffen und einfachen Bande der politischen Zustände löste; es kam hinzu, daß das Familieninteresse des herrschenden Hauses der unheilvollen Maxime der Landestheilung nachging. Jeder Theilfürst aber war darauf be¬ dacht, sich eine Anzahl ganz besonders treugewärtiger Diener und Berather zu sammeln. Zu dem Ende wurden für die Hofämter vornehmlich solche aus¬ gewählt, welche sich durch Besitz auszeichneten, und diese dadurch verpflichtet, daß ihnen die Verwaltung der Aemter auf eigene Rechnung anheimgegeben ward. Es konnte nicht fehlen, daß auf diesem Wege auch die Verpfändung landesherrlicher Rechte und Gefälle, die Vergebung bürgerlicher und bäuerlicher Lehen und Frohnden, die Übertragung juridischer Kompetenzen, kurz das ganze System des Feudaldruckes Eingang fand. Kein Wunder, daß dieser von der märkischen Ministcrialität mit Eifer ausgebildeten Richtung endlich auch die starke und eigenthümliche Bäuerlichkeit erlag, die hier sich festgesetzt hatte. Nach Bezwingung der Slaven, welche man theils gewaltsam ausgekauft und in die Wälder verdrängt, theils in die niedrigen Dienste auf die Unterhose versetzt hatte, waren in diese weiten Brandländer deutsche Auswanderer, beson¬ ders Sachsen und Vläminger in hellen Haufen eingerückt. Jeder Unternehmer einer Colonie wurde vom Landesherrn in der Regel direct belehnt, nachdem er die Flur vom betreffenden Grundherrn gekauft hatte. Er erhält sie mit der Verpflichtung, sie an Ansiedler zu vertheilen, und behält seinerseits neben dem Erblehn des Schulzenamtes seine Quote von den Gerichtseinnahmen und von der Hufenzahl. Die Hufner haben Grundzins und Zehnten zu entrichten und der Landesherr darf sie zu gewisse^ obrigkeitlichen oder gemeinnützigen Dienst¬ leistungen in Anspruch nehmen. Im Uebrigen war der märkische Bauer sein eigener Herr. Diese gesunde und gedeihliche Verfassung ward zunächst dadurch gedrückt, daß der Landesherr den Rittern und Knappen, deren Wirthschaften in der Regel schlecht gediehen, seine Ansprüche an die Dorfschaften und die Ein¬ treibung derselben lieh oder richtiger verkaufte. Zwar berührte dieses Verhält¬ niß zu den Herren die bäuerliche Freiheit noch nicht; nur riß alsbald der Mi߬ brauch ein. solche „Rechte" in der Weise zu handhaben, als wäre mit ihnen auch die herrschaftliche Befugniß vergabt, aus der sie abgeleitet waren. Die «Ärenjdotm I. 1864. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/519>, abgerufen am 24.07.2024.