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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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für die lebensvollen politischen Kräfte unserer Nation insoweit sie gesalbt ist
mit dem Oele protestantischer Bildung und vermöge dessen Antheil nimmt an
der Erarbeitung der Ideale des modernen Germanismus. Gemische wie er ist
in seinen Volksbestandtheilcn, gebrechlich in seinen geographischen Zuständen, in
allen Grundbedingungen fast nur auf die Spannung der Gegensätze gegründet,
liegt die Erklärung seiner Existenz jenseits aller realen Mittel und Kräfte in
der Weihe seines historischen Berufs. In seinem Dienste die Nation mit neuem
Inhalte erfüllend ergänzt er sich Glied um Glied aus dem Rumpfe des ver¬
fallenden Reichs in dem Maße, in dem er seiner Aufgabe fürs Ganze, dem er
entstammt ist, bewußt bleibt. Denn nur in ihr beruht sein Recht, sein Zweck,
seine Nothwendigkeit; er darf nicht anders wollen ohne sich selbst zu verläugnen.
In allen Phasen seiner vierhundertjährigen Geschichte sehen wir ihn das Loos
des Antäus tragen, der Riesenkraft besitzt, so lange er mit dem mütterlichen
Boden in Berührung steht, der aber, von ihm losgelöst, durch den Feind zer¬
malmt wird. Preußen hat und wird erfahren, baß dies Geschick unwandelbar
sich erfüllt, und wenn der Feind auch kein Alcide wäre. Darum liegt die
wahre Geschichte Preußens in der Wechselbeziehung von Pflichten, Hoffnungen
und Rechten, in welche dieser Staat und seine Meister zum Ganzen der Nation
getreten sind.

Diese Vorbemerkungen sollen dienen, den Charakter desjenigen Werkes frei¬
lich weniger zu bezeichnen als anzudeuten, dessen Inhalt die nachfolgende Dar¬
stellung vor Augen zu führen versucht. Durch die Vorgänge, welche sich in
diesen Tagen im Norden unsres Vaterlandes ereignen, wird die Erinnerung an
die ersten öffentlichen Kundgebungen seines Urhebers aufgefrischt. Sie nennt
ihn an hervorragender Stelle unter den Männern von Kiel, denen die Hingabe
ans Vaterland zur Katastrophe ihres Lebens wurde. Es ist bekannt wie
Droysen dann nach Jahren voll aufreibender Mühsal und schwerer Ent¬
täuschung in der classischen Freistätte deutscher Wissenschaft, in der jenaer Uni¬
versität, eine neue Heimath und trotz seiner eifrigen akademischen Lehrthätigkeit
dennoch die Muße fand, um das Hauptwerk seines Lebens zu begründen. Es
gelang ihm dies äußerlich vermöge der unbeugsamen Willensstärke und un¬
ermüdlichen Arbeitskraft, die ihm zu Gebote steht; innerlich aber dank der
hohen Gesinnung, welche alle seine Unternehmungen lenkt. Und nicht für seine
Person blos, sondern zugleich für die Nation ist es bedeutsam, daß er dort --
in xartibus -- ein Werk begann, welches den preußischen Staat von damals
lehren mochte, sich auf sich selber zu besinnen. Auch diese Thatsache ist ein
kostbarer Beweis dafür, wie in den besten und ernstesten Geistern unsres Volkes
in schwerer Zeit des Darniederliegens der patriotischen Hoffnungen nicht minder der
große Glaube, die ruhig thätige Gewißheit lebte, daß in jenem Zwecke das
wahre Heil der Nation gefördert werde.


für die lebensvollen politischen Kräfte unserer Nation insoweit sie gesalbt ist
mit dem Oele protestantischer Bildung und vermöge dessen Antheil nimmt an
der Erarbeitung der Ideale des modernen Germanismus. Gemische wie er ist
in seinen Volksbestandtheilcn, gebrechlich in seinen geographischen Zuständen, in
allen Grundbedingungen fast nur auf die Spannung der Gegensätze gegründet,
liegt die Erklärung seiner Existenz jenseits aller realen Mittel und Kräfte in
der Weihe seines historischen Berufs. In seinem Dienste die Nation mit neuem
Inhalte erfüllend ergänzt er sich Glied um Glied aus dem Rumpfe des ver¬
fallenden Reichs in dem Maße, in dem er seiner Aufgabe fürs Ganze, dem er
entstammt ist, bewußt bleibt. Denn nur in ihr beruht sein Recht, sein Zweck,
seine Nothwendigkeit; er darf nicht anders wollen ohne sich selbst zu verläugnen.
In allen Phasen seiner vierhundertjährigen Geschichte sehen wir ihn das Loos
des Antäus tragen, der Riesenkraft besitzt, so lange er mit dem mütterlichen
Boden in Berührung steht, der aber, von ihm losgelöst, durch den Feind zer¬
malmt wird. Preußen hat und wird erfahren, baß dies Geschick unwandelbar
sich erfüllt, und wenn der Feind auch kein Alcide wäre. Darum liegt die
wahre Geschichte Preußens in der Wechselbeziehung von Pflichten, Hoffnungen
und Rechten, in welche dieser Staat und seine Meister zum Ganzen der Nation
getreten sind.

Diese Vorbemerkungen sollen dienen, den Charakter desjenigen Werkes frei¬
lich weniger zu bezeichnen als anzudeuten, dessen Inhalt die nachfolgende Dar¬
stellung vor Augen zu führen versucht. Durch die Vorgänge, welche sich in
diesen Tagen im Norden unsres Vaterlandes ereignen, wird die Erinnerung an
die ersten öffentlichen Kundgebungen seines Urhebers aufgefrischt. Sie nennt
ihn an hervorragender Stelle unter den Männern von Kiel, denen die Hingabe
ans Vaterland zur Katastrophe ihres Lebens wurde. Es ist bekannt wie
Droysen dann nach Jahren voll aufreibender Mühsal und schwerer Ent¬
täuschung in der classischen Freistätte deutscher Wissenschaft, in der jenaer Uni¬
versität, eine neue Heimath und trotz seiner eifrigen akademischen Lehrthätigkeit
dennoch die Muße fand, um das Hauptwerk seines Lebens zu begründen. Es
gelang ihm dies äußerlich vermöge der unbeugsamen Willensstärke und un¬
ermüdlichen Arbeitskraft, die ihm zu Gebote steht; innerlich aber dank der
hohen Gesinnung, welche alle seine Unternehmungen lenkt. Und nicht für seine
Person blos, sondern zugleich für die Nation ist es bedeutsam, daß er dort —
in xartibus — ein Werk begann, welches den preußischen Staat von damals
lehren mochte, sich auf sich selber zu besinnen. Auch diese Thatsache ist ein
kostbarer Beweis dafür, wie in den besten und ernstesten Geistern unsres Volkes
in schwerer Zeit des Darniederliegens der patriotischen Hoffnungen nicht minder der
große Glaube, die ruhig thätige Gewißheit lebte, daß in jenem Zwecke das
wahre Heil der Nation gefördert werde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/508>, abgerufen am 24.07.2024.