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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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sie in Folge dessen medo als ihrer Wohlfahrt gut ist, abhängen. Verbesserungen
anzubringen ist für sie bedenklich, da dieselben zwar den Ertrag der Wirthschaft
und das Behagen des Pächters erhöhen, aber in der Regel befürchten lassen,
daß der Besitzer des Gutes auf Grund des gesteigerten Werthes einen höhern
Pachtzins fordert. Die Folge ist, daß hier und in Strichen mit gleichen Besitz¬
verhältnissen das ärmste und am wenigsten strebsame Volk der Herzogthümer
wohnt.

Mit den Wagriern verwandt wahrscheinlich, aber durchgehends auf eignem
Grund und Boden sitzend, ist das kleine Völkchen der Propsteier, welches im
Osten der kielcr Bucht, von Wisch und Stakcndorf bis an den seiender See
etwa zwanzig Dörfer bewohnt, mit Fleiß und großem Erfolg die Landwirthschaft
betreibt, vortreffliches Saatkorn erzeugt und sich in der Fcsttracht seiner Frauen
noch einen Rest alter Moden bewahrt hat. Da die Propstei sehr stark bevölkert
ist, giebt es hier neben sehr Wohlhabenden auch viele Besitzlose, die bei der
Unmöglichkeit, an Ort und Stelle genügende Arbeit zu finden, einen Theil des
Jahres als wandernde Schnitter und Drescher umherziehen und dabei bis tief
in Schweden hinein Beschäftigung suchen. Ein stark ausgeprägter Patriotismus,
lebhafte Betheiligung am Kampfe für Schleswig-Holsteins Recht war den
Propsteiern in den Jahren der Erhebung nicht nachzurühmen. Sie thaten und
litten, was sie mühten. Jetzt soll es einigermaßen besser geworden sein.

Alle übrigen Holsten und Südschleswiger gehören dem großen Stamme
der Niedersachsen an, der, wie bekannt, auch den größten Theil des Landes
zwischen Unterwcser und Unterelbe, Lauenburg, das Hamburgische und Lübecksche,
sowie fast ganz Mecklenburg innehat und im gewöhnlichen Verkehr plattdeutsch
redet, ein derbes, kerniges, zähes Geschlecht, in allen Beziehungen aufs Prak¬
tische gerichtet, wortkarg, von nicht lebhafter Phantasie, eminent conservativ in
Betracht von Recht und Herkommen. Der Vorwurf, die Biederkeit des Sachsen
und sein Geradsinn äußere sich mitunter wie Grobheit, mag zutreffen; doch ist
er nicht blos diesen Bauern und Kleinstädtern zu machen, auch findet man sich
mit dieser Eigenschaft leichter ab als mit der zudringlichen, nicht selten falschen
Höflichkeit der Jnseldänen.

Die Niedersachsen reichen im Osten bis hinaus an die Schlei, in der Landes¬
mitte bis über das Dannewerk hinaus, im Westen bis zur untern Eider, doch
mögen sich hier, in Ditmarschen, Nordfriesen der Bevölkerung beigemischt haben.

Auch die Sachsen leben theilweise in Verhältnissen wie die Wagner. Die
Marschleute zwar sind ohne Ausnahme vollkommen freie Bauern, und dasselbe
gilt von den Bewohnern der hohen Geest. Weder unter jenen noch hier giebt
eS adelige Güter und Nachwehen der Leibeigenschaft. Dort wurde das Vor-
dringen der Ritterschaft vom Volke mit starker Hand abgewehrt, hier, in der
ärmeren Sand- und Sumpfgegend, lohnte das Unterjochen der Landbevölkerung


Grenzboten I. 1864. 61

sie in Folge dessen medo als ihrer Wohlfahrt gut ist, abhängen. Verbesserungen
anzubringen ist für sie bedenklich, da dieselben zwar den Ertrag der Wirthschaft
und das Behagen des Pächters erhöhen, aber in der Regel befürchten lassen,
daß der Besitzer des Gutes auf Grund des gesteigerten Werthes einen höhern
Pachtzins fordert. Die Folge ist, daß hier und in Strichen mit gleichen Besitz¬
verhältnissen das ärmste und am wenigsten strebsame Volk der Herzogthümer
wohnt.

Mit den Wagriern verwandt wahrscheinlich, aber durchgehends auf eignem
Grund und Boden sitzend, ist das kleine Völkchen der Propsteier, welches im
Osten der kielcr Bucht, von Wisch und Stakcndorf bis an den seiender See
etwa zwanzig Dörfer bewohnt, mit Fleiß und großem Erfolg die Landwirthschaft
betreibt, vortreffliches Saatkorn erzeugt und sich in der Fcsttracht seiner Frauen
noch einen Rest alter Moden bewahrt hat. Da die Propstei sehr stark bevölkert
ist, giebt es hier neben sehr Wohlhabenden auch viele Besitzlose, die bei der
Unmöglichkeit, an Ort und Stelle genügende Arbeit zu finden, einen Theil des
Jahres als wandernde Schnitter und Drescher umherziehen und dabei bis tief
in Schweden hinein Beschäftigung suchen. Ein stark ausgeprägter Patriotismus,
lebhafte Betheiligung am Kampfe für Schleswig-Holsteins Recht war den
Propsteiern in den Jahren der Erhebung nicht nachzurühmen. Sie thaten und
litten, was sie mühten. Jetzt soll es einigermaßen besser geworden sein.

Alle übrigen Holsten und Südschleswiger gehören dem großen Stamme
der Niedersachsen an, der, wie bekannt, auch den größten Theil des Landes
zwischen Unterwcser und Unterelbe, Lauenburg, das Hamburgische und Lübecksche,
sowie fast ganz Mecklenburg innehat und im gewöhnlichen Verkehr plattdeutsch
redet, ein derbes, kerniges, zähes Geschlecht, in allen Beziehungen aufs Prak¬
tische gerichtet, wortkarg, von nicht lebhafter Phantasie, eminent conservativ in
Betracht von Recht und Herkommen. Der Vorwurf, die Biederkeit des Sachsen
und sein Geradsinn äußere sich mitunter wie Grobheit, mag zutreffen; doch ist
er nicht blos diesen Bauern und Kleinstädtern zu machen, auch findet man sich
mit dieser Eigenschaft leichter ab als mit der zudringlichen, nicht selten falschen
Höflichkeit der Jnseldänen.

Die Niedersachsen reichen im Osten bis hinaus an die Schlei, in der Landes¬
mitte bis über das Dannewerk hinaus, im Westen bis zur untern Eider, doch
mögen sich hier, in Ditmarschen, Nordfriesen der Bevölkerung beigemischt haben.

Auch die Sachsen leben theilweise in Verhältnissen wie die Wagner. Die
Marschleute zwar sind ohne Ausnahme vollkommen freie Bauern, und dasselbe
gilt von den Bewohnern der hohen Geest. Weder unter jenen noch hier giebt
eS adelige Güter und Nachwehen der Leibeigenschaft. Dort wurde das Vor-
dringen der Ritterschaft vom Volke mit starker Hand abgewehrt, hier, in der
ärmeren Sand- und Sumpfgegend, lohnte das Unterjochen der Landbevölkerung


Grenzboten I. 1864. 61
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[0487] sie in Folge dessen medo als ihrer Wohlfahrt gut ist, abhängen. Verbesserungen anzubringen ist für sie bedenklich, da dieselben zwar den Ertrag der Wirthschaft und das Behagen des Pächters erhöhen, aber in der Regel befürchten lassen, daß der Besitzer des Gutes auf Grund des gesteigerten Werthes einen höhern Pachtzins fordert. Die Folge ist, daß hier und in Strichen mit gleichen Besitz¬ verhältnissen das ärmste und am wenigsten strebsame Volk der Herzogthümer wohnt. Mit den Wagriern verwandt wahrscheinlich, aber durchgehends auf eignem Grund und Boden sitzend, ist das kleine Völkchen der Propsteier, welches im Osten der kielcr Bucht, von Wisch und Stakcndorf bis an den seiender See etwa zwanzig Dörfer bewohnt, mit Fleiß und großem Erfolg die Landwirthschaft betreibt, vortreffliches Saatkorn erzeugt und sich in der Fcsttracht seiner Frauen noch einen Rest alter Moden bewahrt hat. Da die Propstei sehr stark bevölkert ist, giebt es hier neben sehr Wohlhabenden auch viele Besitzlose, die bei der Unmöglichkeit, an Ort und Stelle genügende Arbeit zu finden, einen Theil des Jahres als wandernde Schnitter und Drescher umherziehen und dabei bis tief in Schweden hinein Beschäftigung suchen. Ein stark ausgeprägter Patriotismus, lebhafte Betheiligung am Kampfe für Schleswig-Holsteins Recht war den Propsteiern in den Jahren der Erhebung nicht nachzurühmen. Sie thaten und litten, was sie mühten. Jetzt soll es einigermaßen besser geworden sein. Alle übrigen Holsten und Südschleswiger gehören dem großen Stamme der Niedersachsen an, der, wie bekannt, auch den größten Theil des Landes zwischen Unterwcser und Unterelbe, Lauenburg, das Hamburgische und Lübecksche, sowie fast ganz Mecklenburg innehat und im gewöhnlichen Verkehr plattdeutsch redet, ein derbes, kerniges, zähes Geschlecht, in allen Beziehungen aufs Prak¬ tische gerichtet, wortkarg, von nicht lebhafter Phantasie, eminent conservativ in Betracht von Recht und Herkommen. Der Vorwurf, die Biederkeit des Sachsen und sein Geradsinn äußere sich mitunter wie Grobheit, mag zutreffen; doch ist er nicht blos diesen Bauern und Kleinstädtern zu machen, auch findet man sich mit dieser Eigenschaft leichter ab als mit der zudringlichen, nicht selten falschen Höflichkeit der Jnseldänen. Die Niedersachsen reichen im Osten bis hinaus an die Schlei, in der Landes¬ mitte bis über das Dannewerk hinaus, im Westen bis zur untern Eider, doch mögen sich hier, in Ditmarschen, Nordfriesen der Bevölkerung beigemischt haben. Auch die Sachsen leben theilweise in Verhältnissen wie die Wagner. Die Marschleute zwar sind ohne Ausnahme vollkommen freie Bauern, und dasselbe gilt von den Bewohnern der hohen Geest. Weder unter jenen noch hier giebt eS adelige Güter und Nachwehen der Leibeigenschaft. Dort wurde das Vor- dringen der Ritterschaft vom Volke mit starker Hand abgewehrt, hier, in der ärmeren Sand- und Sumpfgegend, lohnte das Unterjochen der Landbevölkerung Grenzboten I. 1864. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/487>, abgerufen am 24.07.2024.