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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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weggeworfen hatte. Er war von Frauenhand und mit deutschen Buchstabe" ge¬
schrieben, von Kopenhagen datirt und erst einige Tage alt. Die Gesellschaft in
unserm Wagen erwartete zarte Geheimnisse, und mehr als einer mochte sich schon
das Bild einer trauernden Braut zurechtzumachen im Begriff sein. Arge Ent¬
täuschung! Der Inhalt des Schreibens war so wenig poetisch wie die Verwundung,
welche den Todten niedergestreckt. Nicht eine Geliebte, sondern jedenfalls eine
Schwester und zwar eine sehr achtungswerthe, aber ungemein prosaische Schwester,
war die Verfasserin. Nichts von liebevollen Befürchtungen für das Leben des in
den Krieg Gezognen, nichts von Hoffnungen, daß man ihn gesund wiederzusehen
gedenke, frommen Wünschen u. d. in. Auch nichts von Liebe zum Vaterlande,
für das der Bruder die Waffen trug, überhaupt nichts von hohen Dingen.
Nur rein Wirthschaftliches und Kaufmännisches und daneben Vermahnungen,
sich ordentlich zu betragen und sich nicht verführen zu lassen. Zweimal, zu
Anfang und zu Ende, wenn ich mich recht erinnere, war von dem Preise der
Butter in Kopenhagen die Rede, und dazwischen hieß es ungefähr: "Vater sagt,
daß zu Christian Christiansen nichts ist, vor dem möchtest Du Dich daher, als
vor einem liederlichen Burschen, in Acht nehmen. Und von Jens Sörensen wird
auch nichts Gutes gesprochen, er soll ebenfalls nicht viel taugen. Du wirst
daher Wohl thun, Dich auch mit dem nicht einzulassen, wenn ihr zusammen
seid." Zum Schluß ein kurzes kaltes "Lebewohl und Vater und Mutter
lassen grüßen."

Ich habe keine Neigung, dem todten Feinde, wie hier vorgekommen, einen
Tritt mit ins Grab zu geben, und so hoffe ich, daß der Betreffende bei Lebzeiten
einige bessere und höhere Interessen kannte, als seine Fräulein Schwester, und
daß er mehr an seiner Familie hing als diese. Andernfalls hätte man.nur zu
bedauern, daß die Welt in dem armen Jens einen hoffnungsvollen Butter- und
Fettwaarenhändler eingebüßt hat, und das ist nicht viel, zumal die Schwester
nach dem Briefe zu schließen, seine Stelle ausfüllen konnte.

Jenseits Büllschau auf dem Moor zur Linken der Chaussee noch mehr
Todte und noch mehr weggeworfene Käppis und Tornister. Wir hatten indeß
genug davon gesehen, um von Neuem auszusteigen.

In Flensburg wurde bei Doll eingekehrt, der seinen Gasthof voll preußische
und östreichische Offiziere hatte, unter denen wir auch den Kronprinzen und den
Prinzen Albrecht sahen. Der südliche Theil der Stadt war reichlich mit Fahnen
geschmückt, im Norden wurden sie seltener und die nördlichsten Straßen, jen¬
seits des Holm, hatten weder von Blaurothwciß, noch von Schwarzrothgold
etwas wissen wollen. Wir fanden eine hübsche Wohnung gegenüber dem Stände¬
hause, dessen dänische Inschrift. ,MtIr 1oK kannt sK-M d^3'>W" (mit
Gesetz soll das Land erbaut werden) uns, verglichen mit der Gewaltherrschaft
und der fanatischem Willkür ohne Gleichen, welche die letzten Jahre hindurch


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weggeworfen hatte. Er war von Frauenhand und mit deutschen Buchstabe» ge¬
schrieben, von Kopenhagen datirt und erst einige Tage alt. Die Gesellschaft in
unserm Wagen erwartete zarte Geheimnisse, und mehr als einer mochte sich schon
das Bild einer trauernden Braut zurechtzumachen im Begriff sein. Arge Ent¬
täuschung! Der Inhalt des Schreibens war so wenig poetisch wie die Verwundung,
welche den Todten niedergestreckt. Nicht eine Geliebte, sondern jedenfalls eine
Schwester und zwar eine sehr achtungswerthe, aber ungemein prosaische Schwester,
war die Verfasserin. Nichts von liebevollen Befürchtungen für das Leben des in
den Krieg Gezognen, nichts von Hoffnungen, daß man ihn gesund wiederzusehen
gedenke, frommen Wünschen u. d. in. Auch nichts von Liebe zum Vaterlande,
für das der Bruder die Waffen trug, überhaupt nichts von hohen Dingen.
Nur rein Wirthschaftliches und Kaufmännisches und daneben Vermahnungen,
sich ordentlich zu betragen und sich nicht verführen zu lassen. Zweimal, zu
Anfang und zu Ende, wenn ich mich recht erinnere, war von dem Preise der
Butter in Kopenhagen die Rede, und dazwischen hieß es ungefähr: „Vater sagt,
daß zu Christian Christiansen nichts ist, vor dem möchtest Du Dich daher, als
vor einem liederlichen Burschen, in Acht nehmen. Und von Jens Sörensen wird
auch nichts Gutes gesprochen, er soll ebenfalls nicht viel taugen. Du wirst
daher Wohl thun, Dich auch mit dem nicht einzulassen, wenn ihr zusammen
seid." Zum Schluß ein kurzes kaltes „Lebewohl und Vater und Mutter
lassen grüßen."

Ich habe keine Neigung, dem todten Feinde, wie hier vorgekommen, einen
Tritt mit ins Grab zu geben, und so hoffe ich, daß der Betreffende bei Lebzeiten
einige bessere und höhere Interessen kannte, als seine Fräulein Schwester, und
daß er mehr an seiner Familie hing als diese. Andernfalls hätte man.nur zu
bedauern, daß die Welt in dem armen Jens einen hoffnungsvollen Butter- und
Fettwaarenhändler eingebüßt hat, und das ist nicht viel, zumal die Schwester
nach dem Briefe zu schließen, seine Stelle ausfüllen konnte.

Jenseits Büllschau auf dem Moor zur Linken der Chaussee noch mehr
Todte und noch mehr weggeworfene Käppis und Tornister. Wir hatten indeß
genug davon gesehen, um von Neuem auszusteigen.

In Flensburg wurde bei Doll eingekehrt, der seinen Gasthof voll preußische
und östreichische Offiziere hatte, unter denen wir auch den Kronprinzen und den
Prinzen Albrecht sahen. Der südliche Theil der Stadt war reichlich mit Fahnen
geschmückt, im Norden wurden sie seltener und die nördlichsten Straßen, jen¬
seits des Holm, hatten weder von Blaurothwciß, noch von Schwarzrothgold
etwas wissen wollen. Wir fanden eine hübsche Wohnung gegenüber dem Stände¬
hause, dessen dänische Inschrift. ,MtIr 1oK kannt sK-M d^3'>W" (mit
Gesetz soll das Land erbaut werden) uns, verglichen mit der Gewaltherrschaft
und der fanatischem Willkür ohne Gleichen, welche die letzten Jahre hindurch


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[0473] weggeworfen hatte. Er war von Frauenhand und mit deutschen Buchstabe» ge¬ schrieben, von Kopenhagen datirt und erst einige Tage alt. Die Gesellschaft in unserm Wagen erwartete zarte Geheimnisse, und mehr als einer mochte sich schon das Bild einer trauernden Braut zurechtzumachen im Begriff sein. Arge Ent¬ täuschung! Der Inhalt des Schreibens war so wenig poetisch wie die Verwundung, welche den Todten niedergestreckt. Nicht eine Geliebte, sondern jedenfalls eine Schwester und zwar eine sehr achtungswerthe, aber ungemein prosaische Schwester, war die Verfasserin. Nichts von liebevollen Befürchtungen für das Leben des in den Krieg Gezognen, nichts von Hoffnungen, daß man ihn gesund wiederzusehen gedenke, frommen Wünschen u. d. in. Auch nichts von Liebe zum Vaterlande, für das der Bruder die Waffen trug, überhaupt nichts von hohen Dingen. Nur rein Wirthschaftliches und Kaufmännisches und daneben Vermahnungen, sich ordentlich zu betragen und sich nicht verführen zu lassen. Zweimal, zu Anfang und zu Ende, wenn ich mich recht erinnere, war von dem Preise der Butter in Kopenhagen die Rede, und dazwischen hieß es ungefähr: „Vater sagt, daß zu Christian Christiansen nichts ist, vor dem möchtest Du Dich daher, als vor einem liederlichen Burschen, in Acht nehmen. Und von Jens Sörensen wird auch nichts Gutes gesprochen, er soll ebenfalls nicht viel taugen. Du wirst daher Wohl thun, Dich auch mit dem nicht einzulassen, wenn ihr zusammen seid." Zum Schluß ein kurzes kaltes „Lebewohl und Vater und Mutter lassen grüßen." Ich habe keine Neigung, dem todten Feinde, wie hier vorgekommen, einen Tritt mit ins Grab zu geben, und so hoffe ich, daß der Betreffende bei Lebzeiten einige bessere und höhere Interessen kannte, als seine Fräulein Schwester, und daß er mehr an seiner Familie hing als diese. Andernfalls hätte man.nur zu bedauern, daß die Welt in dem armen Jens einen hoffnungsvollen Butter- und Fettwaarenhändler eingebüßt hat, und das ist nicht viel, zumal die Schwester nach dem Briefe zu schließen, seine Stelle ausfüllen konnte. Jenseits Büllschau auf dem Moor zur Linken der Chaussee noch mehr Todte und noch mehr weggeworfene Käppis und Tornister. Wir hatten indeß genug davon gesehen, um von Neuem auszusteigen. In Flensburg wurde bei Doll eingekehrt, der seinen Gasthof voll preußische und östreichische Offiziere hatte, unter denen wir auch den Kronprinzen und den Prinzen Albrecht sahen. Der südliche Theil der Stadt war reichlich mit Fahnen geschmückt, im Norden wurden sie seltener und die nördlichsten Straßen, jen¬ seits des Holm, hatten weder von Blaurothwciß, noch von Schwarzrothgold etwas wissen wollen. Wir fanden eine hübsche Wohnung gegenüber dem Stände¬ hause, dessen dänische Inschrift. ,MtIr 1oK kannt sK-M d^3'>W" (mit Gesetz soll das Land erbaut werden) uns, verglichen mit der Gewaltherrschaft und der fanatischem Willkür ohne Gleichen, welche die letzten Jahre hindurch SV*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/473>, abgerufen am 24.07.2024.