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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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stiansfeld fehlte. Man sagt, die frommen Brüder fürchteten durch politische
Kundgebungen ihre Privilegien zu verscherzen. Dagegen soll sich ein Bewoh¬
ner der ganz dänisch redenden Insel Arröe als gur deutsch Gesinnter mit im
Zuge befunden haben. Sundewitt war schwach vertreten, ebenso Törningiehen,
was sich indeß aus dem Angeführten erklärt. Die Mehrzahl der Angesehenen
auf dem Lande ist auch hier deutsch gesinnt, obwohl man im Hause platt-
dänisch spricht, und wenn die Wahlen hier nicht das mit Sicherheit erwartete
Ergebniß lieferten, so ist der hauptsächlichste Grund die starke Einquartirung
und die dadurch hervorgerufene Scheu der Bauern, sich von Haus und Hof
auch nur für kurze Zeit zu entfernen. Wo dies nicht einwirkte, war es Furcht
vor den Dänen, nicht mangelnde Liebe zu den Landesgenossen im Süden,
welche zurückhielt. Der Nordschleswiger ist ein Charakter, unter dessen Tugen¬
den Vorsicht die erste Stelle einnimmt. Die Jahre 18S0 und 1831 sind nicht
dazu angethan gewesen, ihn weniger bedächtig zu machen, und die bisher von
den Civilcommissaren für Schleswig in Betreff der dänischen Beamten getroffe¬
nen Maßregeln sind auch nicht von der Art, daß man sich dringend veranlaßt
sehen müßte, fortan in einem neuen Leben zu wandeln. Etwas mehr Courage
freilich könnte nichts schaden, aber wie will man sie einfachen Bauern zumuthen,
wo man zwei Großmächte Bedenken tragen sieht, dem Recht und der Wahr¬
heit die Ehre zu geben!

Ohne Musik ging der Zug über die Holstenstraße und durch die Vorstadt
nach dem Bahnhof. Weder Blumenwerfen und Tücherwehen der Damen, noch
Zurufe, wie sie im Süden üblich. Der Holsteiner ist ein stiller, ruhiger Cha¬
rakter, und so machte die Stille der Procession nur den Eindruck des Ernster,
nicht des Gleichgültigen.

Die Bahnhofshalle war inzwischen mit drei großen deutschen und ebenso-
vielen Schleswig-holsteinischen Fahnen geschmückt worden, und auf dem der
Stadt zugekehrten Perron war für den Herzog eine Estrade errichtet worden,
über der sich ein rothsammtner Thronhimmel mit dem Landeswappen, blauroth-
weißer Draperie und Grün von Stechpalmen erhob, während vor ihr teppich¬
belegte Stufen nach dem Schienenweg hinabführten, wo die Schleswiger sich
-- im Ganzen ungefähr 1400 Mann stark -- die Gesichter nach der Estrade
gewendet, aufstellten.

Das Schleswiger Conn6 nahm zur Rechten, das kieler zur Linken des Thron¬
himmels Platz. Auf dem Perron gegenüber stellten sich Zuschauer aus Kiel,
darunter viele Damen, auch preußische Soldaten, auf. Um halb zwei Uhr er¬
schien der Herzog in Begleitung eines kleinen dunkelbärtigen Herren mit Lorg¬
nette und auf die Seite gesetzten Hut, der dem Vernehmen nach ein Prinz
oder Fürst Neuß war. Im einfachen Winterrock, den Hut in der Hand schritt
der Herzog auf dem Perron nach der Estrade mit dem Thronhimmel hin, wo


stiansfeld fehlte. Man sagt, die frommen Brüder fürchteten durch politische
Kundgebungen ihre Privilegien zu verscherzen. Dagegen soll sich ein Bewoh¬
ner der ganz dänisch redenden Insel Arröe als gur deutsch Gesinnter mit im
Zuge befunden haben. Sundewitt war schwach vertreten, ebenso Törningiehen,
was sich indeß aus dem Angeführten erklärt. Die Mehrzahl der Angesehenen
auf dem Lande ist auch hier deutsch gesinnt, obwohl man im Hause platt-
dänisch spricht, und wenn die Wahlen hier nicht das mit Sicherheit erwartete
Ergebniß lieferten, so ist der hauptsächlichste Grund die starke Einquartirung
und die dadurch hervorgerufene Scheu der Bauern, sich von Haus und Hof
auch nur für kurze Zeit zu entfernen. Wo dies nicht einwirkte, war es Furcht
vor den Dänen, nicht mangelnde Liebe zu den Landesgenossen im Süden,
welche zurückhielt. Der Nordschleswiger ist ein Charakter, unter dessen Tugen¬
den Vorsicht die erste Stelle einnimmt. Die Jahre 18S0 und 1831 sind nicht
dazu angethan gewesen, ihn weniger bedächtig zu machen, und die bisher von
den Civilcommissaren für Schleswig in Betreff der dänischen Beamten getroffe¬
nen Maßregeln sind auch nicht von der Art, daß man sich dringend veranlaßt
sehen müßte, fortan in einem neuen Leben zu wandeln. Etwas mehr Courage
freilich könnte nichts schaden, aber wie will man sie einfachen Bauern zumuthen,
wo man zwei Großmächte Bedenken tragen sieht, dem Recht und der Wahr¬
heit die Ehre zu geben!

Ohne Musik ging der Zug über die Holstenstraße und durch die Vorstadt
nach dem Bahnhof. Weder Blumenwerfen und Tücherwehen der Damen, noch
Zurufe, wie sie im Süden üblich. Der Holsteiner ist ein stiller, ruhiger Cha¬
rakter, und so machte die Stille der Procession nur den Eindruck des Ernster,
nicht des Gleichgültigen.

Die Bahnhofshalle war inzwischen mit drei großen deutschen und ebenso-
vielen Schleswig-holsteinischen Fahnen geschmückt worden, und auf dem der
Stadt zugekehrten Perron war für den Herzog eine Estrade errichtet worden,
über der sich ein rothsammtner Thronhimmel mit dem Landeswappen, blauroth-
weißer Draperie und Grün von Stechpalmen erhob, während vor ihr teppich¬
belegte Stufen nach dem Schienenweg hinabführten, wo die Schleswiger sich
— im Ganzen ungefähr 1400 Mann stark — die Gesichter nach der Estrade
gewendet, aufstellten.

Das Schleswiger Conn6 nahm zur Rechten, das kieler zur Linken des Thron¬
himmels Platz. Auf dem Perron gegenüber stellten sich Zuschauer aus Kiel,
darunter viele Damen, auch preußische Soldaten, auf. Um halb zwei Uhr er¬
schien der Herzog in Begleitung eines kleinen dunkelbärtigen Herren mit Lorg¬
nette und auf die Seite gesetzten Hut, der dem Vernehmen nach ein Prinz
oder Fürst Neuß war. Im einfachen Winterrock, den Hut in der Hand schritt
der Herzog auf dem Perron nach der Estrade mit dem Thronhimmel hin, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/405>, abgerufen am 24.07.2024.