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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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läßt, aber doch der englischen, türkischen, spanischen und vielleicht auch noch der
italienischen Armee voransteht.

Versteht man aber unter einem "Militärstaat" ein Land, welches die ge-
sammte physische Wehrkraft seiner Bewohner in Anspruch nimmt oder im Noth¬
falle in Anspruch nehmen kann, ein Land, dessen Institutionen als letztes Ziel
nur die höchste militärische Machtentwicklung und Schlagfertigkeit verfolgen und
wo mit einem Worte der Soldat der Erste und Letzte im Staate ist, dann ist
Oestreich nichts weniger als ein Militärstaat und verdiente eher ein Priester-,
ein Aristokraten-, vor allem aber ein Beamtenstaat genannt zu werden. Und
wahrlich es stände besser, wenn auch nicht um die geistige Entwicklung und die
Freiheit des Landes, so doch um dessen Machtstellung und um das materielle
Wohlsein der Bewohner, wenn Oestreich ein Militärstaat in diesem engeren
Sinne wäre. Die zweite Hälfte des Jahres 1849, als in fast allen östreichischen
Provinzen der Belagerungszustand, also der Säbel herrschte, war in der That
eine weit angenehmere Zeit, als die folgenden Jahre, in welchen Bach und
seine Genossen, also die Bureaukraten und Pfaffen das Regiment führten. Und
weil das Letztere der Fall war, litten auch die militärischen Institutionen in
einer fühlbaren Weise, da man nicht nur die Armee überhaupt dem Beamten-
und Priesterthum, sondern in der Armee selbst die eigentlichen Soldaten, die
Combattanten den sogenannten "Militärbeamten und Militärparteien", also
dem administrativen Personal nachsetzte.

Daß das Heer nicht ausschließlich aus streitbaren bestehen kann, daß für
die verschiedenartigen Zweige der Verwaltung, für die Gesundheits- und Justiz-
pflege, für Cultus und Unterricht und andere Fächer eigene, von der Theilnahme
am Kampfe befreite Individuen verwendet werden müssen, ergibt sich sowohl
aus der Nothwendigkeit, als auch aus dem Beispiel nicht nur aller heutigen,
sondern auch aller Kriegsheere, über welche uns die Geschichte Mittheilung
macht. Die Römer hatten ihre Qucistvren, Aedilen, Auguren, Priester und
Aerzte, welche allerdings mit der Armee in das Feld zogen, aber an dem Ge¬
fechte nicht theilnahmen, sondern während desselben bei dem, nebenbei gesagt,
ziemlich zahlreichen Troß verblieben. Ebenso die Griechen, Macedonier und
später die Türken und Araber. Und selbst die nur für kurze Zeit aufgebotenen
und gewöhnlich ohne jedes System zusammengestellten Heere des Mittelalters
hatten ihre Aerzte, Richter, Schreiber, Seckelmeister und tgi.

Aber sobald die Administration den ihr angewiesenen Raum über¬
schreitet und das Personal derselben, sich beständig vermehrend, endlich zu einer
Zahl anwächst, welche ein Viertheil der gesammten Streiterzahl erreicht, sobald
nahezu die Hälfte des Militärbudgets zur Besoldung der Administrationsorgane
verwendet werden muß und trotz dem Allen die Armee noch immer höchst
mangelhaft verwaltet wird, dann ist die Sachlage mehr als bedenklich und die


läßt, aber doch der englischen, türkischen, spanischen und vielleicht auch noch der
italienischen Armee voransteht.

Versteht man aber unter einem „Militärstaat" ein Land, welches die ge-
sammte physische Wehrkraft seiner Bewohner in Anspruch nimmt oder im Noth¬
falle in Anspruch nehmen kann, ein Land, dessen Institutionen als letztes Ziel
nur die höchste militärische Machtentwicklung und Schlagfertigkeit verfolgen und
wo mit einem Worte der Soldat der Erste und Letzte im Staate ist, dann ist
Oestreich nichts weniger als ein Militärstaat und verdiente eher ein Priester-,
ein Aristokraten-, vor allem aber ein Beamtenstaat genannt zu werden. Und
wahrlich es stände besser, wenn auch nicht um die geistige Entwicklung und die
Freiheit des Landes, so doch um dessen Machtstellung und um das materielle
Wohlsein der Bewohner, wenn Oestreich ein Militärstaat in diesem engeren
Sinne wäre. Die zweite Hälfte des Jahres 1849, als in fast allen östreichischen
Provinzen der Belagerungszustand, also der Säbel herrschte, war in der That
eine weit angenehmere Zeit, als die folgenden Jahre, in welchen Bach und
seine Genossen, also die Bureaukraten und Pfaffen das Regiment führten. Und
weil das Letztere der Fall war, litten auch die militärischen Institutionen in
einer fühlbaren Weise, da man nicht nur die Armee überhaupt dem Beamten-
und Priesterthum, sondern in der Armee selbst die eigentlichen Soldaten, die
Combattanten den sogenannten „Militärbeamten und Militärparteien", also
dem administrativen Personal nachsetzte.

Daß das Heer nicht ausschließlich aus streitbaren bestehen kann, daß für
die verschiedenartigen Zweige der Verwaltung, für die Gesundheits- und Justiz-
pflege, für Cultus und Unterricht und andere Fächer eigene, von der Theilnahme
am Kampfe befreite Individuen verwendet werden müssen, ergibt sich sowohl
aus der Nothwendigkeit, als auch aus dem Beispiel nicht nur aller heutigen,
sondern auch aller Kriegsheere, über welche uns die Geschichte Mittheilung
macht. Die Römer hatten ihre Qucistvren, Aedilen, Auguren, Priester und
Aerzte, welche allerdings mit der Armee in das Feld zogen, aber an dem Ge¬
fechte nicht theilnahmen, sondern während desselben bei dem, nebenbei gesagt,
ziemlich zahlreichen Troß verblieben. Ebenso die Griechen, Macedonier und
später die Türken und Araber. Und selbst die nur für kurze Zeit aufgebotenen
und gewöhnlich ohne jedes System zusammengestellten Heere des Mittelalters
hatten ihre Aerzte, Richter, Schreiber, Seckelmeister und tgi.

Aber sobald die Administration den ihr angewiesenen Raum über¬
schreitet und das Personal derselben, sich beständig vermehrend, endlich zu einer
Zahl anwächst, welche ein Viertheil der gesammten Streiterzahl erreicht, sobald
nahezu die Hälfte des Militärbudgets zur Besoldung der Administrationsorgane
verwendet werden muß und trotz dem Allen die Armee noch immer höchst
mangelhaft verwaltet wird, dann ist die Sachlage mehr als bedenklich und die


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[0392] läßt, aber doch der englischen, türkischen, spanischen und vielleicht auch noch der italienischen Armee voransteht. Versteht man aber unter einem „Militärstaat" ein Land, welches die ge- sammte physische Wehrkraft seiner Bewohner in Anspruch nimmt oder im Noth¬ falle in Anspruch nehmen kann, ein Land, dessen Institutionen als letztes Ziel nur die höchste militärische Machtentwicklung und Schlagfertigkeit verfolgen und wo mit einem Worte der Soldat der Erste und Letzte im Staate ist, dann ist Oestreich nichts weniger als ein Militärstaat und verdiente eher ein Priester-, ein Aristokraten-, vor allem aber ein Beamtenstaat genannt zu werden. Und wahrlich es stände besser, wenn auch nicht um die geistige Entwicklung und die Freiheit des Landes, so doch um dessen Machtstellung und um das materielle Wohlsein der Bewohner, wenn Oestreich ein Militärstaat in diesem engeren Sinne wäre. Die zweite Hälfte des Jahres 1849, als in fast allen östreichischen Provinzen der Belagerungszustand, also der Säbel herrschte, war in der That eine weit angenehmere Zeit, als die folgenden Jahre, in welchen Bach und seine Genossen, also die Bureaukraten und Pfaffen das Regiment führten. Und weil das Letztere der Fall war, litten auch die militärischen Institutionen in einer fühlbaren Weise, da man nicht nur die Armee überhaupt dem Beamten- und Priesterthum, sondern in der Armee selbst die eigentlichen Soldaten, die Combattanten den sogenannten „Militärbeamten und Militärparteien", also dem administrativen Personal nachsetzte. Daß das Heer nicht ausschließlich aus streitbaren bestehen kann, daß für die verschiedenartigen Zweige der Verwaltung, für die Gesundheits- und Justiz- pflege, für Cultus und Unterricht und andere Fächer eigene, von der Theilnahme am Kampfe befreite Individuen verwendet werden müssen, ergibt sich sowohl aus der Nothwendigkeit, als auch aus dem Beispiel nicht nur aller heutigen, sondern auch aller Kriegsheere, über welche uns die Geschichte Mittheilung macht. Die Römer hatten ihre Qucistvren, Aedilen, Auguren, Priester und Aerzte, welche allerdings mit der Armee in das Feld zogen, aber an dem Ge¬ fechte nicht theilnahmen, sondern während desselben bei dem, nebenbei gesagt, ziemlich zahlreichen Troß verblieben. Ebenso die Griechen, Macedonier und später die Türken und Araber. Und selbst die nur für kurze Zeit aufgebotenen und gewöhnlich ohne jedes System zusammengestellten Heere des Mittelalters hatten ihre Aerzte, Richter, Schreiber, Seckelmeister und tgi. Aber sobald die Administration den ihr angewiesenen Raum über¬ schreitet und das Personal derselben, sich beständig vermehrend, endlich zu einer Zahl anwächst, welche ein Viertheil der gesammten Streiterzahl erreicht, sobald nahezu die Hälfte des Militärbudgets zur Besoldung der Administrationsorgane verwendet werden muß und trotz dem Allen die Armee noch immer höchst mangelhaft verwaltet wird, dann ist die Sachlage mehr als bedenklich und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/392>, abgerufen am 24.07.2024.