Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leibeigenschaft wiederherzustellen, erfreute sich in der Ritterschaft großen Beifalls,
nur daß manchem die von dem Comits aufgestellten Grundsätze noch nicht be¬
stimmt und scharf genug gesaßt schienen, auch die dem Gebiete der Sittlichkeit
entlehnten Motive weniger betont wurden als der für den Gutsherrn von der
Beschränkung der Arbeitssreiheit zu erwartende materielle Nutzen. Kammerherr
v. Oertzen auf Kotelow wünschte, daß alle jungen Leute in jedem ritterschaft¬
lichen Gute bestimmt verpflichtet würden, bis zum einundzwanzigsten Lebensjahre
zu dienen, und erst von diesem Zeitpunkt an Freiheit erhielten, gegen Tagelohn
oder in Accord zu arbeiten. Herr Lemcke aus Dratow verlangt, da man kaum
noch männliche Dienstboten bekommen könne, ein Gesetz, welches überhaupt den
jungen Leuten die Arbeit außerhalb ihres Heimathsguts verbietet. In der
ganzen Ritterschaft nahm nur der bekannte Führer der liberalen Partei in der
Ritterschaft, Herr August Pogge auf Poelitz, welcher fast allein von der ganzen
Partei die Landtage noch besucht und von Anfang bis zu Ende auf denselben
ausharrt, sich der gefährdeten Interessen des Arbeiterstandes gegen die Ausbeu¬
tungsgelüste der ritterlichen Herren mit männlicher Entschiedenheit an. Man
habe kein Recht, bemerkte er, dem jungen Arbeiter seinen Verdienst zu schmälern.
Als Knecht erwerbe er jährlich 30 bis 40 Thaler, als freier Arbeiter dagegen
120 bis 150 Thaler, wovon manche jährlich 60 bis 70 Thaler ersparten und
sich dadurch die Mittel für ihre häusliche Einrichtung bei ihrer spätern Nieder¬
lassung sicherten. Freiherr v. Maltzan auf Klein-Luckow, Klosterhauptmann zu
Dobbertin, der Referent des Comite, erwiederte: es komme nicht darauf an,
daß viel Geld verdient, sondern daß Zucht und Sitte gefördert werde, und das
geschehe mehr, wenn man die Arbeiter zum Dienen zwinge, als wenn man
ihnen die freie Verwerthung ihrer Arbeitskraft gestatte. Herr v. Oertzen auf
Brunn forderte die Versammlung auf, doch auch einmal für das Interesse der
Arbeitgeber zu sorgen, nachdem man bisher immer nur das Interesse der
Arbeiter und Dienenden ins Auge gefaßt habe. Einige Bürgermeister gestatteten
sich einen Tadel der eigennützigen Motive, aus welchen die Anträge hervor-
gegangen seien. Von der Gegenpartei ward noch das Argument ins Feld ge¬
führt, daß die jungen Leute, wenn sie bei der Arbeit außerhalb des Gutes
Schaden nähmen, als Krüppel oder Kranke dem Gutsherrn zur Last sielen, und
daß diesem deswegen das Recht zustehen müsse, sich ihrer Dienste bis zum voll¬
endeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre zu versichern und sie an >der Aufsuchung
auswärtiger Arbeit zu hindern. Andere riethen, der Staatsregierung die Ini¬
tiative in dieser Frage zu überlassen und die Verhandlung einstweilen nicht
weiter fortzusetzen. Diese Ansicht drang schließlich durch; doch werden voraus¬
sichtlich, da der Dienstbotenmangel sich immer fühlbarer machen wird, die damit
vorläufig zur Ruhe gebrachten Anträge auf jedem Landtage wiederkehren.

Ein Gegenstand verwandter Art, welcher den Landtag beschäftigte, war


Leibeigenschaft wiederherzustellen, erfreute sich in der Ritterschaft großen Beifalls,
nur daß manchem die von dem Comits aufgestellten Grundsätze noch nicht be¬
stimmt und scharf genug gesaßt schienen, auch die dem Gebiete der Sittlichkeit
entlehnten Motive weniger betont wurden als der für den Gutsherrn von der
Beschränkung der Arbeitssreiheit zu erwartende materielle Nutzen. Kammerherr
v. Oertzen auf Kotelow wünschte, daß alle jungen Leute in jedem ritterschaft¬
lichen Gute bestimmt verpflichtet würden, bis zum einundzwanzigsten Lebensjahre
zu dienen, und erst von diesem Zeitpunkt an Freiheit erhielten, gegen Tagelohn
oder in Accord zu arbeiten. Herr Lemcke aus Dratow verlangt, da man kaum
noch männliche Dienstboten bekommen könne, ein Gesetz, welches überhaupt den
jungen Leuten die Arbeit außerhalb ihres Heimathsguts verbietet. In der
ganzen Ritterschaft nahm nur der bekannte Führer der liberalen Partei in der
Ritterschaft, Herr August Pogge auf Poelitz, welcher fast allein von der ganzen
Partei die Landtage noch besucht und von Anfang bis zu Ende auf denselben
ausharrt, sich der gefährdeten Interessen des Arbeiterstandes gegen die Ausbeu¬
tungsgelüste der ritterlichen Herren mit männlicher Entschiedenheit an. Man
habe kein Recht, bemerkte er, dem jungen Arbeiter seinen Verdienst zu schmälern.
Als Knecht erwerbe er jährlich 30 bis 40 Thaler, als freier Arbeiter dagegen
120 bis 150 Thaler, wovon manche jährlich 60 bis 70 Thaler ersparten und
sich dadurch die Mittel für ihre häusliche Einrichtung bei ihrer spätern Nieder¬
lassung sicherten. Freiherr v. Maltzan auf Klein-Luckow, Klosterhauptmann zu
Dobbertin, der Referent des Comite, erwiederte: es komme nicht darauf an,
daß viel Geld verdient, sondern daß Zucht und Sitte gefördert werde, und das
geschehe mehr, wenn man die Arbeiter zum Dienen zwinge, als wenn man
ihnen die freie Verwerthung ihrer Arbeitskraft gestatte. Herr v. Oertzen auf
Brunn forderte die Versammlung auf, doch auch einmal für das Interesse der
Arbeitgeber zu sorgen, nachdem man bisher immer nur das Interesse der
Arbeiter und Dienenden ins Auge gefaßt habe. Einige Bürgermeister gestatteten
sich einen Tadel der eigennützigen Motive, aus welchen die Anträge hervor-
gegangen seien. Von der Gegenpartei ward noch das Argument ins Feld ge¬
führt, daß die jungen Leute, wenn sie bei der Arbeit außerhalb des Gutes
Schaden nähmen, als Krüppel oder Kranke dem Gutsherrn zur Last sielen, und
daß diesem deswegen das Recht zustehen müsse, sich ihrer Dienste bis zum voll¬
endeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre zu versichern und sie an >der Aufsuchung
auswärtiger Arbeit zu hindern. Andere riethen, der Staatsregierung die Ini¬
tiative in dieser Frage zu überlassen und die Verhandlung einstweilen nicht
weiter fortzusetzen. Diese Ansicht drang schließlich durch; doch werden voraus¬
sichtlich, da der Dienstbotenmangel sich immer fühlbarer machen wird, die damit
vorläufig zur Ruhe gebrachten Anträge auf jedem Landtage wiederkehren.

Ein Gegenstand verwandter Art, welcher den Landtag beschäftigte, war


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116846"/>
          <p xml:id="ID_1149" prev="#ID_1148"> Leibeigenschaft wiederherzustellen, erfreute sich in der Ritterschaft großen Beifalls,<lb/>
nur daß manchem die von dem Comits aufgestellten Grundsätze noch nicht be¬<lb/>
stimmt und scharf genug gesaßt schienen, auch die dem Gebiete der Sittlichkeit<lb/>
entlehnten Motive weniger betont wurden als der für den Gutsherrn von der<lb/>
Beschränkung der Arbeitssreiheit zu erwartende materielle Nutzen. Kammerherr<lb/>
v. Oertzen auf Kotelow wünschte, daß alle jungen Leute in jedem ritterschaft¬<lb/>
lichen Gute bestimmt verpflichtet würden, bis zum einundzwanzigsten Lebensjahre<lb/>
zu dienen, und erst von diesem Zeitpunkt an Freiheit erhielten, gegen Tagelohn<lb/>
oder in Accord zu arbeiten. Herr Lemcke aus Dratow verlangt, da man kaum<lb/>
noch männliche Dienstboten bekommen könne, ein Gesetz, welches überhaupt den<lb/>
jungen Leuten die Arbeit außerhalb ihres Heimathsguts verbietet. In der<lb/>
ganzen Ritterschaft nahm nur der bekannte Führer der liberalen Partei in der<lb/>
Ritterschaft, Herr August Pogge auf Poelitz, welcher fast allein von der ganzen<lb/>
Partei die Landtage noch besucht und von Anfang bis zu Ende auf denselben<lb/>
ausharrt, sich der gefährdeten Interessen des Arbeiterstandes gegen die Ausbeu¬<lb/>
tungsgelüste der ritterlichen Herren mit männlicher Entschiedenheit an. Man<lb/>
habe kein Recht, bemerkte er, dem jungen Arbeiter seinen Verdienst zu schmälern.<lb/>
Als Knecht erwerbe er jährlich 30 bis 40 Thaler, als freier Arbeiter dagegen<lb/>
120 bis 150 Thaler, wovon manche jährlich 60 bis 70 Thaler ersparten und<lb/>
sich dadurch die Mittel für ihre häusliche Einrichtung bei ihrer spätern Nieder¬<lb/>
lassung sicherten. Freiherr v. Maltzan auf Klein-Luckow, Klosterhauptmann zu<lb/>
Dobbertin, der Referent des Comite, erwiederte: es komme nicht darauf an,<lb/>
daß viel Geld verdient, sondern daß Zucht und Sitte gefördert werde, und das<lb/>
geschehe mehr, wenn man die Arbeiter zum Dienen zwinge, als wenn man<lb/>
ihnen die freie Verwerthung ihrer Arbeitskraft gestatte. Herr v. Oertzen auf<lb/>
Brunn forderte die Versammlung auf, doch auch einmal für das Interesse der<lb/>
Arbeitgeber zu sorgen, nachdem man bisher immer nur das Interesse der<lb/>
Arbeiter und Dienenden ins Auge gefaßt habe. Einige Bürgermeister gestatteten<lb/>
sich einen Tadel der eigennützigen Motive, aus welchen die Anträge hervor-<lb/>
gegangen seien. Von der Gegenpartei ward noch das Argument ins Feld ge¬<lb/>
führt, daß die jungen Leute, wenn sie bei der Arbeit außerhalb des Gutes<lb/>
Schaden nähmen, als Krüppel oder Kranke dem Gutsherrn zur Last sielen, und<lb/>
daß diesem deswegen das Recht zustehen müsse, sich ihrer Dienste bis zum voll¬<lb/>
endeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre zu versichern und sie an &gt;der Aufsuchung<lb/>
auswärtiger Arbeit zu hindern. Andere riethen, der Staatsregierung die Ini¬<lb/>
tiative in dieser Frage zu überlassen und die Verhandlung einstweilen nicht<lb/>
weiter fortzusetzen. Diese Ansicht drang schließlich durch; doch werden voraus¬<lb/>
sichtlich, da der Dienstbotenmangel sich immer fühlbarer machen wird, die damit<lb/>
vorläufig zur Ruhe gebrachten Anträge auf jedem Landtage wiederkehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1150" next="#ID_1151"> Ein Gegenstand verwandter Art, welcher den Landtag beschäftigte, war</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] Leibeigenschaft wiederherzustellen, erfreute sich in der Ritterschaft großen Beifalls, nur daß manchem die von dem Comits aufgestellten Grundsätze noch nicht be¬ stimmt und scharf genug gesaßt schienen, auch die dem Gebiete der Sittlichkeit entlehnten Motive weniger betont wurden als der für den Gutsherrn von der Beschränkung der Arbeitssreiheit zu erwartende materielle Nutzen. Kammerherr v. Oertzen auf Kotelow wünschte, daß alle jungen Leute in jedem ritterschaft¬ lichen Gute bestimmt verpflichtet würden, bis zum einundzwanzigsten Lebensjahre zu dienen, und erst von diesem Zeitpunkt an Freiheit erhielten, gegen Tagelohn oder in Accord zu arbeiten. Herr Lemcke aus Dratow verlangt, da man kaum noch männliche Dienstboten bekommen könne, ein Gesetz, welches überhaupt den jungen Leuten die Arbeit außerhalb ihres Heimathsguts verbietet. In der ganzen Ritterschaft nahm nur der bekannte Führer der liberalen Partei in der Ritterschaft, Herr August Pogge auf Poelitz, welcher fast allein von der ganzen Partei die Landtage noch besucht und von Anfang bis zu Ende auf denselben ausharrt, sich der gefährdeten Interessen des Arbeiterstandes gegen die Ausbeu¬ tungsgelüste der ritterlichen Herren mit männlicher Entschiedenheit an. Man habe kein Recht, bemerkte er, dem jungen Arbeiter seinen Verdienst zu schmälern. Als Knecht erwerbe er jährlich 30 bis 40 Thaler, als freier Arbeiter dagegen 120 bis 150 Thaler, wovon manche jährlich 60 bis 70 Thaler ersparten und sich dadurch die Mittel für ihre häusliche Einrichtung bei ihrer spätern Nieder¬ lassung sicherten. Freiherr v. Maltzan auf Klein-Luckow, Klosterhauptmann zu Dobbertin, der Referent des Comite, erwiederte: es komme nicht darauf an, daß viel Geld verdient, sondern daß Zucht und Sitte gefördert werde, und das geschehe mehr, wenn man die Arbeiter zum Dienen zwinge, als wenn man ihnen die freie Verwerthung ihrer Arbeitskraft gestatte. Herr v. Oertzen auf Brunn forderte die Versammlung auf, doch auch einmal für das Interesse der Arbeitgeber zu sorgen, nachdem man bisher immer nur das Interesse der Arbeiter und Dienenden ins Auge gefaßt habe. Einige Bürgermeister gestatteten sich einen Tadel der eigennützigen Motive, aus welchen die Anträge hervor- gegangen seien. Von der Gegenpartei ward noch das Argument ins Feld ge¬ führt, daß die jungen Leute, wenn sie bei der Arbeit außerhalb des Gutes Schaden nähmen, als Krüppel oder Kranke dem Gutsherrn zur Last sielen, und daß diesem deswegen das Recht zustehen müsse, sich ihrer Dienste bis zum voll¬ endeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre zu versichern und sie an >der Aufsuchung auswärtiger Arbeit zu hindern. Andere riethen, der Staatsregierung die Ini¬ tiative in dieser Frage zu überlassen und die Verhandlung einstweilen nicht weiter fortzusetzen. Diese Ansicht drang schließlich durch; doch werden voraus¬ sichtlich, da der Dienstbotenmangel sich immer fühlbarer machen wird, die damit vorläufig zur Ruhe gebrachten Anträge auf jedem Landtage wiederkehren. Ein Gegenstand verwandter Art, welcher den Landtag beschäftigte, war

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/380>, abgerufen am 24.07.2024.