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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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schlägigen Fragen gegeben werden wird. Es ist sorgfältig verzeichnet worden,
welche Autographen, Abschriften, Originaldrucke jedesmal vorgelegen haben;
über ihre Beschaffenheit und Bedeutung, über den Gebrauch, welcher davon
gemacht worden ist, über alles was dabei merkwürdig erscheinen konnte, 'ist
das Nöthige angemerkt, einzelne Stellen, welche in irgend einer Beziehung
kritisches Interesse bieten, sind notirt worden. Dadurch ist reichhaltiges Mate¬
rial gesammelt, welches in zweckmäßiger Redaction Aufschluß und Belehrung
über alle Fragen der Kritik geben, die Lesarten sicher stellen kann, ohne durch
einen Ballast überflüssiger Varianten zu ermüden und zu verwirren.

Die eindringende Durchforschung der Ueberlieferung der beethovenschen
Werke hat auch für eine andere wichtige und schwierige Frage mannigfache
Aufklärung gebracht, für die Chronologie derselben. Bekanntlich hat sich
die Gewohnheit gebildet, daß die Componisten ihre Werke in der Reihenfolge,
in welcher sie dieselben dem Druck übergeben, mit einer fortlaufenden
Opuszahl versehen, welche aber für die Bestimmung der Chronologie nur
eine-n unsicheren und schwankenden Anhalt bietet, Denn selbst wenn sie streng
in Ordnung gehalten ist -- was von Beethoven auch nicht gilt -- bezeichnet
sie höchstens die Reihenfolge der Publication; wo verschiedene Verleger gleich¬
zeitig Werke desselben Componisten publiciren, nicht einmal diese genau. Die
Zeit der Veröffentlichung aber wird, da Mustkalienkeine Jahreszahl
tragen, dadurch auch nicht annähernd bestimmt; welcher Zeitraum zwischen den
einzelnen Opus liegt, läßt sich nicht errathen, ob die Herausgabe rasch oder
langsam, ob zu verschiedenen Zeiten verschieden erfolgt ist, kann man daraus
nicht ersehen. Und doch ist schon die Geantwortung dieser äußeren Fragen
keineswegs ohne Interesse, denn es ergiebt sich daraus, welche Stellung der
Komponist zum Publicum einnahm, welchen Einfluß seine Werke unter be¬
stimmten Zeitumständen gewinnen konnten und in der That gewannen. Vollends
im Stich gelassen sieht man sich bei der Frage nach der Entstehungszeit der
einzelnen Werke, denn hierfür entscheidet weder die Opuszahl noch das Jahr
der Veröffentlichung. Zufälligkeiten aller Art können die Veröffentlichung einer
Composition zurückhalten oder beschleunigen; oft bleiben große und bedeutende
Arbeiten länger liegen, während kleinere rasch gedruckt werden, mitunter wer¬
den vergessene Kompositionen spät noch wieder hervorgezogen, zu Zeiten wird
frischweg gedruckt, was nur fertig werden will. Alle solche Umstände haben
auch bei Beethoven ihren Einfluß geübt und die Zeit der Entstehung und Ver-
öffentlichung der einzelnen Werke zu ermitteln ist oft eine schwierige Aufgabe.
Bei der kritischen Revision derselben mühte natürlich auch diese Frage ins Auge
gefaßt werden, und es war sehr wünschenswerth, daß die neue Ausgabe auch
hierüber soweit möglich sichere Auskunft ertheile.

Beethoven hatte die Gewohnheit, von der er aber leider auch viele Aus-


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schlägigen Fragen gegeben werden wird. Es ist sorgfältig verzeichnet worden,
welche Autographen, Abschriften, Originaldrucke jedesmal vorgelegen haben;
über ihre Beschaffenheit und Bedeutung, über den Gebrauch, welcher davon
gemacht worden ist, über alles was dabei merkwürdig erscheinen konnte, 'ist
das Nöthige angemerkt, einzelne Stellen, welche in irgend einer Beziehung
kritisches Interesse bieten, sind notirt worden. Dadurch ist reichhaltiges Mate¬
rial gesammelt, welches in zweckmäßiger Redaction Aufschluß und Belehrung
über alle Fragen der Kritik geben, die Lesarten sicher stellen kann, ohne durch
einen Ballast überflüssiger Varianten zu ermüden und zu verwirren.

Die eindringende Durchforschung der Ueberlieferung der beethovenschen
Werke hat auch für eine andere wichtige und schwierige Frage mannigfache
Aufklärung gebracht, für die Chronologie derselben. Bekanntlich hat sich
die Gewohnheit gebildet, daß die Componisten ihre Werke in der Reihenfolge,
in welcher sie dieselben dem Druck übergeben, mit einer fortlaufenden
Opuszahl versehen, welche aber für die Bestimmung der Chronologie nur
eine-n unsicheren und schwankenden Anhalt bietet, Denn selbst wenn sie streng
in Ordnung gehalten ist — was von Beethoven auch nicht gilt — bezeichnet
sie höchstens die Reihenfolge der Publication; wo verschiedene Verleger gleich¬
zeitig Werke desselben Componisten publiciren, nicht einmal diese genau. Die
Zeit der Veröffentlichung aber wird, da Mustkalienkeine Jahreszahl
tragen, dadurch auch nicht annähernd bestimmt; welcher Zeitraum zwischen den
einzelnen Opus liegt, läßt sich nicht errathen, ob die Herausgabe rasch oder
langsam, ob zu verschiedenen Zeiten verschieden erfolgt ist, kann man daraus
nicht ersehen. Und doch ist schon die Geantwortung dieser äußeren Fragen
keineswegs ohne Interesse, denn es ergiebt sich daraus, welche Stellung der
Komponist zum Publicum einnahm, welchen Einfluß seine Werke unter be¬
stimmten Zeitumständen gewinnen konnten und in der That gewannen. Vollends
im Stich gelassen sieht man sich bei der Frage nach der Entstehungszeit der
einzelnen Werke, denn hierfür entscheidet weder die Opuszahl noch das Jahr
der Veröffentlichung. Zufälligkeiten aller Art können die Veröffentlichung einer
Composition zurückhalten oder beschleunigen; oft bleiben große und bedeutende
Arbeiten länger liegen, während kleinere rasch gedruckt werden, mitunter wer¬
den vergessene Kompositionen spät noch wieder hervorgezogen, zu Zeiten wird
frischweg gedruckt, was nur fertig werden will. Alle solche Umstände haben
auch bei Beethoven ihren Einfluß geübt und die Zeit der Entstehung und Ver-
öffentlichung der einzelnen Werke zu ermitteln ist oft eine schwierige Aufgabe.
Bei der kritischen Revision derselben mühte natürlich auch diese Frage ins Auge
gefaßt werden, und es war sehr wünschenswerth, daß die neue Ausgabe auch
hierüber soweit möglich sichere Auskunft ertheile.

Beethoven hatte die Gewohnheit, von der er aber leider auch viele Aus-


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[0361] schlägigen Fragen gegeben werden wird. Es ist sorgfältig verzeichnet worden, welche Autographen, Abschriften, Originaldrucke jedesmal vorgelegen haben; über ihre Beschaffenheit und Bedeutung, über den Gebrauch, welcher davon gemacht worden ist, über alles was dabei merkwürdig erscheinen konnte, 'ist das Nöthige angemerkt, einzelne Stellen, welche in irgend einer Beziehung kritisches Interesse bieten, sind notirt worden. Dadurch ist reichhaltiges Mate¬ rial gesammelt, welches in zweckmäßiger Redaction Aufschluß und Belehrung über alle Fragen der Kritik geben, die Lesarten sicher stellen kann, ohne durch einen Ballast überflüssiger Varianten zu ermüden und zu verwirren. Die eindringende Durchforschung der Ueberlieferung der beethovenschen Werke hat auch für eine andere wichtige und schwierige Frage mannigfache Aufklärung gebracht, für die Chronologie derselben. Bekanntlich hat sich die Gewohnheit gebildet, daß die Componisten ihre Werke in der Reihenfolge, in welcher sie dieselben dem Druck übergeben, mit einer fortlaufenden Opuszahl versehen, welche aber für die Bestimmung der Chronologie nur eine-n unsicheren und schwankenden Anhalt bietet, Denn selbst wenn sie streng in Ordnung gehalten ist — was von Beethoven auch nicht gilt — bezeichnet sie höchstens die Reihenfolge der Publication; wo verschiedene Verleger gleich¬ zeitig Werke desselben Componisten publiciren, nicht einmal diese genau. Die Zeit der Veröffentlichung aber wird, da Mustkalienkeine Jahreszahl tragen, dadurch auch nicht annähernd bestimmt; welcher Zeitraum zwischen den einzelnen Opus liegt, läßt sich nicht errathen, ob die Herausgabe rasch oder langsam, ob zu verschiedenen Zeiten verschieden erfolgt ist, kann man daraus nicht ersehen. Und doch ist schon die Geantwortung dieser äußeren Fragen keineswegs ohne Interesse, denn es ergiebt sich daraus, welche Stellung der Komponist zum Publicum einnahm, welchen Einfluß seine Werke unter be¬ stimmten Zeitumständen gewinnen konnten und in der That gewannen. Vollends im Stich gelassen sieht man sich bei der Frage nach der Entstehungszeit der einzelnen Werke, denn hierfür entscheidet weder die Opuszahl noch das Jahr der Veröffentlichung. Zufälligkeiten aller Art können die Veröffentlichung einer Composition zurückhalten oder beschleunigen; oft bleiben große und bedeutende Arbeiten länger liegen, während kleinere rasch gedruckt werden, mitunter wer¬ den vergessene Kompositionen spät noch wieder hervorgezogen, zu Zeiten wird frischweg gedruckt, was nur fertig werden will. Alle solche Umstände haben auch bei Beethoven ihren Einfluß geübt und die Zeit der Entstehung und Ver- öffentlichung der einzelnen Werke zu ermitteln ist oft eine schwierige Aufgabe. Bei der kritischen Revision derselben mühte natürlich auch diese Frage ins Auge gefaßt werden, und es war sehr wünschenswerth, daß die neue Ausgabe auch hierüber soweit möglich sichere Auskunft ertheile. Beethoven hatte die Gewohnheit, von der er aber leider auch viele Aus- 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/361>, abgerufen am 24.07.2024.