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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Von größter Wichtigkeit ist natürlich die Frage nach der Vollständigkeit.
Dem Prospect ist ein Verzeichniß der als bereits gedruckt ermittelten und dem¬
nach zur Aufnahme bestimmten Compositionen beigegeben, welches in vierund¬
zwanzig Serien die stattliche Reihe von 260, zum Theil umfangreichen Nummern
ausweist. Was von ungedruckten Werken noch hinzukommen werde, ist vor¬
läufig genaueren Ermittelungen und Verhandlungen noch anheimgestellt. Das
läßt sich aber mit voller Bestimmtheit aussprechen, daß sämmtliche ungedruckte
Compositionen Beethovens im Verhältniß zu den schon bekannten eine geringe
Anzahl ausmachen, und daß unter diesen wiederum nur wenige von solcher
Bedeutung sind, daß durch ihre Veröffentlichung dem abgeschlossenen Bilde des
großen Meisters wesentlich neue und eigenthümliche Züge hinzugefügt werden.
Daß somit das entgegengesetzte Verhältniß Statt findet, wie bei den älteren
Meistern, wo die Masse der ungedruckten Werke weitaus überwiegt, darf nicht
verwundern. Theils war es in Beethovens künstlerischer Natur wie in seiner
Lebenslage begründet, daß er nicht so viel schrieb wie jene, theils brachte es
seine Stellung zum Publicum und die Entwickelung des Musikalienhandels mit
sich, daß was er schrieb auch sofort gedruckt wurde. Denn man kann ohne
Bedenken behaupten, daß diejenigen Compositionen, welche Beethoven als Com-
ponisten kennzeichnen und seine Stellung zum musikalischen Publicum begründen,
schon bei seinen Lebzeiten gedruckt worden sind.

Das bedeutendste Werk Beethovens, das bisher ungedruckt geblieben ist
und das mit Recht bereits mit den gedruckten in das Verzeichnis) der in der
Gesammtausgabe sicher erscheinenden aufgenommen wurde, ist "Ungarns
erster Wohlthäter" (König Stephan), ein Vorspiel mit Chören von Kotze-
bue, das mit den Ruinen von Athen zur Eröffnung des neuen Theaters
in Pesth am 9. Febr. 1812 aufgeführt wurde. Nur die Ouvertüre ist später
bekannt geworden; die schönen Chöre, darunter mehre für Männerstimmen,
eine lange interessante melodramatische Scene geben neue Beweise für Beetho¬
vens Meisterschaft in dramatischer Charakteristik durch ein ganz besonderes Colorit.
welche auch in den Ruinen von Athen so überraschend hervortritt. Als im
Herbst 1822 zur Einweihung des Theaters in der Josephstadt die Musik zu
den Ruinen von Athen mit einem neuen Text von C. Meist aufgeführt wurde,
componirte Beethoven außer einer Ouvertüre, welche dann gedruckt und sehr
bekannt geworden ist (0p. 124), noch einen großen Chor mit Ballet, wel-
eher nicht herausgegeben worden ist. Auch ein Chor "Ihr weisen Gründer"
für ein patriotisches Schauspiel, im Herbst 1814 componirt, ist ungedruckt geblieben.

Für Orchester existirt noch ein schöner Entreack. marschartig, in sehr
charakteristischer Haltung, offenbar für ein bestimmtes Stück, vielleicht Kuff-
uers Trauerspiel Tarpeja, zu welchem er den bereits gedruckten Triumph¬
marsch schrieb.


Von größter Wichtigkeit ist natürlich die Frage nach der Vollständigkeit.
Dem Prospect ist ein Verzeichniß der als bereits gedruckt ermittelten und dem¬
nach zur Aufnahme bestimmten Compositionen beigegeben, welches in vierund¬
zwanzig Serien die stattliche Reihe von 260, zum Theil umfangreichen Nummern
ausweist. Was von ungedruckten Werken noch hinzukommen werde, ist vor¬
läufig genaueren Ermittelungen und Verhandlungen noch anheimgestellt. Das
läßt sich aber mit voller Bestimmtheit aussprechen, daß sämmtliche ungedruckte
Compositionen Beethovens im Verhältniß zu den schon bekannten eine geringe
Anzahl ausmachen, und daß unter diesen wiederum nur wenige von solcher
Bedeutung sind, daß durch ihre Veröffentlichung dem abgeschlossenen Bilde des
großen Meisters wesentlich neue und eigenthümliche Züge hinzugefügt werden.
Daß somit das entgegengesetzte Verhältniß Statt findet, wie bei den älteren
Meistern, wo die Masse der ungedruckten Werke weitaus überwiegt, darf nicht
verwundern. Theils war es in Beethovens künstlerischer Natur wie in seiner
Lebenslage begründet, daß er nicht so viel schrieb wie jene, theils brachte es
seine Stellung zum Publicum und die Entwickelung des Musikalienhandels mit
sich, daß was er schrieb auch sofort gedruckt wurde. Denn man kann ohne
Bedenken behaupten, daß diejenigen Compositionen, welche Beethoven als Com-
ponisten kennzeichnen und seine Stellung zum musikalischen Publicum begründen,
schon bei seinen Lebzeiten gedruckt worden sind.

Das bedeutendste Werk Beethovens, das bisher ungedruckt geblieben ist
und das mit Recht bereits mit den gedruckten in das Verzeichnis) der in der
Gesammtausgabe sicher erscheinenden aufgenommen wurde, ist „Ungarns
erster Wohlthäter" (König Stephan), ein Vorspiel mit Chören von Kotze-
bue, das mit den Ruinen von Athen zur Eröffnung des neuen Theaters
in Pesth am 9. Febr. 1812 aufgeführt wurde. Nur die Ouvertüre ist später
bekannt geworden; die schönen Chöre, darunter mehre für Männerstimmen,
eine lange interessante melodramatische Scene geben neue Beweise für Beetho¬
vens Meisterschaft in dramatischer Charakteristik durch ein ganz besonderes Colorit.
welche auch in den Ruinen von Athen so überraschend hervortritt. Als im
Herbst 1822 zur Einweihung des Theaters in der Josephstadt die Musik zu
den Ruinen von Athen mit einem neuen Text von C. Meist aufgeführt wurde,
componirte Beethoven außer einer Ouvertüre, welche dann gedruckt und sehr
bekannt geworden ist (0p. 124), noch einen großen Chor mit Ballet, wel-
eher nicht herausgegeben worden ist. Auch ein Chor „Ihr weisen Gründer"
für ein patriotisches Schauspiel, im Herbst 1814 componirt, ist ungedruckt geblieben.

Für Orchester existirt noch ein schöner Entreack. marschartig, in sehr
charakteristischer Haltung, offenbar für ein bestimmtes Stück, vielleicht Kuff-
uers Trauerspiel Tarpeja, zu welchem er den bereits gedruckten Triumph¬
marsch schrieb.


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[0314] Von größter Wichtigkeit ist natürlich die Frage nach der Vollständigkeit. Dem Prospect ist ein Verzeichniß der als bereits gedruckt ermittelten und dem¬ nach zur Aufnahme bestimmten Compositionen beigegeben, welches in vierund¬ zwanzig Serien die stattliche Reihe von 260, zum Theil umfangreichen Nummern ausweist. Was von ungedruckten Werken noch hinzukommen werde, ist vor¬ läufig genaueren Ermittelungen und Verhandlungen noch anheimgestellt. Das läßt sich aber mit voller Bestimmtheit aussprechen, daß sämmtliche ungedruckte Compositionen Beethovens im Verhältniß zu den schon bekannten eine geringe Anzahl ausmachen, und daß unter diesen wiederum nur wenige von solcher Bedeutung sind, daß durch ihre Veröffentlichung dem abgeschlossenen Bilde des großen Meisters wesentlich neue und eigenthümliche Züge hinzugefügt werden. Daß somit das entgegengesetzte Verhältniß Statt findet, wie bei den älteren Meistern, wo die Masse der ungedruckten Werke weitaus überwiegt, darf nicht verwundern. Theils war es in Beethovens künstlerischer Natur wie in seiner Lebenslage begründet, daß er nicht so viel schrieb wie jene, theils brachte es seine Stellung zum Publicum und die Entwickelung des Musikalienhandels mit sich, daß was er schrieb auch sofort gedruckt wurde. Denn man kann ohne Bedenken behaupten, daß diejenigen Compositionen, welche Beethoven als Com- ponisten kennzeichnen und seine Stellung zum musikalischen Publicum begründen, schon bei seinen Lebzeiten gedruckt worden sind. Das bedeutendste Werk Beethovens, das bisher ungedruckt geblieben ist und das mit Recht bereits mit den gedruckten in das Verzeichnis) der in der Gesammtausgabe sicher erscheinenden aufgenommen wurde, ist „Ungarns erster Wohlthäter" (König Stephan), ein Vorspiel mit Chören von Kotze- bue, das mit den Ruinen von Athen zur Eröffnung des neuen Theaters in Pesth am 9. Febr. 1812 aufgeführt wurde. Nur die Ouvertüre ist später bekannt geworden; die schönen Chöre, darunter mehre für Männerstimmen, eine lange interessante melodramatische Scene geben neue Beweise für Beetho¬ vens Meisterschaft in dramatischer Charakteristik durch ein ganz besonderes Colorit. welche auch in den Ruinen von Athen so überraschend hervortritt. Als im Herbst 1822 zur Einweihung des Theaters in der Josephstadt die Musik zu den Ruinen von Athen mit einem neuen Text von C. Meist aufgeführt wurde, componirte Beethoven außer einer Ouvertüre, welche dann gedruckt und sehr bekannt geworden ist (0p. 124), noch einen großen Chor mit Ballet, wel- eher nicht herausgegeben worden ist. Auch ein Chor „Ihr weisen Gründer" für ein patriotisches Schauspiel, im Herbst 1814 componirt, ist ungedruckt geblieben. Für Orchester existirt noch ein schöner Entreack. marschartig, in sehr charakteristischer Haltung, offenbar für ein bestimmtes Stück, vielleicht Kuff- uers Trauerspiel Tarpeja, zu welchem er den bereits gedruckten Triumph¬ marsch schrieb.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/314>, abgerufen am 24.07.2024.