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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Sorgen zu sehen." Auch dieser Freundesrath kam bei Beethovens Unschlüssig¬
keit in praktischen Dingen nicht zur Ausführung, der Plan einer Gesammt-
ausgabe aber blieb fortwährend auf dem Tapet und im Jahre 1826 wurde
zuerst mit Schlesinger aus Berlin bei dessen Anwesenheit in Wien münd¬
lich, dann schriftlich mit Schott in Mainz darüber verhandelt, allein auch
jetzt ohne Resultat.

Wir haben diese Erfolglosigkeit schwerlich zu beklagen, denn einen in dem
Sinne vollständige und zuverlässige Ausgabe, wie sie jetzt geboten wird, wäre
damals kaum zu erreichen gewesen. Sämmtliche Gesangscompositionen, den
Fidelio an der Spitze, die großen Jnstrumentalwerte. die Concerten in
Partitur zu geben hätte man wohl nicht den Muth gehabt. Es scheint, als
wenn der ungewöhnliche Erfolg, welchen die Aufführungen der g. aur und die
Schlachtsymphonic im Jahr 1813 und 1814 hatten, zuerst es thunlich erscheinen
lieh, Symphonien gleich in Partituren zu publiciren, welche damals in ziemlich
bescheidener Gestalt lithographirt erschienen. Die späteren Compositionen der
Art wurden ebenfalls gleich in Partitur veröffentlicht, allein die Partituren der
überwiegenden Anzahl früherer Symphonien, Ouvertüren, Quartette, welche
jetzt auf dem Pulte jeder Conservatorienschülers zu finden sind, wurden nach
und nach, zum großen Theil erst nach Beethovens Tode gedruckt; die Partitur
des Fidelio zuerst in Paris mit französischer Uebersetzung, erst viel später auch
in Bonn bei Simrock.

Beethovens Betheiligung an der Ausgabe hätte freilich in vielen u"d wich¬
tigen Beziehungen.unersetzliche Bordseite gebracht, manche Schwierigkeiten, die
jetzt unlösbar sind, wären gar nicht als solche hervorgetreten, aber sie drohte
auch einen bedenklichen Nachtheil herbeizuführen, denn er dachte daran Aus¬
dehnungen an seinen Compositionen vorzunehmen. Eine Art der Abänderungen
ist bereits erwähnt. Ein namhafter Theil der früheren Klavierwerke ist für In¬
strumente von nur fünf Octaven geschrieben, und es ist nicht zu verkennen, daß
an manchen Stellen dieser beschränkte Umfang die Freiheit des Componisten
beengt hat. Man gewahrt deutlich, daß da, wo eine Melodie oder Passage in einer
Tonlage wiederholt wird, in welcher die Höhe des Instrumentes nicht ausreicht,
um sie vollständig wiederzugeben, Abänderungen nur des äußeren Hemmnisses
wegen nöthig geworden sind. Manche Fälle sind so klar und so einfach, daß
jeder einsichtige Spieler jetzt die unzweifelhafte Transposition selbst vornehmen
kann. Allein anderswo ist es mindestens zweifelhaft, ob nicht außer der Be¬
schränkung des Instrumentes auch noch andere innere Motive die Abänderung
bewirkt haben, und endlich fehlt es nicht an solchen Stellen, wo die Verän¬
derung, wenn sie auch durch den äußeren Zwang veranlaßt ist, eine neue Schön¬
heit hervorgerufen, dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz verliehen hat, auf
den nun niemand verzichten möchte. Eine durchgreifende Redaction der älteren


Sorgen zu sehen." Auch dieser Freundesrath kam bei Beethovens Unschlüssig¬
keit in praktischen Dingen nicht zur Ausführung, der Plan einer Gesammt-
ausgabe aber blieb fortwährend auf dem Tapet und im Jahre 1826 wurde
zuerst mit Schlesinger aus Berlin bei dessen Anwesenheit in Wien münd¬
lich, dann schriftlich mit Schott in Mainz darüber verhandelt, allein auch
jetzt ohne Resultat.

Wir haben diese Erfolglosigkeit schwerlich zu beklagen, denn einen in dem
Sinne vollständige und zuverlässige Ausgabe, wie sie jetzt geboten wird, wäre
damals kaum zu erreichen gewesen. Sämmtliche Gesangscompositionen, den
Fidelio an der Spitze, die großen Jnstrumentalwerte. die Concerten in
Partitur zu geben hätte man wohl nicht den Muth gehabt. Es scheint, als
wenn der ungewöhnliche Erfolg, welchen die Aufführungen der g. aur und die
Schlachtsymphonic im Jahr 1813 und 1814 hatten, zuerst es thunlich erscheinen
lieh, Symphonien gleich in Partituren zu publiciren, welche damals in ziemlich
bescheidener Gestalt lithographirt erschienen. Die späteren Compositionen der
Art wurden ebenfalls gleich in Partitur veröffentlicht, allein die Partituren der
überwiegenden Anzahl früherer Symphonien, Ouvertüren, Quartette, welche
jetzt auf dem Pulte jeder Conservatorienschülers zu finden sind, wurden nach
und nach, zum großen Theil erst nach Beethovens Tode gedruckt; die Partitur
des Fidelio zuerst in Paris mit französischer Uebersetzung, erst viel später auch
in Bonn bei Simrock.

Beethovens Betheiligung an der Ausgabe hätte freilich in vielen u»d wich¬
tigen Beziehungen.unersetzliche Bordseite gebracht, manche Schwierigkeiten, die
jetzt unlösbar sind, wären gar nicht als solche hervorgetreten, aber sie drohte
auch einen bedenklichen Nachtheil herbeizuführen, denn er dachte daran Aus¬
dehnungen an seinen Compositionen vorzunehmen. Eine Art der Abänderungen
ist bereits erwähnt. Ein namhafter Theil der früheren Klavierwerke ist für In¬
strumente von nur fünf Octaven geschrieben, und es ist nicht zu verkennen, daß
an manchen Stellen dieser beschränkte Umfang die Freiheit des Componisten
beengt hat. Man gewahrt deutlich, daß da, wo eine Melodie oder Passage in einer
Tonlage wiederholt wird, in welcher die Höhe des Instrumentes nicht ausreicht,
um sie vollständig wiederzugeben, Abänderungen nur des äußeren Hemmnisses
wegen nöthig geworden sind. Manche Fälle sind so klar und so einfach, daß
jeder einsichtige Spieler jetzt die unzweifelhafte Transposition selbst vornehmen
kann. Allein anderswo ist es mindestens zweifelhaft, ob nicht außer der Be¬
schränkung des Instrumentes auch noch andere innere Motive die Abänderung
bewirkt haben, und endlich fehlt es nicht an solchen Stellen, wo die Verän¬
derung, wenn sie auch durch den äußeren Zwang veranlaßt ist, eine neue Schön¬
heit hervorgerufen, dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz verliehen hat, auf
den nun niemand verzichten möchte. Eine durchgreifende Redaction der älteren


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[0308] Sorgen zu sehen." Auch dieser Freundesrath kam bei Beethovens Unschlüssig¬ keit in praktischen Dingen nicht zur Ausführung, der Plan einer Gesammt- ausgabe aber blieb fortwährend auf dem Tapet und im Jahre 1826 wurde zuerst mit Schlesinger aus Berlin bei dessen Anwesenheit in Wien münd¬ lich, dann schriftlich mit Schott in Mainz darüber verhandelt, allein auch jetzt ohne Resultat. Wir haben diese Erfolglosigkeit schwerlich zu beklagen, denn einen in dem Sinne vollständige und zuverlässige Ausgabe, wie sie jetzt geboten wird, wäre damals kaum zu erreichen gewesen. Sämmtliche Gesangscompositionen, den Fidelio an der Spitze, die großen Jnstrumentalwerte. die Concerten in Partitur zu geben hätte man wohl nicht den Muth gehabt. Es scheint, als wenn der ungewöhnliche Erfolg, welchen die Aufführungen der g. aur und die Schlachtsymphonic im Jahr 1813 und 1814 hatten, zuerst es thunlich erscheinen lieh, Symphonien gleich in Partituren zu publiciren, welche damals in ziemlich bescheidener Gestalt lithographirt erschienen. Die späteren Compositionen der Art wurden ebenfalls gleich in Partitur veröffentlicht, allein die Partituren der überwiegenden Anzahl früherer Symphonien, Ouvertüren, Quartette, welche jetzt auf dem Pulte jeder Conservatorienschülers zu finden sind, wurden nach und nach, zum großen Theil erst nach Beethovens Tode gedruckt; die Partitur des Fidelio zuerst in Paris mit französischer Uebersetzung, erst viel später auch in Bonn bei Simrock. Beethovens Betheiligung an der Ausgabe hätte freilich in vielen u»d wich¬ tigen Beziehungen.unersetzliche Bordseite gebracht, manche Schwierigkeiten, die jetzt unlösbar sind, wären gar nicht als solche hervorgetreten, aber sie drohte auch einen bedenklichen Nachtheil herbeizuführen, denn er dachte daran Aus¬ dehnungen an seinen Compositionen vorzunehmen. Eine Art der Abänderungen ist bereits erwähnt. Ein namhafter Theil der früheren Klavierwerke ist für In¬ strumente von nur fünf Octaven geschrieben, und es ist nicht zu verkennen, daß an manchen Stellen dieser beschränkte Umfang die Freiheit des Componisten beengt hat. Man gewahrt deutlich, daß da, wo eine Melodie oder Passage in einer Tonlage wiederholt wird, in welcher die Höhe des Instrumentes nicht ausreicht, um sie vollständig wiederzugeben, Abänderungen nur des äußeren Hemmnisses wegen nöthig geworden sind. Manche Fälle sind so klar und so einfach, daß jeder einsichtige Spieler jetzt die unzweifelhafte Transposition selbst vornehmen kann. Allein anderswo ist es mindestens zweifelhaft, ob nicht außer der Be¬ schränkung des Instrumentes auch noch andere innere Motive die Abänderung bewirkt haben, und endlich fehlt es nicht an solchen Stellen, wo die Verän¬ derung, wenn sie auch durch den äußeren Zwang veranlaßt ist, eine neue Schön¬ heit hervorgerufen, dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz verliehen hat, auf den nun niemand verzichten möchte. Eine durchgreifende Redaction der älteren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/308>, abgerufen am 24.07.2024.