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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Lauenburg nach wie vor nur die männlichen, folgend nach ihren Verwandtschafts-
graben. Nach dem Königsgesetz von 166S hätte nun nach Erlöschen des kö¬
niglichen Mannsstammes in Dänemark dort der Weiberstamm zu succediren:
der londoner Tractat aber, welcher willkürlich einen Thronfolger aus einer
jüngern männlichen Linie aufstellt mit Uebergehung der näher erbberechtigten
Augustenburger, ist ein Gewaltact, weil weder alle Agnaten in die damit ver¬
suchte Abänderung der Erbfolgeordnung eingewilligt haben, noch die schleswig-
holsteinische und lauenburgische Ritterschaft, noch die Ständeversammlungen
der Herzogthümer, noch endlich der deutsche Bund dieselbe gebilligt und ange¬
nommen haben. Insoweit ist das Verhältniß des Herzogthums Lauenburg dem
dänischen Protokollkönig gegenüber ein ganz gleiches: auch hier hat Christian
der Neunte zur Succession durchaus kein Recht, und dieses Recht kann ihm
das londoner Protokoll nicht geben, wenn auch der Prinz Friedrich von Hessen
sein Erbrecht auf denselben übertragen hat. Dieser, selbst aus einer Wciber-
linie stammend, konnte nur sein Erbrecht auf den dänischen Thron auf Christian
übertragen, nicht aber das Erbrecht auf Lauenburg, da er nicht erbberechtigt
auf dieses ist.

Ein drittes Moment von größter Wichtigkeit ist endlich der thatsächliche
Erbgang des Herzogthums bis zu seiner Anfügung an die dänische Monarchie,
nebst den dabei eingetretnen staatsrechtlichen Veränderungen. Nachdem am
19. September 1689 Julius Franz, der letzte Herzog von Sachsen-Lauenburg,
gestorben und damit das eigne Fürstenhaus dieses Landes erloschen war, wurden
Ansprüche auf dasselbe ganz oder zum Theil von mehrern Seiten*) geltend
gemacht. Eine nähere Besprechung derselben wird unten folgen: hier mögen
zunächst nur die politischen Thatsachen dargelegt werden, welche jenem Todes¬
falle folgten. Nach einem vorübergehenden Versuche Kursachsens, das Land
durch einen beauftragten Commissär in Besitz zu nehmen, rückten wenige Tage
später celtische Truppen ein und bemächtigten sich gewaltsam der Stadt Natze-
burg. Während nun der Kurfürst von Sachsen und die übrigen Fürsten,
welche erbberechtigt zu sein glaubten, ihre Ansprüche auf gerichtlichem Wege
geltend zu machen suchten, besetzte der Herzog von Braunschweig-Celle anfäng¬
lich als Kreisoberfl das Land und trat dann auch seinerseits mit Erbansprüchen
hervor. Er gründete seine Ansprüche auf den Unistand, daß Heinrich der Löwe,
der letzte Herzog des eigentlichen Sachsenlandes, von welchem dqs braun
schweigische Fürstenhaus abstammte, das lauenburgische Gebiet durch Eroberung
von den Slaven erworben habe; es sei daher nicht in dem alten Herzogthum
Sachsen inbegriffen gewesen, welches jenem Fürsten durch die Reichsacht ab-



-) Die Literatur über diesen Successionsstreil vergl. in Selchows braunschw.-lüneburg.
Geschichte, §, 306.

Lauenburg nach wie vor nur die männlichen, folgend nach ihren Verwandtschafts-
graben. Nach dem Königsgesetz von 166S hätte nun nach Erlöschen des kö¬
niglichen Mannsstammes in Dänemark dort der Weiberstamm zu succediren:
der londoner Tractat aber, welcher willkürlich einen Thronfolger aus einer
jüngern männlichen Linie aufstellt mit Uebergehung der näher erbberechtigten
Augustenburger, ist ein Gewaltact, weil weder alle Agnaten in die damit ver¬
suchte Abänderung der Erbfolgeordnung eingewilligt haben, noch die schleswig-
holsteinische und lauenburgische Ritterschaft, noch die Ständeversammlungen
der Herzogthümer, noch endlich der deutsche Bund dieselbe gebilligt und ange¬
nommen haben. Insoweit ist das Verhältniß des Herzogthums Lauenburg dem
dänischen Protokollkönig gegenüber ein ganz gleiches: auch hier hat Christian
der Neunte zur Succession durchaus kein Recht, und dieses Recht kann ihm
das londoner Protokoll nicht geben, wenn auch der Prinz Friedrich von Hessen
sein Erbrecht auf denselben übertragen hat. Dieser, selbst aus einer Wciber-
linie stammend, konnte nur sein Erbrecht auf den dänischen Thron auf Christian
übertragen, nicht aber das Erbrecht auf Lauenburg, da er nicht erbberechtigt
auf dieses ist.

Ein drittes Moment von größter Wichtigkeit ist endlich der thatsächliche
Erbgang des Herzogthums bis zu seiner Anfügung an die dänische Monarchie,
nebst den dabei eingetretnen staatsrechtlichen Veränderungen. Nachdem am
19. September 1689 Julius Franz, der letzte Herzog von Sachsen-Lauenburg,
gestorben und damit das eigne Fürstenhaus dieses Landes erloschen war, wurden
Ansprüche auf dasselbe ganz oder zum Theil von mehrern Seiten*) geltend
gemacht. Eine nähere Besprechung derselben wird unten folgen: hier mögen
zunächst nur die politischen Thatsachen dargelegt werden, welche jenem Todes¬
falle folgten. Nach einem vorübergehenden Versuche Kursachsens, das Land
durch einen beauftragten Commissär in Besitz zu nehmen, rückten wenige Tage
später celtische Truppen ein und bemächtigten sich gewaltsam der Stadt Natze-
burg. Während nun der Kurfürst von Sachsen und die übrigen Fürsten,
welche erbberechtigt zu sein glaubten, ihre Ansprüche auf gerichtlichem Wege
geltend zu machen suchten, besetzte der Herzog von Braunschweig-Celle anfäng¬
lich als Kreisoberfl das Land und trat dann auch seinerseits mit Erbansprüchen
hervor. Er gründete seine Ansprüche auf den Unistand, daß Heinrich der Löwe,
der letzte Herzog des eigentlichen Sachsenlandes, von welchem dqs braun
schweigische Fürstenhaus abstammte, das lauenburgische Gebiet durch Eroberung
von den Slaven erworben habe; es sei daher nicht in dem alten Herzogthum
Sachsen inbegriffen gewesen, welches jenem Fürsten durch die Reichsacht ab-



-) Die Literatur über diesen Successionsstreil vergl. in Selchows braunschw.-lüneburg.
Geschichte, §, 306.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/30>, abgerufen am 24.07.2024.