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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Beethoven und die Ausgaben seiner Werke.
Beethovens Werke, in der Ausgabe von Breitkopf und Härtel.
1.

Gesammtausgaven der Werke beliebter Schriftsteller sind seit geraumer
Zeit bei uns üblich gewesen; Freunde und Verehrer haben Sorge getragen,
die zerstreuten Werke verstorbener Schriftsteller zu sammeln und zu ordnen,
andere sind bei Lebzeiten durch die Gunst des Publicums veranlaßt worden
selbst ihre Werke zu sammeln. Neuerdings sind die sämmtlichen Werke sogar
entschieden Modesache geworden, lange Reihen sämmtlicher Werke deutscher
Classiker von sehr verschiedener Classicität füllen die Bücherschränke; es ist nicht
mehr unerhört, daß Schriftsteller beim Anfang ihrer literarischen Thätigkeit
schon auf die Vollständigkeit ihrer noch ungeschriebenen Bücher Bedacht nehmen
und jährlich einige Bände sämmtlicher Werke veröffentlichen. Indeß ist es er¬
freulich, daß auf solche Weise die Summe unserer Literatur vollständig erhalten
und für den Genuß der Leser und das Studium der Forscher zugänglich
gemacht wird, und wenn auch in gar manchen Fällen die Ausführbarkeit sol¬
cher Sammlungen mehr auf der Neigung zu sammeln und dem Behagen an
vollständigen Suiten, als auf einem gründlichen Interesse an den literarischen
Leistungen beruht, so soll man das doch ja nicht schelten. Denn hier, wie in
allen Dingen, wo nur durch massenhafte Betheiligung ein bedeutendes Resul¬
tat erreicht werden kann, kann man sehr zufrieden sein, wenn nur überhaupt
Neigung und Interesse des Publicums auf das Rechte und Gute gerichtet ist.
Wie der Einzelne das gemeinsame Ziel auffaßt, wie weit er sich an der all¬
gemeinen Bewegung innerlich betheiligt, welchen dauernden Gewinn er sich aus
solchen Bestrebungen zu wahren vermag, das kann man getrost jedem über¬
lassen. Im Allgemeinen aber ist in Deutschland noch keineswegs die Einsicht
allgemein verbreitet, daß das Publicum sein Interesse für die Literatur nicht
allein durch Lesen, sondern auch durch Kaufen betheiligen muß, daß es dem
Schriftsteller, dessen Leistungen es nicht entbehren mag, verpflichtet ist. und
dieser Verpflichtung nur dadurch nachkommt, wenn es ihn. auch äußerlich frei
und unabhängig für künstlerische Thätigkeit macht, daß es dadurch in der natur¬
gemäßen Weise mitarbeitet an der Literatur, deren Blüthe jeder als Schmuck und
Stolz der Nation anerkennt. Während in England und Frankreich der Wohl¬
habendere, welcher Anspruch auf Bildung macht, es als eine durch diesen
Anspruch ihm auferlegte Ehrenpflicht ansteht, in seinem Haushalt eine verhält-


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Beethoven und die Ausgaben seiner Werke.
Beethovens Werke, in der Ausgabe von Breitkopf und Härtel.
1.

Gesammtausgaven der Werke beliebter Schriftsteller sind seit geraumer
Zeit bei uns üblich gewesen; Freunde und Verehrer haben Sorge getragen,
die zerstreuten Werke verstorbener Schriftsteller zu sammeln und zu ordnen,
andere sind bei Lebzeiten durch die Gunst des Publicums veranlaßt worden
selbst ihre Werke zu sammeln. Neuerdings sind die sämmtlichen Werke sogar
entschieden Modesache geworden, lange Reihen sämmtlicher Werke deutscher
Classiker von sehr verschiedener Classicität füllen die Bücherschränke; es ist nicht
mehr unerhört, daß Schriftsteller beim Anfang ihrer literarischen Thätigkeit
schon auf die Vollständigkeit ihrer noch ungeschriebenen Bücher Bedacht nehmen
und jährlich einige Bände sämmtlicher Werke veröffentlichen. Indeß ist es er¬
freulich, daß auf solche Weise die Summe unserer Literatur vollständig erhalten
und für den Genuß der Leser und das Studium der Forscher zugänglich
gemacht wird, und wenn auch in gar manchen Fällen die Ausführbarkeit sol¬
cher Sammlungen mehr auf der Neigung zu sammeln und dem Behagen an
vollständigen Suiten, als auf einem gründlichen Interesse an den literarischen
Leistungen beruht, so soll man das doch ja nicht schelten. Denn hier, wie in
allen Dingen, wo nur durch massenhafte Betheiligung ein bedeutendes Resul¬
tat erreicht werden kann, kann man sehr zufrieden sein, wenn nur überhaupt
Neigung und Interesse des Publicums auf das Rechte und Gute gerichtet ist.
Wie der Einzelne das gemeinsame Ziel auffaßt, wie weit er sich an der all¬
gemeinen Bewegung innerlich betheiligt, welchen dauernden Gewinn er sich aus
solchen Bestrebungen zu wahren vermag, das kann man getrost jedem über¬
lassen. Im Allgemeinen aber ist in Deutschland noch keineswegs die Einsicht
allgemein verbreitet, daß das Publicum sein Interesse für die Literatur nicht
allein durch Lesen, sondern auch durch Kaufen betheiligen muß, daß es dem
Schriftsteller, dessen Leistungen es nicht entbehren mag, verpflichtet ist. und
dieser Verpflichtung nur dadurch nachkommt, wenn es ihn. auch äußerlich frei
und unabhängig für künstlerische Thätigkeit macht, daß es dadurch in der natur¬
gemäßen Weise mitarbeitet an der Literatur, deren Blüthe jeder als Schmuck und
Stolz der Nation anerkennt. Während in England und Frankreich der Wohl¬
habendere, welcher Anspruch auf Bildung macht, es als eine durch diesen
Anspruch ihm auferlegte Ehrenpflicht ansteht, in seinem Haushalt eine verhält-


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[0281] Beethoven und die Ausgaben seiner Werke. Beethovens Werke, in der Ausgabe von Breitkopf und Härtel. 1. Gesammtausgaven der Werke beliebter Schriftsteller sind seit geraumer Zeit bei uns üblich gewesen; Freunde und Verehrer haben Sorge getragen, die zerstreuten Werke verstorbener Schriftsteller zu sammeln und zu ordnen, andere sind bei Lebzeiten durch die Gunst des Publicums veranlaßt worden selbst ihre Werke zu sammeln. Neuerdings sind die sämmtlichen Werke sogar entschieden Modesache geworden, lange Reihen sämmtlicher Werke deutscher Classiker von sehr verschiedener Classicität füllen die Bücherschränke; es ist nicht mehr unerhört, daß Schriftsteller beim Anfang ihrer literarischen Thätigkeit schon auf die Vollständigkeit ihrer noch ungeschriebenen Bücher Bedacht nehmen und jährlich einige Bände sämmtlicher Werke veröffentlichen. Indeß ist es er¬ freulich, daß auf solche Weise die Summe unserer Literatur vollständig erhalten und für den Genuß der Leser und das Studium der Forscher zugänglich gemacht wird, und wenn auch in gar manchen Fällen die Ausführbarkeit sol¬ cher Sammlungen mehr auf der Neigung zu sammeln und dem Behagen an vollständigen Suiten, als auf einem gründlichen Interesse an den literarischen Leistungen beruht, so soll man das doch ja nicht schelten. Denn hier, wie in allen Dingen, wo nur durch massenhafte Betheiligung ein bedeutendes Resul¬ tat erreicht werden kann, kann man sehr zufrieden sein, wenn nur überhaupt Neigung und Interesse des Publicums auf das Rechte und Gute gerichtet ist. Wie der Einzelne das gemeinsame Ziel auffaßt, wie weit er sich an der all¬ gemeinen Bewegung innerlich betheiligt, welchen dauernden Gewinn er sich aus solchen Bestrebungen zu wahren vermag, das kann man getrost jedem über¬ lassen. Im Allgemeinen aber ist in Deutschland noch keineswegs die Einsicht allgemein verbreitet, daß das Publicum sein Interesse für die Literatur nicht allein durch Lesen, sondern auch durch Kaufen betheiligen muß, daß es dem Schriftsteller, dessen Leistungen es nicht entbehren mag, verpflichtet ist. und dieser Verpflichtung nur dadurch nachkommt, wenn es ihn. auch äußerlich frei und unabhängig für künstlerische Thätigkeit macht, daß es dadurch in der natur¬ gemäßen Weise mitarbeitet an der Literatur, deren Blüthe jeder als Schmuck und Stolz der Nation anerkennt. Während in England und Frankreich der Wohl¬ habendere, welcher Anspruch auf Bildung macht, es als eine durch diesen Anspruch ihm auferlegte Ehrenpflicht ansteht, in seinem Haushalt eine verhält- 35*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/281>, abgerufen am 24.07.2024.