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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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alsbald machten die Elemente sich geltend, denen Schleswig und Holstein das
lebendige Symbolum der Revolution ist, und die nur allzugut sahen, daß eine
Ausgleichung des inneren Conflictes auf Grundlage der Befreiung der Herzog¬
tümer ihrem politischen Ideale wenig entsprechen würde. Freilich fühlte man
wohl, wie gerade der preußische Patriotismus, auf den zu stützen man sich
den Anschein geben mußte, wenn man nicht die nackte Parteiselbstsucht in
ihrer ganzen Blöße den Augen der Welt preisgeben wollte, über ein Aufgeben
der Herzogthümer aufs Tiefste empört sein würde. Da mußte denn das rasche
und unabhängige Vorgehen der Mittelstädten den erwünschten Anlaß bieten,
um unter dem Verwände, die Selbständigkeit Preußens zu wahren, das zu
thun, was dieser Selbständigkeit den schwersten Schlag giebt, indem es Preußens
Kräfte dem alten Rivalen zur Verfügung stellt. Das heißt conservative Politik!

Nun hätten wir allerdings, im preußischen wie im deutschen Interesse
gewünscht, daß das Signal zur Erhebung von Preußen ausgegangen wäre, und
daß dieses sich nicht von den kleineren Staaten den Vorsprung hätte abgewinnen
lassen; ein nicht wieder gut zu machendes Unglück aber wäre es, wenn Preußen
aus gekränkten Stolz, daß die kleineren Staaten ihm vorangeeilt sind, auf dem
falschen Wege beharrte, wenn es nicht alles daran setzte, die verhängnisvollen
Bande, in die es sich hat verstricken lassen, zu sprengen, und dem deutschen Volke
das zu sein, was es sein soll, der Führer im Kampfe für deutsches Recht und
wider fremden Uebermuth. Mag Oestreich durch seine besondern Verhältnisse
verhindert sein, deutsche Politik zu treiben, Preußen ist es nicht. Wenn in der
Schleswig-holsteinischen Frage Berlin und Frankfurt als Mittelpunkte entgegen¬
gesetzter Bestrebungen erscheinen, so ist dies nur die Schuld der fehlerhaften
preußischen Politik, welche die Gelegenheit sich entgehen läßt, für alle Zeit die
deutsche Politik mit der preußischen zu identificiren. Folgt Preußen dem natio¬
nalen Impuls, und schließt es sich demgemäß der frankfurter Majorität an. so
ist leicht begreiflich, daß Frankfurt in dieser Frage zwar formell den Mittel¬
punkt der Action bilden wird, daß in der That aber die Leitung der deutschen
Angelegenheiten nach Berlin verlegt wird. Widerstrebt es der nationalen
Forderung, so ist es ganz unvermeidlich, daß der Schwerpunkt der preußischen
Politik mehr und mehr nach Wien sich neigen wird, wie er in der schleswig¬
holsteinischen Frage, und zwar ohne jede zwingende Ursache, in vollster Frei¬
willigkeit, dorthin gelegt ist. Wagt das wiener Vaterland doch schon mit dürren
Worten zu erklären: "Preußen wird treu der kaiserlichen Initiative folgen."
Mögen die auf diese Insulte antworten, die dem Organ der östreichischen Feu¬
dalen Veranlassung gegeben haben, sie zu wagen.

Wir stehen an einem Scheidewege; es ist wohl erlaubt, zu hoffen, daß der
Wendepunkt noch nicht überschritten ist. Es darf im Leben eines Staates keinen
Moment geben, wo das Verhängnis) den Willen unbedingt beherrscht, wo die


alsbald machten die Elemente sich geltend, denen Schleswig und Holstein das
lebendige Symbolum der Revolution ist, und die nur allzugut sahen, daß eine
Ausgleichung des inneren Conflictes auf Grundlage der Befreiung der Herzog¬
tümer ihrem politischen Ideale wenig entsprechen würde. Freilich fühlte man
wohl, wie gerade der preußische Patriotismus, auf den zu stützen man sich
den Anschein geben mußte, wenn man nicht die nackte Parteiselbstsucht in
ihrer ganzen Blöße den Augen der Welt preisgeben wollte, über ein Aufgeben
der Herzogthümer aufs Tiefste empört sein würde. Da mußte denn das rasche
und unabhängige Vorgehen der Mittelstädten den erwünschten Anlaß bieten,
um unter dem Verwände, die Selbständigkeit Preußens zu wahren, das zu
thun, was dieser Selbständigkeit den schwersten Schlag giebt, indem es Preußens
Kräfte dem alten Rivalen zur Verfügung stellt. Das heißt conservative Politik!

Nun hätten wir allerdings, im preußischen wie im deutschen Interesse
gewünscht, daß das Signal zur Erhebung von Preußen ausgegangen wäre, und
daß dieses sich nicht von den kleineren Staaten den Vorsprung hätte abgewinnen
lassen; ein nicht wieder gut zu machendes Unglück aber wäre es, wenn Preußen
aus gekränkten Stolz, daß die kleineren Staaten ihm vorangeeilt sind, auf dem
falschen Wege beharrte, wenn es nicht alles daran setzte, die verhängnisvollen
Bande, in die es sich hat verstricken lassen, zu sprengen, und dem deutschen Volke
das zu sein, was es sein soll, der Führer im Kampfe für deutsches Recht und
wider fremden Uebermuth. Mag Oestreich durch seine besondern Verhältnisse
verhindert sein, deutsche Politik zu treiben, Preußen ist es nicht. Wenn in der
Schleswig-holsteinischen Frage Berlin und Frankfurt als Mittelpunkte entgegen¬
gesetzter Bestrebungen erscheinen, so ist dies nur die Schuld der fehlerhaften
preußischen Politik, welche die Gelegenheit sich entgehen läßt, für alle Zeit die
deutsche Politik mit der preußischen zu identificiren. Folgt Preußen dem natio¬
nalen Impuls, und schließt es sich demgemäß der frankfurter Majorität an. so
ist leicht begreiflich, daß Frankfurt in dieser Frage zwar formell den Mittel¬
punkt der Action bilden wird, daß in der That aber die Leitung der deutschen
Angelegenheiten nach Berlin verlegt wird. Widerstrebt es der nationalen
Forderung, so ist es ganz unvermeidlich, daß der Schwerpunkt der preußischen
Politik mehr und mehr nach Wien sich neigen wird, wie er in der schleswig¬
holsteinischen Frage, und zwar ohne jede zwingende Ursache, in vollster Frei¬
willigkeit, dorthin gelegt ist. Wagt das wiener Vaterland doch schon mit dürren
Worten zu erklären: „Preußen wird treu der kaiserlichen Initiative folgen."
Mögen die auf diese Insulte antworten, die dem Organ der östreichischen Feu¬
dalen Veranlassung gegeben haben, sie zu wagen.

Wir stehen an einem Scheidewege; es ist wohl erlaubt, zu hoffen, daß der
Wendepunkt noch nicht überschritten ist. Es darf im Leben eines Staates keinen
Moment geben, wo das Verhängnis) den Willen unbedingt beherrscht, wo die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/216>, abgerufen am 24.07.2024.