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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Consequenzen fortgesetzt wird, nur zur Auflösung Deutschlands führen. Ein
anderes Resultat ist von einem Conflict, in dein Macht und Recht auf ver¬
schiedenen Seiten stehen, nicht vorauszusehen. Daß Oestreich nach seinem mi߬
lungenen Versuche, durch einen Theatercoup sich zum Herrn von Deutschland
zu machen, vor einem solchen Ausgang nicht zurückschreckt, ist wohl erklärlich
bei einem Staate, der nur um seine Existenz zu fristen aus einer abenteuer¬
lichen Combination sich in die andere stürzt; daß es Preußen, dem eine Geschickte
ohne Gleichen ganz andere Bahnen angewiesen hat, auf seinem schlüpfrigen
Pfade als Gefährten gewinnen werde, ist jedenfalls mehr, als Graf Nechbcrg
vor einem Jahre sich hat träumen lassen. Und darüber darf man sich nicht
täuschen: haben wir einmal in einer Lebensfrage, wie es die Schleswig-holsteinsche
für uns ist, den Anschauungen Oestreichs uns untergeordnet, so ist es unvermeid¬
lich, daß wir, jedes Stützpunktes in Deutschland beraubt, und von der ganzen
Nation als die Vertreter einer politischen Reaction gehaßt, die den Bestand des
Verfassungslebens in allen deutschen Staaten bedrohen würde, auch in den spe¬
ciell östreichischen Fragen, der italienischen und ungarischen, den östreichischen
Interessen dienen müssen. Was bleibt uns übrig, nachdem wir dem neuen
Freunde bereitwillig, freiwillig, zu unserm größten Nachtheil die Herzogthümer
preisgegeben haben, als ihm auch fernerhin dahin zu folgen, wohin uns zu
führen es ihm beliebt? Ist das altpreußische, ist das fridericianische Politik?
Kann ein preußischer Publicist, ohne zu erröthen, diesen Bund mit Oestreich
als einen Triumph der ministeriellen Politik preisen?

Wir zweifeln keinen Augenblick daran, daß jeder preußische Staatsmann
die dargelegten Bedenken theilt und daß selbst ein reactionärer Staatsmann
(von dem unverantwortlichen Führer der Partei sehe ich natürlich ab) sich un¬
behaglich fühlt bei dem Gedanken, den Triumph der Reaction mit einer Er¬
niedrigung Preußens erkaufen zu müssen. Aber -- c?ö n'est qus prczinisr pas
<mi coule. Es scheint, daß unsere Politik bereits von den Konsequenzen des
ersten Fehlers getrieben wird. Der erste Fehler war ein Zaudern und Schwan¬
ken, das Richtige im rechten Augenblick zu ergreifen. Man wagte es nicht,
den ersten Schritt aus der Politik des Druckes nach Innen zu einer Politik
der Action nach Außen, die zugleich eine Politik der Versöhnung gewesen wäre,
zu thun. Die Popularität der Bewegung, statt zum kühnen Handeln zu treiben,
schreckte vielmehr ab. Die Tendenz war mächtiger als das Interesse. Es war
der Partei, die gegenwärtig im Rathe der preußischen Krone sitzt, das seltene
Glück geboten, gut zu machen, was sie vor Jahren gesündigt hat. Sie hat
es nicht über sich vermocht, ihre Sympathien und Antipathien vor dem Interesse
des Vaterlandes zurücktreten zu lassen. Man hatte den entscheidungsvollen
Moment versäumt, wo Preußen durch eine überraschende That die politische
Situation nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa beherrschen konnte;


Consequenzen fortgesetzt wird, nur zur Auflösung Deutschlands führen. Ein
anderes Resultat ist von einem Conflict, in dein Macht und Recht auf ver¬
schiedenen Seiten stehen, nicht vorauszusehen. Daß Oestreich nach seinem mi߬
lungenen Versuche, durch einen Theatercoup sich zum Herrn von Deutschland
zu machen, vor einem solchen Ausgang nicht zurückschreckt, ist wohl erklärlich
bei einem Staate, der nur um seine Existenz zu fristen aus einer abenteuer¬
lichen Combination sich in die andere stürzt; daß es Preußen, dem eine Geschickte
ohne Gleichen ganz andere Bahnen angewiesen hat, auf seinem schlüpfrigen
Pfade als Gefährten gewinnen werde, ist jedenfalls mehr, als Graf Nechbcrg
vor einem Jahre sich hat träumen lassen. Und darüber darf man sich nicht
täuschen: haben wir einmal in einer Lebensfrage, wie es die Schleswig-holsteinsche
für uns ist, den Anschauungen Oestreichs uns untergeordnet, so ist es unvermeid¬
lich, daß wir, jedes Stützpunktes in Deutschland beraubt, und von der ganzen
Nation als die Vertreter einer politischen Reaction gehaßt, die den Bestand des
Verfassungslebens in allen deutschen Staaten bedrohen würde, auch in den spe¬
ciell östreichischen Fragen, der italienischen und ungarischen, den östreichischen
Interessen dienen müssen. Was bleibt uns übrig, nachdem wir dem neuen
Freunde bereitwillig, freiwillig, zu unserm größten Nachtheil die Herzogthümer
preisgegeben haben, als ihm auch fernerhin dahin zu folgen, wohin uns zu
führen es ihm beliebt? Ist das altpreußische, ist das fridericianische Politik?
Kann ein preußischer Publicist, ohne zu erröthen, diesen Bund mit Oestreich
als einen Triumph der ministeriellen Politik preisen?

Wir zweifeln keinen Augenblick daran, daß jeder preußische Staatsmann
die dargelegten Bedenken theilt und daß selbst ein reactionärer Staatsmann
(von dem unverantwortlichen Führer der Partei sehe ich natürlich ab) sich un¬
behaglich fühlt bei dem Gedanken, den Triumph der Reaction mit einer Er¬
niedrigung Preußens erkaufen zu müssen. Aber — c?ö n'est qus prczinisr pas
<mi coule. Es scheint, daß unsere Politik bereits von den Konsequenzen des
ersten Fehlers getrieben wird. Der erste Fehler war ein Zaudern und Schwan¬
ken, das Richtige im rechten Augenblick zu ergreifen. Man wagte es nicht,
den ersten Schritt aus der Politik des Druckes nach Innen zu einer Politik
der Action nach Außen, die zugleich eine Politik der Versöhnung gewesen wäre,
zu thun. Die Popularität der Bewegung, statt zum kühnen Handeln zu treiben,
schreckte vielmehr ab. Die Tendenz war mächtiger als das Interesse. Es war
der Partei, die gegenwärtig im Rathe der preußischen Krone sitzt, das seltene
Glück geboten, gut zu machen, was sie vor Jahren gesündigt hat. Sie hat
es nicht über sich vermocht, ihre Sympathien und Antipathien vor dem Interesse
des Vaterlandes zurücktreten zu lassen. Man hatte den entscheidungsvollen
Moment versäumt, wo Preußen durch eine überraschende That die politische
Situation nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa beherrschen konnte;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/215>, abgerufen am 24.07.2024.