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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Daß allerdings diese trefflichen Eigenschaften auch leicht zu Ausschreitungen
und Fehlern verleiten,' wird weiter unten noch zu berühren sein.

Wir finden also eine Reihe von Grundbedingungen erfüllt, welche für
eine gedeihliche Pflege der Musik im großen und hohen Sinne unentbehrlich
sind, und so wird eine große Theilnahme des Publicums an dieser Concert¬
institution sehr begreiflich erscheinen. Nur wünschen wir hier noch eine nicht min¬
der wesentliche Unterstützung für das Publicum herbei, deren Mangel sich dann
immer fühlbarer zu machen Pflegt, wenn, wie hier der Fall ist, eine ursprünglich
mehr vertraute und geschlossene Zuhörerschaft von Tag zu Tag immer mehr
den großstädtischen Charakter annimmt. Dann verschwindet nach und nach
jenes persönliche Verhältniß der Masse zu der Einen leitenden Persönlichkeit,
der man sich auch im Punkte des Geschmacks willig unterzuordnen Pflegte.
Alle die feinen Fäden, welche Verehrung und Zuneigung zu dem Künstler und
dem Menschen um den Meister und die Zuhörer schlingen, zerreißen allmälig;
bald zerfällt das Ganze in seine einzelnen Theile, deren jeder in Bildung
und Aeußerung seines Urtheils mindestens sehr unsicher ist. An die Stelle
künstlerischer Interessen treten fernliegende und fremde Gesichtspunkte; was
vorher Sache reiner und warmer Begeisterung war, wird zur Modesache, und
binnen wenig Jahren ist ein vordem feinsinniges und taktvolles Publicum zu
einer haltlosen Masse geworden, in der die guten Bestandtheile im Bewußtsein
ihres Jsolirtseins immer zurückhaltender werden, dahingegen der Ungeschmack
mit der ihm eigenthümlichen Sicherheit und Naivetät immer mehr dominirt.

Dies ist die Gefahr, weiche dem'leipziger Gewandhauspublicum droht, ja
welche bereits über dasselbe hereingebrochen ist. Ihr gilt es zu begegne", und
wir wollen hoffen, daß in allen hierbei Betheiligten Liebe zur Sache, Energie
und Selbstverleugnung genug vorhanden ist, um den rechten Zeitpunkt nicht
unthätig vorübergehen zu lassen.

Vor allem macht sich das Bedürfniß einer Betheiligung der Presse geltend,
welche nach unserer Meinung auch hier erfolgreich thätig sein kann Seit
längerer Zeit bcschweigt das gelesenste leipziger Localblatt die Gewandhaus-
concerte, aus Gründen, denen wir hier nicht nachzugehen haben. Doch wür¬
den wir es für einen großen Vortheil halten, wenn gerade an dieser Stelle
der Versuch gemacht würde, in gerechter und würdiger Beurtheilung der Con¬
certe und ihrer Leistungen dem Publicum einen Anhalt und eine Leitung zu
gewähren, deren es sehr bedürftig erscheint. Zwar unterziehen sich eine seit kür¬
zerer Zeit wieder ins Leben gerufene und freudig willkommen geheißene Musik¬
zeitung, mehre politische Zeitungen und die bekannte "neue Zeitschrift für
Musik" dieser Aufgabe, allein die letztere liebt es. eine gewisse Vorliebe für die
Leistungen eines ihr näherstehenden zweiten leipziger Concertinstitutes gerade
bei der Beurtheilung der Gewandhausconcerte uicht immer zu unterdrücken.


Daß allerdings diese trefflichen Eigenschaften auch leicht zu Ausschreitungen
und Fehlern verleiten,' wird weiter unten noch zu berühren sein.

Wir finden also eine Reihe von Grundbedingungen erfüllt, welche für
eine gedeihliche Pflege der Musik im großen und hohen Sinne unentbehrlich
sind, und so wird eine große Theilnahme des Publicums an dieser Concert¬
institution sehr begreiflich erscheinen. Nur wünschen wir hier noch eine nicht min¬
der wesentliche Unterstützung für das Publicum herbei, deren Mangel sich dann
immer fühlbarer zu machen Pflegt, wenn, wie hier der Fall ist, eine ursprünglich
mehr vertraute und geschlossene Zuhörerschaft von Tag zu Tag immer mehr
den großstädtischen Charakter annimmt. Dann verschwindet nach und nach
jenes persönliche Verhältniß der Masse zu der Einen leitenden Persönlichkeit,
der man sich auch im Punkte des Geschmacks willig unterzuordnen Pflegte.
Alle die feinen Fäden, welche Verehrung und Zuneigung zu dem Künstler und
dem Menschen um den Meister und die Zuhörer schlingen, zerreißen allmälig;
bald zerfällt das Ganze in seine einzelnen Theile, deren jeder in Bildung
und Aeußerung seines Urtheils mindestens sehr unsicher ist. An die Stelle
künstlerischer Interessen treten fernliegende und fremde Gesichtspunkte; was
vorher Sache reiner und warmer Begeisterung war, wird zur Modesache, und
binnen wenig Jahren ist ein vordem feinsinniges und taktvolles Publicum zu
einer haltlosen Masse geworden, in der die guten Bestandtheile im Bewußtsein
ihres Jsolirtseins immer zurückhaltender werden, dahingegen der Ungeschmack
mit der ihm eigenthümlichen Sicherheit und Naivetät immer mehr dominirt.

Dies ist die Gefahr, weiche dem'leipziger Gewandhauspublicum droht, ja
welche bereits über dasselbe hereingebrochen ist. Ihr gilt es zu begegne», und
wir wollen hoffen, daß in allen hierbei Betheiligten Liebe zur Sache, Energie
und Selbstverleugnung genug vorhanden ist, um den rechten Zeitpunkt nicht
unthätig vorübergehen zu lassen.

Vor allem macht sich das Bedürfniß einer Betheiligung der Presse geltend,
welche nach unserer Meinung auch hier erfolgreich thätig sein kann Seit
längerer Zeit bcschweigt das gelesenste leipziger Localblatt die Gewandhaus-
concerte, aus Gründen, denen wir hier nicht nachzugehen haben. Doch wür¬
den wir es für einen großen Vortheil halten, wenn gerade an dieser Stelle
der Versuch gemacht würde, in gerechter und würdiger Beurtheilung der Con¬
certe und ihrer Leistungen dem Publicum einen Anhalt und eine Leitung zu
gewähren, deren es sehr bedürftig erscheint. Zwar unterziehen sich eine seit kür¬
zerer Zeit wieder ins Leben gerufene und freudig willkommen geheißene Musik¬
zeitung, mehre politische Zeitungen und die bekannte „neue Zeitschrift für
Musik" dieser Aufgabe, allein die letztere liebt es. eine gewisse Vorliebe für die
Leistungen eines ihr näherstehenden zweiten leipziger Concertinstitutes gerade
bei der Beurtheilung der Gewandhausconcerte uicht immer zu unterdrücken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/188>, abgerufen am 26.07.2024.