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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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möglichst bald herzustellen und ferneren Verwirrungen vorzubeugen, wurde dann
für die englische Politik der alleinige, leitende Leweggrund. Auch die Zu-
muthungen einer solchen um Frieden besorgten Macht aber, der allgemeinem
Nuhe Bedeutendes zu opfern, richten sich bekanntlich am liebsten an den, der
gegen die erste derartige Zumuthung die wenigste Widerstandskraft gezeigt und
dadurch die Hoffnung erweckt hat, es werde auch das zweite und dritte Mal nicht
zuviel Unruhe kosten, ihn zur Ruhe zu bringen. Nun kann ich von dem Gange,
den die allgemein deutschen Verhältnisse im Sommer 1848 genommen, schweigen;
daß er nicht zu einem starken Deutschland geführt, haben wir ja alle noch
heute in traurigster Weise zu empfinden. Ebenso brauche ich nur flüchtig an die
Erlebnisse Preußens während jener Monate zu erinnern. Es fehlte zunächst in
der preußischen Negierung keineswegs an gutem Willen, sich Schleswig-Holsteins
anzunehmen. In dem Ministerium Camphausen erwarb sich der Baron Heinrich
v. Arnim durch die deutsche Richtung, die er der Leitung der auswärtigen An¬
gelegenheiten zu geben suchte, durch den ruhigen Ernst, mit dem er die ersten
Einmischungsversuche des Auslandes zurückwies, verdiente Anerkennung. Aber
die ärgste Erschwerung kam derartigen Bemühungen aus dem ganzen Zustande
des preußischen Staates. Die Lenker und die Bevölkerung desselben wurden
vor allem in Anspruch genommen durch den innern Parteikamps, durch die
drohende Auflösung aller Verhältnisse, durch die berliner Anarchie, die kaum
noch eine bedeutende Kraft für einen auswärtigen Feind übrig zu lassen schien.
Inmitten aller dieser Drangsale vermehrte schon ziemlich bald die Regierung
ihre Schwäche, indem sie das Gefühl derselben verrieth; für jede Befürchtung,
die sich an den Krieg knüpfte, zeigte sie sich höchst empfänglich, für die materiellen
Schäden, die durch die dänische Blokade und Aufbringung von Schiffen
verursacht wurden, höchst empfindlich. Ueberdies aber kaun kaum ein Zweifel
sein, daß die Maßregeln der Minister zu Zeiten noch gehemmt und durch¬
kreuzt wurden durch die Einflüsse einer Hofpartei, die in dem ganzen
Kriege nur eine Unannehmlichkeit, nur ein Hinderniß für Durchführung ganz
anderer Dinge erblickte und daher möglichst wenigen Ernst in denselben zu legen
wünschte, um jederzeit möglichst leicht von ihm loskommen zu können.

So war den" schon der Befehl zum ersten Einrücken in Schleswig nur
nach einigem Zögern an Wrangel ertheilt worden; und daß der General noch
ein Stück über Schleswig hinaus, daß er einige Meilen nach Jütland hinein
drang, geschah ohne den Willen der preußischen Negierung. Eben dies Vor¬
rücken auf eigentlich dänischen Boden brachte nun begreiflicherweise regeres Leben
in die Thätigkeit der europäischen Diplomatie. Russische, englische und schwedische
Noten liefen in Berlin ein. Der Großfürst Konstantin begab sich auf den
Weg zu einem Besuch in Stockholm und Kopenhagen; die schwedische Negierung
rüstete und ließ sich zu diesem Zwecke eine Geldsumme von den Ständen ve°


möglichst bald herzustellen und ferneren Verwirrungen vorzubeugen, wurde dann
für die englische Politik der alleinige, leitende Leweggrund. Auch die Zu-
muthungen einer solchen um Frieden besorgten Macht aber, der allgemeinem
Nuhe Bedeutendes zu opfern, richten sich bekanntlich am liebsten an den, der
gegen die erste derartige Zumuthung die wenigste Widerstandskraft gezeigt und
dadurch die Hoffnung erweckt hat, es werde auch das zweite und dritte Mal nicht
zuviel Unruhe kosten, ihn zur Ruhe zu bringen. Nun kann ich von dem Gange,
den die allgemein deutschen Verhältnisse im Sommer 1848 genommen, schweigen;
daß er nicht zu einem starken Deutschland geführt, haben wir ja alle noch
heute in traurigster Weise zu empfinden. Ebenso brauche ich nur flüchtig an die
Erlebnisse Preußens während jener Monate zu erinnern. Es fehlte zunächst in
der preußischen Negierung keineswegs an gutem Willen, sich Schleswig-Holsteins
anzunehmen. In dem Ministerium Camphausen erwarb sich der Baron Heinrich
v. Arnim durch die deutsche Richtung, die er der Leitung der auswärtigen An¬
gelegenheiten zu geben suchte, durch den ruhigen Ernst, mit dem er die ersten
Einmischungsversuche des Auslandes zurückwies, verdiente Anerkennung. Aber
die ärgste Erschwerung kam derartigen Bemühungen aus dem ganzen Zustande
des preußischen Staates. Die Lenker und die Bevölkerung desselben wurden
vor allem in Anspruch genommen durch den innern Parteikamps, durch die
drohende Auflösung aller Verhältnisse, durch die berliner Anarchie, die kaum
noch eine bedeutende Kraft für einen auswärtigen Feind übrig zu lassen schien.
Inmitten aller dieser Drangsale vermehrte schon ziemlich bald die Regierung
ihre Schwäche, indem sie das Gefühl derselben verrieth; für jede Befürchtung,
die sich an den Krieg knüpfte, zeigte sie sich höchst empfänglich, für die materiellen
Schäden, die durch die dänische Blokade und Aufbringung von Schiffen
verursacht wurden, höchst empfindlich. Ueberdies aber kaun kaum ein Zweifel
sein, daß die Maßregeln der Minister zu Zeiten noch gehemmt und durch¬
kreuzt wurden durch die Einflüsse einer Hofpartei, die in dem ganzen
Kriege nur eine Unannehmlichkeit, nur ein Hinderniß für Durchführung ganz
anderer Dinge erblickte und daher möglichst wenigen Ernst in denselben zu legen
wünschte, um jederzeit möglichst leicht von ihm loskommen zu können.

So war den» schon der Befehl zum ersten Einrücken in Schleswig nur
nach einigem Zögern an Wrangel ertheilt worden; und daß der General noch
ein Stück über Schleswig hinaus, daß er einige Meilen nach Jütland hinein
drang, geschah ohne den Willen der preußischen Negierung. Eben dies Vor¬
rücken auf eigentlich dänischen Boden brachte nun begreiflicherweise regeres Leben
in die Thätigkeit der europäischen Diplomatie. Russische, englische und schwedische
Noten liefen in Berlin ein. Der Großfürst Konstantin begab sich auf den
Weg zu einem Besuch in Stockholm und Kopenhagen; die schwedische Negierung
rüstete und ließ sich zu diesem Zwecke eine Geldsumme von den Ständen ve°


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/183>, abgerufen am 24.07.2024.