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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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angestrengten Versuche, welche später gemacht worden sind, Staats- und völker¬
rechtliche Urkunden des siebzehnten oder achtzehnten Jahrhunderts in solchem
Sinne zu deuten, hat eine gründliche und siegreiche Abfertigung von deutscher
Seite gefehlt.

In unserem Jahrhundert gab sich nun der anbrechende Kampf nationaler
Strebungen und Gegenstrebungen und das Erwachen freiheitlicher Triebe früh¬
zeitig auch in den Ländern zwischen Ostsee und Nordsee zu erkennen. Die
Dänen traten schon im ersten Jahrzehnt mit bestimmteren Anmuthungen an
die Schleswig-Holsteiner hervor, sich selbst einigermaßen als Dänen oder doch
als Angehörige eines wesentlich dänischen Staates zu betrachten. Die Erler¬
nung der dänischen Sprache wurde officiell als ein Mittel rascheren Vorrückens
auch in Schleswig-holsteinischem Staatsdienste anempfohlen, und in den nörd¬
lichen Gegenden von Schleswig suchte man die dänische Sprache, die dort in
einem Bauerndialekte von einem Theile der Bevölkerung gesprochen wurde, zur
Alleinherrschaft zu bringen. In Schleswig-Holstein aber widersetzte man sich
nicht blos diesen Bemühungen mit Kraft, sondern erhob auch von 1813 an,
unter Wortführung der Professoren Dahlmann und N. Falk, die Forderung
auf Herstellung des alten, gemeinsamen Landtags; in Holstein, als deutschem
Bundeslande, wendete man sich sogar deshalb mit einer, freilich vergeblichen
Beschwerde an den deutschen Bundestag (1823). Die nächsten Folgen hiervon
waren, dem allgemeinen Neactivnsgeiste jener Tage entsprechend, verschärfte
Maßregeln von dänischer Seite; und auch als die Julirevolution (1830) alle
politische Erregung steigerte und manche Nachgiebigkeiten der Regierungen ver¬
anlaßte, mußte derjenige, der jetzt dem Verlangen des Landes, auf wenigen
Blättern, die ausdruckvollsten Worte lieh, der wackre Uwe Lvrnsen, seine Kühn¬
heit im Kerker büßen.

Einige Concessionen indeß erschienen im Laufe der Zeit doch rathsam;
aber statt einer gemeinsamen Schleswig-holsteinischen Landesvertretung erhielt
man im I. 1834 nur Provinzialstände. Sehr aristokratisch in ihrer Zusammen-
setzung, sehr beschränkt in ihren Befugnissen/standen dieselben zu den Landes¬
wünschen namentlich dadurch im stärksten Widerspruch, daß es zwei von einander
getrennte Versammlungen waren, die sür Holstein und für Schleswig tagen
sollten. Doch auch diese Versammlungen machten bald sich selbst zu kräftigen
Vertretern dessen, was die Bevölkerung begehrte. Besonders vom Ende der
Dreißigerjahre an sprachen sie energisch das Verlangen nach einer gemeinsamen
Schleswig-holsteinischen Verfassung aus, führten sie laute Beschwerde gegen die
finanziellen Uebervortheilungen des Landes zu Gunsten Dänemarks, gegen die
Unterstellung Schleswig-holsteinischer Soldaten unter dänische Offiziere und däni¬
sches Commando und gegen andere Unbilden mehr, die man von Dänemark zu
leiden hatte. Und wie nun, gegenüber dem Widerstande der Deutschen, auch


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angestrengten Versuche, welche später gemacht worden sind, Staats- und völker¬
rechtliche Urkunden des siebzehnten oder achtzehnten Jahrhunderts in solchem
Sinne zu deuten, hat eine gründliche und siegreiche Abfertigung von deutscher
Seite gefehlt.

In unserem Jahrhundert gab sich nun der anbrechende Kampf nationaler
Strebungen und Gegenstrebungen und das Erwachen freiheitlicher Triebe früh¬
zeitig auch in den Ländern zwischen Ostsee und Nordsee zu erkennen. Die
Dänen traten schon im ersten Jahrzehnt mit bestimmteren Anmuthungen an
die Schleswig-Holsteiner hervor, sich selbst einigermaßen als Dänen oder doch
als Angehörige eines wesentlich dänischen Staates zu betrachten. Die Erler¬
nung der dänischen Sprache wurde officiell als ein Mittel rascheren Vorrückens
auch in Schleswig-holsteinischem Staatsdienste anempfohlen, und in den nörd¬
lichen Gegenden von Schleswig suchte man die dänische Sprache, die dort in
einem Bauerndialekte von einem Theile der Bevölkerung gesprochen wurde, zur
Alleinherrschaft zu bringen. In Schleswig-Holstein aber widersetzte man sich
nicht blos diesen Bemühungen mit Kraft, sondern erhob auch von 1813 an,
unter Wortführung der Professoren Dahlmann und N. Falk, die Forderung
auf Herstellung des alten, gemeinsamen Landtags; in Holstein, als deutschem
Bundeslande, wendete man sich sogar deshalb mit einer, freilich vergeblichen
Beschwerde an den deutschen Bundestag (1823). Die nächsten Folgen hiervon
waren, dem allgemeinen Neactivnsgeiste jener Tage entsprechend, verschärfte
Maßregeln von dänischer Seite; und auch als die Julirevolution (1830) alle
politische Erregung steigerte und manche Nachgiebigkeiten der Regierungen ver¬
anlaßte, mußte derjenige, der jetzt dem Verlangen des Landes, auf wenigen
Blättern, die ausdruckvollsten Worte lieh, der wackre Uwe Lvrnsen, seine Kühn¬
heit im Kerker büßen.

Einige Concessionen indeß erschienen im Laufe der Zeit doch rathsam;
aber statt einer gemeinsamen Schleswig-holsteinischen Landesvertretung erhielt
man im I. 1834 nur Provinzialstände. Sehr aristokratisch in ihrer Zusammen-
setzung, sehr beschränkt in ihren Befugnissen/standen dieselben zu den Landes¬
wünschen namentlich dadurch im stärksten Widerspruch, daß es zwei von einander
getrennte Versammlungen waren, die sür Holstein und für Schleswig tagen
sollten. Doch auch diese Versammlungen machten bald sich selbst zu kräftigen
Vertretern dessen, was die Bevölkerung begehrte. Besonders vom Ende der
Dreißigerjahre an sprachen sie energisch das Verlangen nach einer gemeinsamen
Schleswig-holsteinischen Verfassung aus, führten sie laute Beschwerde gegen die
finanziellen Uebervortheilungen des Landes zu Gunsten Dänemarks, gegen die
Unterstellung Schleswig-holsteinischer Soldaten unter dänische Offiziere und däni¬
sches Commando und gegen andere Unbilden mehr, die man von Dänemark zu
leiden hatte. Und wie nun, gegenüber dem Widerstande der Deutschen, auch


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[0173] angestrengten Versuche, welche später gemacht worden sind, Staats- und völker¬ rechtliche Urkunden des siebzehnten oder achtzehnten Jahrhunderts in solchem Sinne zu deuten, hat eine gründliche und siegreiche Abfertigung von deutscher Seite gefehlt. In unserem Jahrhundert gab sich nun der anbrechende Kampf nationaler Strebungen und Gegenstrebungen und das Erwachen freiheitlicher Triebe früh¬ zeitig auch in den Ländern zwischen Ostsee und Nordsee zu erkennen. Die Dänen traten schon im ersten Jahrzehnt mit bestimmteren Anmuthungen an die Schleswig-Holsteiner hervor, sich selbst einigermaßen als Dänen oder doch als Angehörige eines wesentlich dänischen Staates zu betrachten. Die Erler¬ nung der dänischen Sprache wurde officiell als ein Mittel rascheren Vorrückens auch in Schleswig-holsteinischem Staatsdienste anempfohlen, und in den nörd¬ lichen Gegenden von Schleswig suchte man die dänische Sprache, die dort in einem Bauerndialekte von einem Theile der Bevölkerung gesprochen wurde, zur Alleinherrschaft zu bringen. In Schleswig-Holstein aber widersetzte man sich nicht blos diesen Bemühungen mit Kraft, sondern erhob auch von 1813 an, unter Wortführung der Professoren Dahlmann und N. Falk, die Forderung auf Herstellung des alten, gemeinsamen Landtags; in Holstein, als deutschem Bundeslande, wendete man sich sogar deshalb mit einer, freilich vergeblichen Beschwerde an den deutschen Bundestag (1823). Die nächsten Folgen hiervon waren, dem allgemeinen Neactivnsgeiste jener Tage entsprechend, verschärfte Maßregeln von dänischer Seite; und auch als die Julirevolution (1830) alle politische Erregung steigerte und manche Nachgiebigkeiten der Regierungen ver¬ anlaßte, mußte derjenige, der jetzt dem Verlangen des Landes, auf wenigen Blättern, die ausdruckvollsten Worte lieh, der wackre Uwe Lvrnsen, seine Kühn¬ heit im Kerker büßen. Einige Concessionen indeß erschienen im Laufe der Zeit doch rathsam; aber statt einer gemeinsamen Schleswig-holsteinischen Landesvertretung erhielt man im I. 1834 nur Provinzialstände. Sehr aristokratisch in ihrer Zusammen- setzung, sehr beschränkt in ihren Befugnissen/standen dieselben zu den Landes¬ wünschen namentlich dadurch im stärksten Widerspruch, daß es zwei von einander getrennte Versammlungen waren, die sür Holstein und für Schleswig tagen sollten. Doch auch diese Versammlungen machten bald sich selbst zu kräftigen Vertretern dessen, was die Bevölkerung begehrte. Besonders vom Ende der Dreißigerjahre an sprachen sie energisch das Verlangen nach einer gemeinsamen Schleswig-holsteinischen Verfassung aus, führten sie laute Beschwerde gegen die finanziellen Uebervortheilungen des Landes zu Gunsten Dänemarks, gegen die Unterstellung Schleswig-holsteinischer Soldaten unter dänische Offiziere und däni¬ sches Commando und gegen andere Unbilden mehr, die man von Dänemark zu leiden hatte. Und wie nun, gegenüber dem Widerstande der Deutschen, auch 21'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/173>, abgerufen am 01.07.2024.