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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Wig-Holsteins. Als allgemein bekannt darf ich voraussehen, daß es vorzüglich
drei Sätze waren, welche die Herzogthümer aus jenen Jahrhunderten als un¬
bestreitbares Recht in die neuere Zeit herabbrachten: 1) das Herzogthum Schles¬
wig ist nicht mehr, wie es früher einmal gewesen, eine dänische Provinz, son¬
dern ein eigenes, von Dänemark getrenntes Staatswesen, 2) Das Herzog-
thum Holstein ist mit dem Herzogthum Schleswig in engster Verbindung, und
beide zusammen stehen dem Königreich Dänemark als ein eigenes Ganze un¬
abhängig gegenüber, so daß der König von Dänemark nicht in dieser Eigen¬
schaft als dänischer König, sondern nur deshalb über Schleswig-Holstein herrscht,
weil, gewissermaßen zufällig, in einunddemselben Manne mit der Würde eines
dänischen Königs sich die eines Herzogs von Schleswig-Holstein zusammenfindet.
3) Während in Bezug auf die dänische Krone auch Frauen und solche Männer,
die nur durch Frauen von dem herrschenden Geschlechte abstammen, als erb¬
berechtigt gelten, kann sich die herzogliche Würde in Schleswig-Holstein nur
im Mannstamme forterben -- eine Verschiedenheit des Erbsolgerechtes, welche
immer die Möglichkeit offen ließ, daß Schleswig-Holstein und Dänemark wieder
an verschiedene Fürsten auseiuandersielen -- ähnlich wie sich ja 1837 die mehr
als hundertjährige Personalunion zwischen England und Hannover ohne Anstoß
und Schwierigkeit gelöst hat.

Daß nun im vorigen Jahrhunderte das Bewußtsein der eigenthümlichen
Stellung, zu welcher Schleswig-Holstein berechtigt ist, sich in der Masse des
Volks nicht allzulebhaft kundgab, darf niemand Wunder nehmen. Seit Menschen-
gedenken war kein König gestorben ohne einen Sohn zu hinterlassen, an dessen
gleichmäßigem Erbrecht in Dänemark wie in Schleswig-Holstein kein Zweifel
sein konnte. Ueberdem war die Zeit nicht dazu angethan, daß volksthümliche
Gefühle auf politischem Gebiete sich kräftig geltend gemacht hätten. Es war
die Zeit, wo man fast alles Wesen und Recht des Staates in der Person des
Fürsten concentrirt dachte, wo also auch diejenigen, die unter Einem Fürsten
standen, im gewöhnlichen Leben kaum noch als Bürger zweier besonderer Staa¬
ten von einander unterschieden werden mochten. Dagegen hatte das stärkste
Zeichen der besonderen Verbindung, in welcher sich Schleswig und Holstein
befanden -- ihre gemeinsame Ständeversammlung -- das Schicksal so vieler
alten Ständeversammlungen in Deutschland: seit dem Jahre 1712 wurde sie
nicht mehr einberufen. Aber in Verwaltung, im Gerichtswesen, in einer Menge
finanzieller und gemeinnütziger Einrichtungen bestand diese besondere Verbindung
fort; und daß während jener Zeiten des gleichgiltigen Gehorsams irgend eine Hand¬
lung geschehen wäre, durch welche die rechtliche Stellung Schleswig-Holsteins zu
Dänemark sich wirklich geändert, durch welche Dänemark ein neues Recht über die
beiden Herzogthümer oder auch nur über eines derselben erworben hätte -- dies zu
beweisen hat dänische Parteischriftstellerei sich vergeblich bemüht; keinem der


Wig-Holsteins. Als allgemein bekannt darf ich voraussehen, daß es vorzüglich
drei Sätze waren, welche die Herzogthümer aus jenen Jahrhunderten als un¬
bestreitbares Recht in die neuere Zeit herabbrachten: 1) das Herzogthum Schles¬
wig ist nicht mehr, wie es früher einmal gewesen, eine dänische Provinz, son¬
dern ein eigenes, von Dänemark getrenntes Staatswesen, 2) Das Herzog-
thum Holstein ist mit dem Herzogthum Schleswig in engster Verbindung, und
beide zusammen stehen dem Königreich Dänemark als ein eigenes Ganze un¬
abhängig gegenüber, so daß der König von Dänemark nicht in dieser Eigen¬
schaft als dänischer König, sondern nur deshalb über Schleswig-Holstein herrscht,
weil, gewissermaßen zufällig, in einunddemselben Manne mit der Würde eines
dänischen Königs sich die eines Herzogs von Schleswig-Holstein zusammenfindet.
3) Während in Bezug auf die dänische Krone auch Frauen und solche Männer,
die nur durch Frauen von dem herrschenden Geschlechte abstammen, als erb¬
berechtigt gelten, kann sich die herzogliche Würde in Schleswig-Holstein nur
im Mannstamme forterben — eine Verschiedenheit des Erbsolgerechtes, welche
immer die Möglichkeit offen ließ, daß Schleswig-Holstein und Dänemark wieder
an verschiedene Fürsten auseiuandersielen — ähnlich wie sich ja 1837 die mehr
als hundertjährige Personalunion zwischen England und Hannover ohne Anstoß
und Schwierigkeit gelöst hat.

Daß nun im vorigen Jahrhunderte das Bewußtsein der eigenthümlichen
Stellung, zu welcher Schleswig-Holstein berechtigt ist, sich in der Masse des
Volks nicht allzulebhaft kundgab, darf niemand Wunder nehmen. Seit Menschen-
gedenken war kein König gestorben ohne einen Sohn zu hinterlassen, an dessen
gleichmäßigem Erbrecht in Dänemark wie in Schleswig-Holstein kein Zweifel
sein konnte. Ueberdem war die Zeit nicht dazu angethan, daß volksthümliche
Gefühle auf politischem Gebiete sich kräftig geltend gemacht hätten. Es war
die Zeit, wo man fast alles Wesen und Recht des Staates in der Person des
Fürsten concentrirt dachte, wo also auch diejenigen, die unter Einem Fürsten
standen, im gewöhnlichen Leben kaum noch als Bürger zweier besonderer Staa¬
ten von einander unterschieden werden mochten. Dagegen hatte das stärkste
Zeichen der besonderen Verbindung, in welcher sich Schleswig und Holstein
befanden — ihre gemeinsame Ständeversammlung — das Schicksal so vieler
alten Ständeversammlungen in Deutschland: seit dem Jahre 1712 wurde sie
nicht mehr einberufen. Aber in Verwaltung, im Gerichtswesen, in einer Menge
finanzieller und gemeinnütziger Einrichtungen bestand diese besondere Verbindung
fort; und daß während jener Zeiten des gleichgiltigen Gehorsams irgend eine Hand¬
lung geschehen wäre, durch welche die rechtliche Stellung Schleswig-Holsteins zu
Dänemark sich wirklich geändert, durch welche Dänemark ein neues Recht über die
beiden Herzogthümer oder auch nur über eines derselben erworben hätte — dies zu
beweisen hat dänische Parteischriftstellerei sich vergeblich bemüht; keinem der


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[0172] Wig-Holsteins. Als allgemein bekannt darf ich voraussehen, daß es vorzüglich drei Sätze waren, welche die Herzogthümer aus jenen Jahrhunderten als un¬ bestreitbares Recht in die neuere Zeit herabbrachten: 1) das Herzogthum Schles¬ wig ist nicht mehr, wie es früher einmal gewesen, eine dänische Provinz, son¬ dern ein eigenes, von Dänemark getrenntes Staatswesen, 2) Das Herzog- thum Holstein ist mit dem Herzogthum Schleswig in engster Verbindung, und beide zusammen stehen dem Königreich Dänemark als ein eigenes Ganze un¬ abhängig gegenüber, so daß der König von Dänemark nicht in dieser Eigen¬ schaft als dänischer König, sondern nur deshalb über Schleswig-Holstein herrscht, weil, gewissermaßen zufällig, in einunddemselben Manne mit der Würde eines dänischen Königs sich die eines Herzogs von Schleswig-Holstein zusammenfindet. 3) Während in Bezug auf die dänische Krone auch Frauen und solche Männer, die nur durch Frauen von dem herrschenden Geschlechte abstammen, als erb¬ berechtigt gelten, kann sich die herzogliche Würde in Schleswig-Holstein nur im Mannstamme forterben — eine Verschiedenheit des Erbsolgerechtes, welche immer die Möglichkeit offen ließ, daß Schleswig-Holstein und Dänemark wieder an verschiedene Fürsten auseiuandersielen — ähnlich wie sich ja 1837 die mehr als hundertjährige Personalunion zwischen England und Hannover ohne Anstoß und Schwierigkeit gelöst hat. Daß nun im vorigen Jahrhunderte das Bewußtsein der eigenthümlichen Stellung, zu welcher Schleswig-Holstein berechtigt ist, sich in der Masse des Volks nicht allzulebhaft kundgab, darf niemand Wunder nehmen. Seit Menschen- gedenken war kein König gestorben ohne einen Sohn zu hinterlassen, an dessen gleichmäßigem Erbrecht in Dänemark wie in Schleswig-Holstein kein Zweifel sein konnte. Ueberdem war die Zeit nicht dazu angethan, daß volksthümliche Gefühle auf politischem Gebiete sich kräftig geltend gemacht hätten. Es war die Zeit, wo man fast alles Wesen und Recht des Staates in der Person des Fürsten concentrirt dachte, wo also auch diejenigen, die unter Einem Fürsten standen, im gewöhnlichen Leben kaum noch als Bürger zweier besonderer Staa¬ ten von einander unterschieden werden mochten. Dagegen hatte das stärkste Zeichen der besonderen Verbindung, in welcher sich Schleswig und Holstein befanden — ihre gemeinsame Ständeversammlung — das Schicksal so vieler alten Ständeversammlungen in Deutschland: seit dem Jahre 1712 wurde sie nicht mehr einberufen. Aber in Verwaltung, im Gerichtswesen, in einer Menge finanzieller und gemeinnütziger Einrichtungen bestand diese besondere Verbindung fort; und daß während jener Zeiten des gleichgiltigen Gehorsams irgend eine Hand¬ lung geschehen wäre, durch welche die rechtliche Stellung Schleswig-Holsteins zu Dänemark sich wirklich geändert, durch welche Dänemark ein neues Recht über die beiden Herzogthümer oder auch nur über eines derselben erworben hätte — dies zu beweisen hat dänische Parteischriftstellerei sich vergeblich bemüht; keinem der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/172>, abgerufen am 29.06.2024.