Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durchaus gesetzlichem Boden stehe und zugleich im Namen seiner Freunde ent¬
schieden gegen willkürliche Polizeimaßregeln gegen denselben Verwahrung ein¬
legte. Seine Rede trug zugleich dazu bei. die verwunderliche Haltung, welche
die große Mehrzahl der Würtenberger am 21. December eingenommen, einiger¬
maßen aufzuklären. Es mußte nicht wenig auffallen, daß Herr v. Lerchenfeld
neben nur 15 Bayern 18 Würtenberger für seinen Protest gewonnen hatte,
und daß auch die andern meist gegen den Ausschuß wenigstens stimmten. Es
erklärt sich diese Erscheinung einmal daraus, daß gerade aus der würtembergischen
Kammer viele Conservative in Frankfurt erschienen waren, hauptsächlich aber aus
der vertraulichen Vorberathung, welche die würtembergischen Kammermitglieder
zuvor gehalten hatten. Sich berufend auf die Einigkeit der Parteien. deren
Erhaltung das dringendste Interesse sei, hatte es hier die conservative Seite
durchgesetzt, daß sämmtliche Würtenberger eine Art von landsmannschaftlicher
Gesammthaltung verabredeten, die darin'bestand, Anträgen, welche über eine
Resolution hinausgingen und dadurch die Einigkeit der Parteien gefährdeten,
die Zustimmung zu verweigern. Durch diese Verabredung kamen die liberalen
Mitglieder, wie vorauszusehen war, in eine fatale Situation. Offenbar konn¬
ten sie zu Hause nur versprechen, daß sie selbst sich solcher Anträge enthalten
wollten. Waren diese aber von anderer Seite einmal eingebracht, so hatte je¬
der nur nach seiner politischen Ueberzeugung zu stimmen. Je mehr sie sich ih¬
ren politischen Freunden anschlössen, um so kleiner war dann die Minorität,
um so geringer die Bedeutung der Secession. Ein Theil folgte diesen Er¬
wägungen, der größere Theil glaubte sich aber, obwohl die Trennung, die man
vermeiden wollte, bereits eingetreten war, an die frühere Verabredung gebunden,
was dann weiter zur Folge hatte, daß der Ausschuß, was die Auswahl der
würtembergischen Mitglieder betrifft, nicht in der Weise besetzt werden konnte,
wie man zuvor in Aussicht genommen hatte. Uebrigens muß anerkannt werden,
daß dieser ganzen Streitfrage, die anderwärts so viel Rumor machte, in Wür-
temberg wenig Erheblichkeit beigelegt, und, nachdem einmal der Ausschuß be¬
stand.-derselbe mit voller Unbefangenheit beurtheilt wurde. Wenn gleichwohl
das Stuttgarter Comite; bis heute rathlos ist und zu keinem Entschluß gelangen
konnte, so tragen daran übergroße Scrupulosität und municipale Verhältnisse
die Schuld.

Es war am Platze, daß auch aus den Reihen der protestantischen Prälaten¬
bank eine Stimme gehört wurde. Gerade die würtenbergische Geistlichkeit hat
sich des guten Rechts der Schleswig-Holstciner mit großer Wärme angenommen,
und der Gegensatz, welchen die Rede des Prälaten v. Mehrina. zu der seines
katholischen Collegen bildete, war bezeichnend genug. Nicht nur der Freimuth
seiner Worte, sondern auch die überlegene Bildung, ja der staatsmännische Takt,
den der Prälat mit den feingeschnittenen aristokratischen Zügen zeigte, machte


19*

durchaus gesetzlichem Boden stehe und zugleich im Namen seiner Freunde ent¬
schieden gegen willkürliche Polizeimaßregeln gegen denselben Verwahrung ein¬
legte. Seine Rede trug zugleich dazu bei. die verwunderliche Haltung, welche
die große Mehrzahl der Würtenberger am 21. December eingenommen, einiger¬
maßen aufzuklären. Es mußte nicht wenig auffallen, daß Herr v. Lerchenfeld
neben nur 15 Bayern 18 Würtenberger für seinen Protest gewonnen hatte,
und daß auch die andern meist gegen den Ausschuß wenigstens stimmten. Es
erklärt sich diese Erscheinung einmal daraus, daß gerade aus der würtembergischen
Kammer viele Conservative in Frankfurt erschienen waren, hauptsächlich aber aus
der vertraulichen Vorberathung, welche die würtembergischen Kammermitglieder
zuvor gehalten hatten. Sich berufend auf die Einigkeit der Parteien. deren
Erhaltung das dringendste Interesse sei, hatte es hier die conservative Seite
durchgesetzt, daß sämmtliche Würtenberger eine Art von landsmannschaftlicher
Gesammthaltung verabredeten, die darin'bestand, Anträgen, welche über eine
Resolution hinausgingen und dadurch die Einigkeit der Parteien gefährdeten,
die Zustimmung zu verweigern. Durch diese Verabredung kamen die liberalen
Mitglieder, wie vorauszusehen war, in eine fatale Situation. Offenbar konn¬
ten sie zu Hause nur versprechen, daß sie selbst sich solcher Anträge enthalten
wollten. Waren diese aber von anderer Seite einmal eingebracht, so hatte je¬
der nur nach seiner politischen Ueberzeugung zu stimmen. Je mehr sie sich ih¬
ren politischen Freunden anschlössen, um so kleiner war dann die Minorität,
um so geringer die Bedeutung der Secession. Ein Theil folgte diesen Er¬
wägungen, der größere Theil glaubte sich aber, obwohl die Trennung, die man
vermeiden wollte, bereits eingetreten war, an die frühere Verabredung gebunden,
was dann weiter zur Folge hatte, daß der Ausschuß, was die Auswahl der
würtembergischen Mitglieder betrifft, nicht in der Weise besetzt werden konnte,
wie man zuvor in Aussicht genommen hatte. Uebrigens muß anerkannt werden,
daß dieser ganzen Streitfrage, die anderwärts so viel Rumor machte, in Wür-
temberg wenig Erheblichkeit beigelegt, und, nachdem einmal der Ausschuß be¬
stand.-derselbe mit voller Unbefangenheit beurtheilt wurde. Wenn gleichwohl
das Stuttgarter Comite; bis heute rathlos ist und zu keinem Entschluß gelangen
konnte, so tragen daran übergroße Scrupulosität und municipale Verhältnisse
die Schuld.

Es war am Platze, daß auch aus den Reihen der protestantischen Prälaten¬
bank eine Stimme gehört wurde. Gerade die würtenbergische Geistlichkeit hat
sich des guten Rechts der Schleswig-Holstciner mit großer Wärme angenommen,
und der Gegensatz, welchen die Rede des Prälaten v. Mehrina. zu der seines
katholischen Collegen bildete, war bezeichnend genug. Nicht nur der Freimuth
seiner Worte, sondern auch die überlegene Bildung, ja der staatsmännische Takt,
den der Prälat mit den feingeschnittenen aristokratischen Zügen zeigte, machte


19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116623"/>
          <p xml:id="ID_439" prev="#ID_438"> durchaus gesetzlichem Boden stehe und zugleich im Namen seiner Freunde ent¬<lb/>
schieden gegen willkürliche Polizeimaßregeln gegen denselben Verwahrung ein¬<lb/>
legte. Seine Rede trug zugleich dazu bei. die verwunderliche Haltung, welche<lb/>
die große Mehrzahl der Würtenberger am 21. December eingenommen, einiger¬<lb/>
maßen aufzuklären. Es mußte nicht wenig auffallen, daß Herr v. Lerchenfeld<lb/>
neben nur 15 Bayern 18 Würtenberger für seinen Protest gewonnen hatte,<lb/>
und daß auch die andern meist gegen den Ausschuß wenigstens stimmten. Es<lb/>
erklärt sich diese Erscheinung einmal daraus, daß gerade aus der würtembergischen<lb/>
Kammer viele Conservative in Frankfurt erschienen waren, hauptsächlich aber aus<lb/>
der vertraulichen Vorberathung, welche die würtembergischen Kammermitglieder<lb/>
zuvor gehalten hatten. Sich berufend auf die Einigkeit der Parteien. deren<lb/>
Erhaltung das dringendste Interesse sei, hatte es hier die conservative Seite<lb/>
durchgesetzt, daß sämmtliche Würtenberger eine Art von landsmannschaftlicher<lb/>
Gesammthaltung verabredeten, die darin'bestand, Anträgen, welche über eine<lb/>
Resolution hinausgingen und dadurch die Einigkeit der Parteien gefährdeten,<lb/>
die Zustimmung zu verweigern. Durch diese Verabredung kamen die liberalen<lb/>
Mitglieder, wie vorauszusehen war, in eine fatale Situation. Offenbar konn¬<lb/>
ten sie zu Hause nur versprechen, daß sie selbst sich solcher Anträge enthalten<lb/>
wollten. Waren diese aber von anderer Seite einmal eingebracht, so hatte je¬<lb/>
der nur nach seiner politischen Ueberzeugung zu stimmen. Je mehr sie sich ih¬<lb/>
ren politischen Freunden anschlössen, um so kleiner war dann die Minorität,<lb/>
um so geringer die Bedeutung der Secession. Ein Theil folgte diesen Er¬<lb/>
wägungen, der größere Theil glaubte sich aber, obwohl die Trennung, die man<lb/>
vermeiden wollte, bereits eingetreten war, an die frühere Verabredung gebunden,<lb/>
was dann weiter zur Folge hatte, daß der Ausschuß, was die Auswahl der<lb/>
würtembergischen Mitglieder betrifft, nicht in der Weise besetzt werden konnte,<lb/>
wie man zuvor in Aussicht genommen hatte. Uebrigens muß anerkannt werden,<lb/>
daß dieser ganzen Streitfrage, die anderwärts so viel Rumor machte, in Wür-<lb/>
temberg wenig Erheblichkeit beigelegt, und, nachdem einmal der Ausschuß be¬<lb/>
stand.-derselbe mit voller Unbefangenheit beurtheilt wurde. Wenn gleichwohl<lb/>
das Stuttgarter Comite; bis heute rathlos ist und zu keinem Entschluß gelangen<lb/>
konnte, so tragen daran übergroße Scrupulosität und municipale Verhältnisse<lb/>
die Schuld.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_440" next="#ID_441"> Es war am Platze, daß auch aus den Reihen der protestantischen Prälaten¬<lb/>
bank eine Stimme gehört wurde. Gerade die würtenbergische Geistlichkeit hat<lb/>
sich des guten Rechts der Schleswig-Holstciner mit großer Wärme angenommen,<lb/>
und der Gegensatz, welchen die Rede des Prälaten v. Mehrina. zu der seines<lb/>
katholischen Collegen bildete, war bezeichnend genug. Nicht nur der Freimuth<lb/>
seiner Worte, sondern auch die überlegene Bildung, ja der staatsmännische Takt,<lb/>
den der Prälat mit den feingeschnittenen aristokratischen Zügen zeigte, machte</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 19*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] durchaus gesetzlichem Boden stehe und zugleich im Namen seiner Freunde ent¬ schieden gegen willkürliche Polizeimaßregeln gegen denselben Verwahrung ein¬ legte. Seine Rede trug zugleich dazu bei. die verwunderliche Haltung, welche die große Mehrzahl der Würtenberger am 21. December eingenommen, einiger¬ maßen aufzuklären. Es mußte nicht wenig auffallen, daß Herr v. Lerchenfeld neben nur 15 Bayern 18 Würtenberger für seinen Protest gewonnen hatte, und daß auch die andern meist gegen den Ausschuß wenigstens stimmten. Es erklärt sich diese Erscheinung einmal daraus, daß gerade aus der würtembergischen Kammer viele Conservative in Frankfurt erschienen waren, hauptsächlich aber aus der vertraulichen Vorberathung, welche die würtembergischen Kammermitglieder zuvor gehalten hatten. Sich berufend auf die Einigkeit der Parteien. deren Erhaltung das dringendste Interesse sei, hatte es hier die conservative Seite durchgesetzt, daß sämmtliche Würtenberger eine Art von landsmannschaftlicher Gesammthaltung verabredeten, die darin'bestand, Anträgen, welche über eine Resolution hinausgingen und dadurch die Einigkeit der Parteien gefährdeten, die Zustimmung zu verweigern. Durch diese Verabredung kamen die liberalen Mitglieder, wie vorauszusehen war, in eine fatale Situation. Offenbar konn¬ ten sie zu Hause nur versprechen, daß sie selbst sich solcher Anträge enthalten wollten. Waren diese aber von anderer Seite einmal eingebracht, so hatte je¬ der nur nach seiner politischen Ueberzeugung zu stimmen. Je mehr sie sich ih¬ ren politischen Freunden anschlössen, um so kleiner war dann die Minorität, um so geringer die Bedeutung der Secession. Ein Theil folgte diesen Er¬ wägungen, der größere Theil glaubte sich aber, obwohl die Trennung, die man vermeiden wollte, bereits eingetreten war, an die frühere Verabredung gebunden, was dann weiter zur Folge hatte, daß der Ausschuß, was die Auswahl der würtembergischen Mitglieder betrifft, nicht in der Weise besetzt werden konnte, wie man zuvor in Aussicht genommen hatte. Uebrigens muß anerkannt werden, daß dieser ganzen Streitfrage, die anderwärts so viel Rumor machte, in Wür- temberg wenig Erheblichkeit beigelegt, und, nachdem einmal der Ausschuß be¬ stand.-derselbe mit voller Unbefangenheit beurtheilt wurde. Wenn gleichwohl das Stuttgarter Comite; bis heute rathlos ist und zu keinem Entschluß gelangen konnte, so tragen daran übergroße Scrupulosität und municipale Verhältnisse die Schuld. Es war am Platze, daß auch aus den Reihen der protestantischen Prälaten¬ bank eine Stimme gehört wurde. Gerade die würtenbergische Geistlichkeit hat sich des guten Rechts der Schleswig-Holstciner mit großer Wärme angenommen, und der Gegensatz, welchen die Rede des Prälaten v. Mehrina. zu der seines katholischen Collegen bildete, war bezeichnend genug. Nicht nur der Freimuth seiner Worte, sondern auch die überlegene Bildung, ja der staatsmännische Takt, den der Prälat mit den feingeschnittenen aristokratischen Zügen zeigte, machte 19*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/157>, abgerufen am 24.07.2024.