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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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der jetzigen Bewegung sein. Daß das arme Schleswig-Holstein auf der Tages¬
ordnung stand, hatte der spaßhafte Pater rein vergessen.

Moritz Mohl lenkte die Debatte wieder zur Sache und zur Würde zurück.
Ich war nicht wenig begierig, den vielgenannten Protectionisten zu hören, der
heute eine feurige Oppvsitionsrede zu halten und morgen ein Regierungsmono¬
pol zu vertheidigen im Stande ist, der heute gegen die Privilegien des Adels
oder gegen Priesterherrschaft ebenso losdvnnert, als er morgen für Beschränkung
der Privatassvciationen, der Handels- und Gewerbefreiheit die Stimme erhebt,
der in seinem Geist ein besonderes Fach hat für politische und ein besonderes
für volkswirthschaftliche Freiheit, und diese ebenso feurig verdammt als er jene
versieht. Ruhig und fast schüchtern hub er an, wie denn derselbe Mann, der
in der Polemik zuweilen bis an das äußerste Maß des Erlaubten geht, im
Privatleben von einer überaus rücksichtsvollen, fast ängstlichen Förmlichkeit sein
soll. Dann wurde er aber wärmer und eindringlicher, zumal da er auf die Ver¬
schleppungen am Bunde kam. Man sah, die Sache ist ihm eine Herzenssache.
Ueberhaupt wird sein reiner patriotischer Eifer auch von denen nicht verkannt,
die seinen volkswirtschaftlichen Irrthümern entgegentreten müssen. Daß seine
Autorität in nationalökonomischen Dingen in und außerhalb der Kammer be¬
deutend abgenommen habe, wurde mir allgemein gesagt. Gleich die Verhand¬
lung des nächsten Tags (9. Januar), in welcher die seit längerer Zeit im Gang
befindliche Discussion über das Einführungsgcsetz zum deutschen Handelsgesetz¬
buch sortgesetzt wurde, lieferte davon einen Beweis, indem seine Ansicht, alle
Actienunternehmungen der Genehmigung der Regierung zu unterstellen, in der
Minderheit blieb gegen einen liberalen Antrag Schäffles, der, zur neuern na¬
tionalökonomischen Schule gehörig, in dieser Beziehung eine werthvolle Acquisi-
tion für die Kammer, übrigens aus politischen Gründen gleichfalls ein bekann¬
ter Gegner des Handelsvertrags ist. Bon ihm ist soeben ein Sondergutachten
über den Handelsvertrag ausgegeben worden, worin er gegenüber der Mehr¬
heit der volkswirtschaftlichen Commission, die bekanntlich die modische Riesen¬
arbeit adoptirt hat, seinen eigenen Standpunkt rechtfertigt.

Aber die Zahl der Redner war noch nicht erschöpft. Die Ausfälle des
Pater Lichtenstein gegen den Centralausschuß erforderten eine Zurückweisung,
und es war erfreulich, daß diese zunächst von derjenigen Seite erfolgte, welche
von Anfang an principiell gegen die Bildung jenes Ausschusses gewesen war.
Mittnacht, ein jüngerer talentvoller Beamter, der seiner Zeit zu der ersten
großdeutschen Versammlung nach Frankfurt gegangen war, aber, als er den
Saal mit Geistlichen und Adligen angefüllt sah, ohne denselben zu betreten,
schleunigst Nechtsumkehrt gemacht hatte, war gleichwohl am 21. December dem
tcrchenfeldschen Protest beigetreten. Um so größeres Gewicht hatte es nun,
wenn er in versöhnlichster Weise anerkannte, daß der Ausschuß bis jetzt auf


der jetzigen Bewegung sein. Daß das arme Schleswig-Holstein auf der Tages¬
ordnung stand, hatte der spaßhafte Pater rein vergessen.

Moritz Mohl lenkte die Debatte wieder zur Sache und zur Würde zurück.
Ich war nicht wenig begierig, den vielgenannten Protectionisten zu hören, der
heute eine feurige Oppvsitionsrede zu halten und morgen ein Regierungsmono¬
pol zu vertheidigen im Stande ist, der heute gegen die Privilegien des Adels
oder gegen Priesterherrschaft ebenso losdvnnert, als er morgen für Beschränkung
der Privatassvciationen, der Handels- und Gewerbefreiheit die Stimme erhebt,
der in seinem Geist ein besonderes Fach hat für politische und ein besonderes
für volkswirthschaftliche Freiheit, und diese ebenso feurig verdammt als er jene
versieht. Ruhig und fast schüchtern hub er an, wie denn derselbe Mann, der
in der Polemik zuweilen bis an das äußerste Maß des Erlaubten geht, im
Privatleben von einer überaus rücksichtsvollen, fast ängstlichen Förmlichkeit sein
soll. Dann wurde er aber wärmer und eindringlicher, zumal da er auf die Ver¬
schleppungen am Bunde kam. Man sah, die Sache ist ihm eine Herzenssache.
Ueberhaupt wird sein reiner patriotischer Eifer auch von denen nicht verkannt,
die seinen volkswirtschaftlichen Irrthümern entgegentreten müssen. Daß seine
Autorität in nationalökonomischen Dingen in und außerhalb der Kammer be¬
deutend abgenommen habe, wurde mir allgemein gesagt. Gleich die Verhand¬
lung des nächsten Tags (9. Januar), in welcher die seit längerer Zeit im Gang
befindliche Discussion über das Einführungsgcsetz zum deutschen Handelsgesetz¬
buch sortgesetzt wurde, lieferte davon einen Beweis, indem seine Ansicht, alle
Actienunternehmungen der Genehmigung der Regierung zu unterstellen, in der
Minderheit blieb gegen einen liberalen Antrag Schäffles, der, zur neuern na¬
tionalökonomischen Schule gehörig, in dieser Beziehung eine werthvolle Acquisi-
tion für die Kammer, übrigens aus politischen Gründen gleichfalls ein bekann¬
ter Gegner des Handelsvertrags ist. Bon ihm ist soeben ein Sondergutachten
über den Handelsvertrag ausgegeben worden, worin er gegenüber der Mehr¬
heit der volkswirtschaftlichen Commission, die bekanntlich die modische Riesen¬
arbeit adoptirt hat, seinen eigenen Standpunkt rechtfertigt.

Aber die Zahl der Redner war noch nicht erschöpft. Die Ausfälle des
Pater Lichtenstein gegen den Centralausschuß erforderten eine Zurückweisung,
und es war erfreulich, daß diese zunächst von derjenigen Seite erfolgte, welche
von Anfang an principiell gegen die Bildung jenes Ausschusses gewesen war.
Mittnacht, ein jüngerer talentvoller Beamter, der seiner Zeit zu der ersten
großdeutschen Versammlung nach Frankfurt gegangen war, aber, als er den
Saal mit Geistlichen und Adligen angefüllt sah, ohne denselben zu betreten,
schleunigst Nechtsumkehrt gemacht hatte, war gleichwohl am 21. December dem
tcrchenfeldschen Protest beigetreten. Um so größeres Gewicht hatte es nun,
wenn er in versöhnlichster Weise anerkannte, daß der Ausschuß bis jetzt auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/156>, abgerufen am 24.07.2024.