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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Lazareth aufgegriffen und als Gefangenen mitgeschleppt hatte, war, durch den
Marsch erschöpft liegen geblieben und dann auf einen solchen Karren geworfen
worden, und hier, wo gehalten wurde, entdeckte man, daß er gestorben. Man
nahm ihn herunter, und legte ihn auf die Straße, wo er später durch die
Ortsbehörde abgeholt wurde, um begraben zu werden.

Einige von unsern ermüdeten Soldaten hatten sich den Häusern genähert,
um bei den vor der Thür Stehenden, größtentheils Weibern, um einen Trunk
Wasser zu bitten. Diese Megären aber verweigerten dies nicht nur, sondern
jagten die Unglücklichen keifend zurück. "Nichts mit Wasser!" schrieen sie.
"Die Fremden hätten zu Hause bleiben und sie nicht in ihrem schönen Frank¬
reich belästigen sollen." Empört über ihr Betragen und noch aufgeregt durch
den elenden Tod des bayerischen Offiziers, trat ich auf sie zu und sagte ihnen,
was mir der Zorn eingab. Schämen sollten sie sich, ihr Benehmen sei nieder¬
trächtig, sie, die von der großen Nation sein wollten, hätten so wenig Herz,
unglücklichen erschöpften Gefangenen einen Trunk Wasser zu versagen -- sie, Wei¬
ber, die doch sonst nicht so abscheulich handelten, deren schönster Schmuck
Milde und Mitleid seien, u. s. w. Da riefen sie einen von unsern Wächtern
von der Escorte und verlangten Schutz vor meinen Beleidigungen, und sofort
kam auch ein Kerl gelaufen und legte das Gewehr auf mich an. Ich sprang
in die Colonne und rief: "Steht auf, man will uns erschießen!" Alles fuhr
auf, was in der Nähe war, und nun rief ich dem Kerl zu, er solle es wagen,
zu schießen, es kostete mir nur ein paar Worte und die paar Mann Escorte
wären ecrasirt. Die Drohung war gar nicht lächerlich; denn die Zahl der Ge¬
fangenen war auf 300 Offiziere und S000 Unteroffiziere und Gemeine an¬
gewachsen, und neben uns stand ein Park von neunzig Kanonen. Durch den
Lärm, den ich gemacht, wurde der Oberst von den Gensdarmen herbeigeführt,
er erkundigte sich, was es gäbe, woraus ihm der Franzose, der sich nicht heran¬
wagte, erzählte, daß ich auf die französische Nation geschimpft habe. Der
Oberst rief mir zu, zu ihm zu kommen, ich aber erwiderte, ich würde mich
hüten; hier sei ich sicher, aber nicht mehr, wenn ich in seiner Gewalt wäre.
Daraus sagte er: "Kommen Sie immer her, junger Mann; ich gebe Ihnen
mein Ehrenwort, es geschieht Ihnen nichts!" -- "Auf Ihr Ehrenwort vertraue
ich" entgegnete ich und trat an ihn heran. Er fragte mich, was mich ver¬
anlaßt habe, solche unvorsichtige Aeußerungen zu thun? Ich antwortete, daß
ich empört sei, wie man uns behandele, daß infolge dieser Behandlung ein
Offizier wie ein Hund habe sterben müssen, daß ich über die Hartherzigkeit der
Weiber, die den vor Erschöpfung umsinkenden armen Gefangenen einen Trunk
Wasser versagten, außer mir gerathen sei, daß ich nicht mehr gewußt, was
und wie ich es gesagt habe. Er entschuldigte unsre Behandlung mit den Ver¬
hältnissen, versprach, daß es von jetzt an besser werden solle, forderte mich, indem


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Lazareth aufgegriffen und als Gefangenen mitgeschleppt hatte, war, durch den
Marsch erschöpft liegen geblieben und dann auf einen solchen Karren geworfen
worden, und hier, wo gehalten wurde, entdeckte man, daß er gestorben. Man
nahm ihn herunter, und legte ihn auf die Straße, wo er später durch die
Ortsbehörde abgeholt wurde, um begraben zu werden.

Einige von unsern ermüdeten Soldaten hatten sich den Häusern genähert,
um bei den vor der Thür Stehenden, größtentheils Weibern, um einen Trunk
Wasser zu bitten. Diese Megären aber verweigerten dies nicht nur, sondern
jagten die Unglücklichen keifend zurück. „Nichts mit Wasser!" schrieen sie.
„Die Fremden hätten zu Hause bleiben und sie nicht in ihrem schönen Frank¬
reich belästigen sollen." Empört über ihr Betragen und noch aufgeregt durch
den elenden Tod des bayerischen Offiziers, trat ich auf sie zu und sagte ihnen,
was mir der Zorn eingab. Schämen sollten sie sich, ihr Benehmen sei nieder¬
trächtig, sie, die von der großen Nation sein wollten, hätten so wenig Herz,
unglücklichen erschöpften Gefangenen einen Trunk Wasser zu versagen — sie, Wei¬
ber, die doch sonst nicht so abscheulich handelten, deren schönster Schmuck
Milde und Mitleid seien, u. s. w. Da riefen sie einen von unsern Wächtern
von der Escorte und verlangten Schutz vor meinen Beleidigungen, und sofort
kam auch ein Kerl gelaufen und legte das Gewehr auf mich an. Ich sprang
in die Colonne und rief: „Steht auf, man will uns erschießen!" Alles fuhr
auf, was in der Nähe war, und nun rief ich dem Kerl zu, er solle es wagen,
zu schießen, es kostete mir nur ein paar Worte und die paar Mann Escorte
wären ecrasirt. Die Drohung war gar nicht lächerlich; denn die Zahl der Ge¬
fangenen war auf 300 Offiziere und S000 Unteroffiziere und Gemeine an¬
gewachsen, und neben uns stand ein Park von neunzig Kanonen. Durch den
Lärm, den ich gemacht, wurde der Oberst von den Gensdarmen herbeigeführt,
er erkundigte sich, was es gäbe, woraus ihm der Franzose, der sich nicht heran¬
wagte, erzählte, daß ich auf die französische Nation geschimpft habe. Der
Oberst rief mir zu, zu ihm zu kommen, ich aber erwiderte, ich würde mich
hüten; hier sei ich sicher, aber nicht mehr, wenn ich in seiner Gewalt wäre.
Daraus sagte er: „Kommen Sie immer her, junger Mann; ich gebe Ihnen
mein Ehrenwort, es geschieht Ihnen nichts!" — „Auf Ihr Ehrenwort vertraue
ich" entgegnete ich und trat an ihn heran. Er fragte mich, was mich ver¬
anlaßt habe, solche unvorsichtige Aeußerungen zu thun? Ich antwortete, daß
ich empört sei, wie man uns behandele, daß infolge dieser Behandlung ein
Offizier wie ein Hund habe sterben müssen, daß ich über die Hartherzigkeit der
Weiber, die den vor Erschöpfung umsinkenden armen Gefangenen einen Trunk
Wasser versagten, außer mir gerathen sei, daß ich nicht mehr gewußt, was
und wie ich es gesagt habe. Er entschuldigte unsre Behandlung mit den Ver¬
hältnissen, versprach, daß es von jetzt an besser werden solle, forderte mich, indem


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[0149] Lazareth aufgegriffen und als Gefangenen mitgeschleppt hatte, war, durch den Marsch erschöpft liegen geblieben und dann auf einen solchen Karren geworfen worden, und hier, wo gehalten wurde, entdeckte man, daß er gestorben. Man nahm ihn herunter, und legte ihn auf die Straße, wo er später durch die Ortsbehörde abgeholt wurde, um begraben zu werden. Einige von unsern ermüdeten Soldaten hatten sich den Häusern genähert, um bei den vor der Thür Stehenden, größtentheils Weibern, um einen Trunk Wasser zu bitten. Diese Megären aber verweigerten dies nicht nur, sondern jagten die Unglücklichen keifend zurück. „Nichts mit Wasser!" schrieen sie. „Die Fremden hätten zu Hause bleiben und sie nicht in ihrem schönen Frank¬ reich belästigen sollen." Empört über ihr Betragen und noch aufgeregt durch den elenden Tod des bayerischen Offiziers, trat ich auf sie zu und sagte ihnen, was mir der Zorn eingab. Schämen sollten sie sich, ihr Benehmen sei nieder¬ trächtig, sie, die von der großen Nation sein wollten, hätten so wenig Herz, unglücklichen erschöpften Gefangenen einen Trunk Wasser zu versagen — sie, Wei¬ ber, die doch sonst nicht so abscheulich handelten, deren schönster Schmuck Milde und Mitleid seien, u. s. w. Da riefen sie einen von unsern Wächtern von der Escorte und verlangten Schutz vor meinen Beleidigungen, und sofort kam auch ein Kerl gelaufen und legte das Gewehr auf mich an. Ich sprang in die Colonne und rief: „Steht auf, man will uns erschießen!" Alles fuhr auf, was in der Nähe war, und nun rief ich dem Kerl zu, er solle es wagen, zu schießen, es kostete mir nur ein paar Worte und die paar Mann Escorte wären ecrasirt. Die Drohung war gar nicht lächerlich; denn die Zahl der Ge¬ fangenen war auf 300 Offiziere und S000 Unteroffiziere und Gemeine an¬ gewachsen, und neben uns stand ein Park von neunzig Kanonen. Durch den Lärm, den ich gemacht, wurde der Oberst von den Gensdarmen herbeigeführt, er erkundigte sich, was es gäbe, woraus ihm der Franzose, der sich nicht heran¬ wagte, erzählte, daß ich auf die französische Nation geschimpft habe. Der Oberst rief mir zu, zu ihm zu kommen, ich aber erwiderte, ich würde mich hüten; hier sei ich sicher, aber nicht mehr, wenn ich in seiner Gewalt wäre. Daraus sagte er: „Kommen Sie immer her, junger Mann; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, es geschieht Ihnen nichts!" — „Auf Ihr Ehrenwort vertraue ich" entgegnete ich und trat an ihn heran. Er fragte mich, was mich ver¬ anlaßt habe, solche unvorsichtige Aeußerungen zu thun? Ich antwortete, daß ich empört sei, wie man uns behandele, daß infolge dieser Behandlung ein Offizier wie ein Hund habe sterben müssen, daß ich über die Hartherzigkeit der Weiber, die den vor Erschöpfung umsinkenden armen Gefangenen einen Trunk Wasser versagten, außer mir gerathen sei, daß ich nicht mehr gewußt, was und wie ich es gesagt habe. Er entschuldigte unsre Behandlung mit den Ver¬ hältnissen, versprach, daß es von jetzt an besser werden solle, forderte mich, indem 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/149>, abgerufen am 24.07.2024.