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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Ich begab mich hinunter zur Schildwache und fragte: ob sie mich nicht
zu einem nahen Weinhändler begleiten wolle. Der Mann erwiderte, das könne
er nicht, der Sergeant sei nicht da, und er dürfe seinen Posten nicht verlassen.
Da erbot sich einer der Straßenjungen, die nie fehlten, wo es etwas zusehen
gab, mir Wein zu holen, er kenne einen sehr guten Laden. "Ich werde mich
hüten," erwiderte ich, "nicht wahr, ich gebe Dir das Geld, Du läufst fort,
und ich bin geprellt." Entrüstet entgegnete der Gamin: "Na xmi-vie ä'Iroir-
neur, ^'ö r>6 vou8 tromperai xas, ^6 n"z serm si Netis." Das amüsirte
mich, und ich sagte, ich wolle aus sein Ehrenwort vertrauen, aber er müsse
guten Wein bringen, was wohl die Flasche koste? Er meinte, unter zwei Fron¬
ten die Flasche bekäme man keinen guten. Ich gab ihm zehn Franken und
versprach ihm ein Trinkgeld. Und siehe da, er kam richtig wieder mit vier
Flaschen und brachte mir zwei Franken zurück, die ich ihn für seine Ehrlichkeit
behalten ließ. Unser Mittagsessen kam jetzt auch, und wir tranken unsre vier
Bouteillen in großer Heiterkeit, die dadurch noch mehr angeregt worden, daß
einige von den Gardeoffizieren, welche bei unserm Transportcommandanten
zum Essen gebeten gewesen waren, von da zurückkehrten und uns erzählten,
daß sehr wichtige und zwar für uns günstige Nachrichten eingegangen seien,
denn die Franzosen steckten die Kopfe zusammen. "So viel wir haben erlauschen
können." setzten die Herrn hinzu, "schlägt man sich heute bei Paris. Aus
unserm Transport dorthin wird wohl nichts werden." Der Wein hatte uns
geschmeckt, es war der schönste Burgunder, den ich jemals getrunken.

Gegen Abend ging der Marsch weiter und nun erst singen wir an den
Wein zu fühlen. Zuerst machte sichs ganz leidlich mit dem Gehen, aber nach¬
dem wir einige Lieues marschirt waren, überfiel mich eine so grenzenlose Müdig¬
keit, daß ich alle meine Kräfte aufbieten mußte, um nicht niederzusinken, be¬
vor wir ins Quartier kamen. Andern Tages bei guter Zeit brachen wir wieder
auf, und es wurde eine andere Direction eingeschlagen und zwar nach Orleans.
Ich erfuhr jetzt, daß wir nun nach Tours transportirt werden sollten, um dort
bis zur Auswechselung zu sitzen. Wir marschirten durch Orleans durch und
hielten, nachdem wir eine schöne Brücke über die Loire passirt, dicht an der¬
selben in einer Vorstadt an, wo ein Artilleriepark von einer Menge Kanonen
aufgefahren war. Wir waren Von dem Marsche sehr erschöpft und bemerkten
hier, daß wir einige große zweirädrige Karren bei uns hatten, die hinter uns
herfuhren, um Kranke und ganz Marode aufzunehmen. Auf diesen Karren
war kaum etwas Stroh, man packte die armen Kranken rücksichtslos neben-
und aufeinander, und ich sah sofort, daß auf ihnen zu fahren keine Erleich¬
terung, sondern eine schlimmere Marter war, als wir Fußgänger sie erdulden
mußten. Wie recht ich damit hatte, wurde ich sehr bald inne. Ein bayerischer
Offizier, ein großer starker Mann, den man als Halbreconvalescenten in einem


Ich begab mich hinunter zur Schildwache und fragte: ob sie mich nicht
zu einem nahen Weinhändler begleiten wolle. Der Mann erwiderte, das könne
er nicht, der Sergeant sei nicht da, und er dürfe seinen Posten nicht verlassen.
Da erbot sich einer der Straßenjungen, die nie fehlten, wo es etwas zusehen
gab, mir Wein zu holen, er kenne einen sehr guten Laden. „Ich werde mich
hüten," erwiderte ich, „nicht wahr, ich gebe Dir das Geld, Du läufst fort,
und ich bin geprellt." Entrüstet entgegnete der Gamin: „Na xmi-vie ä'Iroir-
neur, ^'ö r>6 vou8 tromperai xas, ^6 n«z serm si Netis." Das amüsirte
mich, und ich sagte, ich wolle aus sein Ehrenwort vertrauen, aber er müsse
guten Wein bringen, was wohl die Flasche koste? Er meinte, unter zwei Fron¬
ten die Flasche bekäme man keinen guten. Ich gab ihm zehn Franken und
versprach ihm ein Trinkgeld. Und siehe da, er kam richtig wieder mit vier
Flaschen und brachte mir zwei Franken zurück, die ich ihn für seine Ehrlichkeit
behalten ließ. Unser Mittagsessen kam jetzt auch, und wir tranken unsre vier
Bouteillen in großer Heiterkeit, die dadurch noch mehr angeregt worden, daß
einige von den Gardeoffizieren, welche bei unserm Transportcommandanten
zum Essen gebeten gewesen waren, von da zurückkehrten und uns erzählten,
daß sehr wichtige und zwar für uns günstige Nachrichten eingegangen seien,
denn die Franzosen steckten die Kopfe zusammen. „So viel wir haben erlauschen
können." setzten die Herrn hinzu, „schlägt man sich heute bei Paris. Aus
unserm Transport dorthin wird wohl nichts werden." Der Wein hatte uns
geschmeckt, es war der schönste Burgunder, den ich jemals getrunken.

Gegen Abend ging der Marsch weiter und nun erst singen wir an den
Wein zu fühlen. Zuerst machte sichs ganz leidlich mit dem Gehen, aber nach¬
dem wir einige Lieues marschirt waren, überfiel mich eine so grenzenlose Müdig¬
keit, daß ich alle meine Kräfte aufbieten mußte, um nicht niederzusinken, be¬
vor wir ins Quartier kamen. Andern Tages bei guter Zeit brachen wir wieder
auf, und es wurde eine andere Direction eingeschlagen und zwar nach Orleans.
Ich erfuhr jetzt, daß wir nun nach Tours transportirt werden sollten, um dort
bis zur Auswechselung zu sitzen. Wir marschirten durch Orleans durch und
hielten, nachdem wir eine schöne Brücke über die Loire passirt, dicht an der¬
selben in einer Vorstadt an, wo ein Artilleriepark von einer Menge Kanonen
aufgefahren war. Wir waren Von dem Marsche sehr erschöpft und bemerkten
hier, daß wir einige große zweirädrige Karren bei uns hatten, die hinter uns
herfuhren, um Kranke und ganz Marode aufzunehmen. Auf diesen Karren
war kaum etwas Stroh, man packte die armen Kranken rücksichtslos neben-
und aufeinander, und ich sah sofort, daß auf ihnen zu fahren keine Erleich¬
terung, sondern eine schlimmere Marter war, als wir Fußgänger sie erdulden
mußten. Wie recht ich damit hatte, wurde ich sehr bald inne. Ein bayerischer
Offizier, ein großer starker Mann, den man als Halbreconvalescenten in einem


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[0148] Ich begab mich hinunter zur Schildwache und fragte: ob sie mich nicht zu einem nahen Weinhändler begleiten wolle. Der Mann erwiderte, das könne er nicht, der Sergeant sei nicht da, und er dürfe seinen Posten nicht verlassen. Da erbot sich einer der Straßenjungen, die nie fehlten, wo es etwas zusehen gab, mir Wein zu holen, er kenne einen sehr guten Laden. „Ich werde mich hüten," erwiderte ich, „nicht wahr, ich gebe Dir das Geld, Du läufst fort, und ich bin geprellt." Entrüstet entgegnete der Gamin: „Na xmi-vie ä'Iroir- neur, ^'ö r>6 vou8 tromperai xas, ^6 n«z serm si Netis." Das amüsirte mich, und ich sagte, ich wolle aus sein Ehrenwort vertrauen, aber er müsse guten Wein bringen, was wohl die Flasche koste? Er meinte, unter zwei Fron¬ ten die Flasche bekäme man keinen guten. Ich gab ihm zehn Franken und versprach ihm ein Trinkgeld. Und siehe da, er kam richtig wieder mit vier Flaschen und brachte mir zwei Franken zurück, die ich ihn für seine Ehrlichkeit behalten ließ. Unser Mittagsessen kam jetzt auch, und wir tranken unsre vier Bouteillen in großer Heiterkeit, die dadurch noch mehr angeregt worden, daß einige von den Gardeoffizieren, welche bei unserm Transportcommandanten zum Essen gebeten gewesen waren, von da zurückkehrten und uns erzählten, daß sehr wichtige und zwar für uns günstige Nachrichten eingegangen seien, denn die Franzosen steckten die Kopfe zusammen. „So viel wir haben erlauschen können." setzten die Herrn hinzu, „schlägt man sich heute bei Paris. Aus unserm Transport dorthin wird wohl nichts werden." Der Wein hatte uns geschmeckt, es war der schönste Burgunder, den ich jemals getrunken. Gegen Abend ging der Marsch weiter und nun erst singen wir an den Wein zu fühlen. Zuerst machte sichs ganz leidlich mit dem Gehen, aber nach¬ dem wir einige Lieues marschirt waren, überfiel mich eine so grenzenlose Müdig¬ keit, daß ich alle meine Kräfte aufbieten mußte, um nicht niederzusinken, be¬ vor wir ins Quartier kamen. Andern Tages bei guter Zeit brachen wir wieder auf, und es wurde eine andere Direction eingeschlagen und zwar nach Orleans. Ich erfuhr jetzt, daß wir nun nach Tours transportirt werden sollten, um dort bis zur Auswechselung zu sitzen. Wir marschirten durch Orleans durch und hielten, nachdem wir eine schöne Brücke über die Loire passirt, dicht an der¬ selben in einer Vorstadt an, wo ein Artilleriepark von einer Menge Kanonen aufgefahren war. Wir waren Von dem Marsche sehr erschöpft und bemerkten hier, daß wir einige große zweirädrige Karren bei uns hatten, die hinter uns herfuhren, um Kranke und ganz Marode aufzunehmen. Auf diesen Karren war kaum etwas Stroh, man packte die armen Kranken rücksichtslos neben- und aufeinander, und ich sah sofort, daß auf ihnen zu fahren keine Erleich¬ terung, sondern eine schlimmere Marter war, als wir Fußgänger sie erdulden mußten. Wie recht ich damit hatte, wurde ich sehr bald inne. Ein bayerischer Offizier, ein großer starker Mann, den man als Halbreconvalescenten in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/148>, abgerufen am 24.07.2024.