Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Debatten willigte der Wachtoffizier endlich ein, uns zum russischen General
zu bringen. Als wir zu diesem in das Zimmer traten, fragte er sogleich in
gutem Deutsch, ehe noch einer von uns ein Wort gesprochen: "Welcher von
den Herren hat sich unterstanden, einen russischen Elitegrenadier so arg zu
verwunden?" Da trat ich vor und sagte: "Das bin ich gewesen, weil er mich
angefallen hat, ich habe mich nur vertheidigt, es thut mir leid, wenn er noch
lehr!" Darauf sagte der Hauptmann' v. Roczinsky: "Herr General, wir sind
nicht hierhergekommen, um verhört zu werden, sondern um Klage zu führen
über die Excesse Ihrer Soldaten und Genugthuung zu fordern." Dann fügte
er, sich zu uns wendend hinzu: "Unter diesen Umständen haben wir hier nichts
mehr zu thun." Er ging voran, und wir verließen sämmtlich das Zimmer,
ohne vom General aufgehalten zu werden. Infolge einer Aufforderung des
Hauptmanns begaben wir uns nun zu unserm Brigadecommandeur, dem Prinz
zen August. Es war halb elf Uhr, aber er war noch auf und ließ uns gleich
vor. Nachdem ita die Veranlassung unsres so späten Erscheinens berichtet
war, klopfte mich der Prinz auf die Schulter und sagte: "Es freut mich, daß
Sie sich so gut aus der Affaire gezogen und tapfer vertheidigt haben, aber
nun setzen Sie sich hin und bringen den ganzen Vorfall getreu wie er sich zu¬
getragen zu Papier, für das Weitere werde ich sorgen." Er selbst gab mi^
einen Bogen Postpapier und wies mir einen Platz am Tische an. Nachdem
dies geschehen, entließ er uns sehr gnädig. Vielleicht war er um deswillen
mit meinem Benehmen so zufrieden, weil im Jahre 1813, als wir bei Culm
standen, ein Offizier unsers Regiments, der zur Steuer der Plünderungen
russischer Garden mit SO Mann commandirt war, von diesen nicht nur
zurückgetrieben, sondern sogar, obgleich er einen russischen Orden hatte,
entwaffnet worden war und beinahe Mißhandlungen erlitten hätte. Unser
Prinz ging damals auf der Stelle zum König, und der Zufall fügte es, daß
sich bei diesem gerade der Kaiser Alexander befand. Der Prinz machte dem
Könige in Gegenwart desselben Meldung von dem Vorgefallenen, und der
Kaiser war darüber so ausgebracht, daß er sofort seine Garden unter das Ge¬
wehr treten und den Offizier die Glieder durchgehen ließ, um zu sehen, ob er
vielleicht einige von den Excedenten wieder erkennen würde. Er fand wirklich
einige heraus, und dieselben wurden auf der Stelle hinter der Front erschossen.

Es war elf Uhr geworden, als ich mit meinem Aufsatz fertig war und
wir das Quartier des Prinzen verließen. Der Commandant gab mir einen
Mann mit, der mich zu dem richtigen Thore brachte, und so wanderte ich denn
in der schönen hellen Winternacht ganz allein, aber wohlgemuth über das
glücklich überstandene so gefahrvoll begonnene Abenteuer, meinem Ccmtonnement
zu, wo mich mein treuer Bursche schon längst erwartet hatte. Ich legte mich
sogleich nieder und setzte am andern Morgen den Marsch auf der großen


Debatten willigte der Wachtoffizier endlich ein, uns zum russischen General
zu bringen. Als wir zu diesem in das Zimmer traten, fragte er sogleich in
gutem Deutsch, ehe noch einer von uns ein Wort gesprochen: „Welcher von
den Herren hat sich unterstanden, einen russischen Elitegrenadier so arg zu
verwunden?" Da trat ich vor und sagte: „Das bin ich gewesen, weil er mich
angefallen hat, ich habe mich nur vertheidigt, es thut mir leid, wenn er noch
lehr!" Darauf sagte der Hauptmann' v. Roczinsky: „Herr General, wir sind
nicht hierhergekommen, um verhört zu werden, sondern um Klage zu führen
über die Excesse Ihrer Soldaten und Genugthuung zu fordern." Dann fügte
er, sich zu uns wendend hinzu: „Unter diesen Umständen haben wir hier nichts
mehr zu thun." Er ging voran, und wir verließen sämmtlich das Zimmer,
ohne vom General aufgehalten zu werden. Infolge einer Aufforderung des
Hauptmanns begaben wir uns nun zu unserm Brigadecommandeur, dem Prinz
zen August. Es war halb elf Uhr, aber er war noch auf und ließ uns gleich
vor. Nachdem ita die Veranlassung unsres so späten Erscheinens berichtet
war, klopfte mich der Prinz auf die Schulter und sagte: „Es freut mich, daß
Sie sich so gut aus der Affaire gezogen und tapfer vertheidigt haben, aber
nun setzen Sie sich hin und bringen den ganzen Vorfall getreu wie er sich zu¬
getragen zu Papier, für das Weitere werde ich sorgen." Er selbst gab mi^
einen Bogen Postpapier und wies mir einen Platz am Tische an. Nachdem
dies geschehen, entließ er uns sehr gnädig. Vielleicht war er um deswillen
mit meinem Benehmen so zufrieden, weil im Jahre 1813, als wir bei Culm
standen, ein Offizier unsers Regiments, der zur Steuer der Plünderungen
russischer Garden mit SO Mann commandirt war, von diesen nicht nur
zurückgetrieben, sondern sogar, obgleich er einen russischen Orden hatte,
entwaffnet worden war und beinahe Mißhandlungen erlitten hätte. Unser
Prinz ging damals auf der Stelle zum König, und der Zufall fügte es, daß
sich bei diesem gerade der Kaiser Alexander befand. Der Prinz machte dem
Könige in Gegenwart desselben Meldung von dem Vorgefallenen, und der
Kaiser war darüber so ausgebracht, daß er sofort seine Garden unter das Ge¬
wehr treten und den Offizier die Glieder durchgehen ließ, um zu sehen, ob er
vielleicht einige von den Excedenten wieder erkennen würde. Er fand wirklich
einige heraus, und dieselben wurden auf der Stelle hinter der Front erschossen.

Es war elf Uhr geworden, als ich mit meinem Aufsatz fertig war und
wir das Quartier des Prinzen verließen. Der Commandant gab mir einen
Mann mit, der mich zu dem richtigen Thore brachte, und so wanderte ich denn
in der schönen hellen Winternacht ganz allein, aber wohlgemuth über das
glücklich überstandene so gefahrvoll begonnene Abenteuer, meinem Ccmtonnement
zu, wo mich mein treuer Bursche schon längst erwartet hatte. Ich legte mich
sogleich nieder und setzte am andern Morgen den Marsch auf der großen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116479"/>
          <p xml:id="ID_12" prev="#ID_11"> Debatten willigte der Wachtoffizier endlich ein, uns zum russischen General<lb/>
zu bringen. Als wir zu diesem in das Zimmer traten, fragte er sogleich in<lb/>
gutem Deutsch, ehe noch einer von uns ein Wort gesprochen: &#x201E;Welcher von<lb/>
den Herren hat sich unterstanden, einen russischen Elitegrenadier so arg zu<lb/>
verwunden?" Da trat ich vor und sagte: &#x201E;Das bin ich gewesen, weil er mich<lb/>
angefallen hat, ich habe mich nur vertheidigt, es thut mir leid, wenn er noch<lb/>
lehr!" Darauf sagte der Hauptmann' v. Roczinsky: &#x201E;Herr General, wir sind<lb/>
nicht hierhergekommen, um verhört zu werden, sondern um Klage zu führen<lb/>
über die Excesse Ihrer Soldaten und Genugthuung zu fordern." Dann fügte<lb/>
er, sich zu uns wendend hinzu: &#x201E;Unter diesen Umständen haben wir hier nichts<lb/>
mehr zu thun." Er ging voran, und wir verließen sämmtlich das Zimmer,<lb/>
ohne vom General aufgehalten zu werden. Infolge einer Aufforderung des<lb/>
Hauptmanns begaben wir uns nun zu unserm Brigadecommandeur, dem Prinz<lb/>
zen August. Es war halb elf Uhr, aber er war noch auf und ließ uns gleich<lb/>
vor. Nachdem ita die Veranlassung unsres so späten Erscheinens berichtet<lb/>
war, klopfte mich der Prinz auf die Schulter und sagte: &#x201E;Es freut mich, daß<lb/>
Sie sich so gut aus der Affaire gezogen und tapfer vertheidigt haben, aber<lb/>
nun setzen Sie sich hin und bringen den ganzen Vorfall getreu wie er sich zu¬<lb/>
getragen zu Papier, für das Weitere werde ich sorgen." Er selbst gab mi^<lb/>
einen Bogen Postpapier und wies mir einen Platz am Tische an. Nachdem<lb/>
dies geschehen, entließ er uns sehr gnädig. Vielleicht war er um deswillen<lb/>
mit meinem Benehmen so zufrieden, weil im Jahre 1813, als wir bei Culm<lb/>
standen, ein Offizier unsers Regiments, der zur Steuer der Plünderungen<lb/>
russischer Garden mit SO Mann commandirt war, von diesen nicht nur<lb/>
zurückgetrieben, sondern sogar, obgleich er einen russischen Orden hatte,<lb/>
entwaffnet worden war und beinahe Mißhandlungen erlitten hätte. Unser<lb/>
Prinz ging damals auf der Stelle zum König, und der Zufall fügte es, daß<lb/>
sich bei diesem gerade der Kaiser Alexander befand. Der Prinz machte dem<lb/>
Könige in Gegenwart desselben Meldung von dem Vorgefallenen, und der<lb/>
Kaiser war darüber so ausgebracht, daß er sofort seine Garden unter das Ge¬<lb/>
wehr treten und den Offizier die Glieder durchgehen ließ, um zu sehen, ob er<lb/>
vielleicht einige von den Excedenten wieder erkennen würde. Er fand wirklich<lb/>
einige heraus, und dieselben wurden auf der Stelle hinter der Front erschossen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_13" next="#ID_14"> Es war elf Uhr geworden, als ich mit meinem Aufsatz fertig war und<lb/>
wir das Quartier des Prinzen verließen. Der Commandant gab mir einen<lb/>
Mann mit, der mich zu dem richtigen Thore brachte, und so wanderte ich denn<lb/>
in der schönen hellen Winternacht ganz allein, aber wohlgemuth über das<lb/>
glücklich überstandene so gefahrvoll begonnene Abenteuer, meinem Ccmtonnement<lb/>
zu, wo mich mein treuer Bursche schon längst erwartet hatte. Ich legte mich<lb/>
sogleich nieder und setzte am andern Morgen den Marsch auf der großen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] Debatten willigte der Wachtoffizier endlich ein, uns zum russischen General zu bringen. Als wir zu diesem in das Zimmer traten, fragte er sogleich in gutem Deutsch, ehe noch einer von uns ein Wort gesprochen: „Welcher von den Herren hat sich unterstanden, einen russischen Elitegrenadier so arg zu verwunden?" Da trat ich vor und sagte: „Das bin ich gewesen, weil er mich angefallen hat, ich habe mich nur vertheidigt, es thut mir leid, wenn er noch lehr!" Darauf sagte der Hauptmann' v. Roczinsky: „Herr General, wir sind nicht hierhergekommen, um verhört zu werden, sondern um Klage zu führen über die Excesse Ihrer Soldaten und Genugthuung zu fordern." Dann fügte er, sich zu uns wendend hinzu: „Unter diesen Umständen haben wir hier nichts mehr zu thun." Er ging voran, und wir verließen sämmtlich das Zimmer, ohne vom General aufgehalten zu werden. Infolge einer Aufforderung des Hauptmanns begaben wir uns nun zu unserm Brigadecommandeur, dem Prinz zen August. Es war halb elf Uhr, aber er war noch auf und ließ uns gleich vor. Nachdem ita die Veranlassung unsres so späten Erscheinens berichtet war, klopfte mich der Prinz auf die Schulter und sagte: „Es freut mich, daß Sie sich so gut aus der Affaire gezogen und tapfer vertheidigt haben, aber nun setzen Sie sich hin und bringen den ganzen Vorfall getreu wie er sich zu¬ getragen zu Papier, für das Weitere werde ich sorgen." Er selbst gab mi^ einen Bogen Postpapier und wies mir einen Platz am Tische an. Nachdem dies geschehen, entließ er uns sehr gnädig. Vielleicht war er um deswillen mit meinem Benehmen so zufrieden, weil im Jahre 1813, als wir bei Culm standen, ein Offizier unsers Regiments, der zur Steuer der Plünderungen russischer Garden mit SO Mann commandirt war, von diesen nicht nur zurückgetrieben, sondern sogar, obgleich er einen russischen Orden hatte, entwaffnet worden war und beinahe Mißhandlungen erlitten hätte. Unser Prinz ging damals auf der Stelle zum König, und der Zufall fügte es, daß sich bei diesem gerade der Kaiser Alexander befand. Der Prinz machte dem Könige in Gegenwart desselben Meldung von dem Vorgefallenen, und der Kaiser war darüber so ausgebracht, daß er sofort seine Garden unter das Ge¬ wehr treten und den Offizier die Glieder durchgehen ließ, um zu sehen, ob er vielleicht einige von den Excedenten wieder erkennen würde. Er fand wirklich einige heraus, und dieselben wurden auf der Stelle hinter der Front erschossen. Es war elf Uhr geworden, als ich mit meinem Aufsatz fertig war und wir das Quartier des Prinzen verließen. Der Commandant gab mir einen Mann mit, der mich zu dem richtigen Thore brachte, und so wanderte ich denn in der schönen hellen Winternacht ganz allein, aber wohlgemuth über das glücklich überstandene so gefahrvoll begonnene Abenteuer, meinem Ccmtonnement zu, wo mich mein treuer Bursche schon längst erwartet hatte. Ich legte mich sogleich nieder und setzte am andern Morgen den Marsch auf der großen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/14>, abgerufen am 24.07.2024.