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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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anvertraute Gebiet zu übersehen, gewissenhaft zu verwalten? Die eminentester
Köpfe in jedem Wissenszweig, das ausdauerndste Studium wäre dazu nothwendig,
um stets der riesig fortschreitenden Wissenschaft und Industrie treulich zur Seite
zu bleiben; aber dergleichen Männer geben sich nicht zu Patentcommissären her.
Es wäre demnach von vornherein eine Ungerechtigkeit sowohl wie ein Irrthum
Von Seiten der Behörde gar nicht ausgeschlossen, ja sogar sehr leicht möglich.
In der Prüfung liegt daher auch keineswegs eine Garantie für das Publicum
im Allgemeinen, Der Industrielle jedoch insbesondere bekommt dadurch einen
schwierigen Stand, daß er von der neuen Erfindung nur den Titel erfährt,
weiter nichts; denn ihre Wesenheit wird von Amtswegen geheim gehalten.
Hierin liegt der größte Nachtheil dieses Verfahrens. Denn, gesetzten Falls, ein
Gewerbtreibendcr will eine Verbesserung einführen, welche sich zur Patentirung
eignet, deren Titel aber eine Vieldeutigkeit erlaubt -- so kann er sich auf keine
Weise Gewißheit darüber verschaffen, ob er mit anderen Erfindungsrechten in
Collision kommen wird oder nicht, als durch Anfrage und Nachforschung bei
dem Patentamt. Dieser Weg ist lang, zeitraubend, kostspielig -- kurz so un¬
angenehm, daß schon manche gerechte Sache darüber liegen gelassen worden ist.
Also wird auch der Erfinder durch das Prüfungsverfahren beeinträchtigt und
unnütz gequält. Das Geheimhalten der Art der Erfindung hat nicht einmal
rechten Sinn; benutzen darf sie doch niemand, wenn das Patent ertheilt wor¬
den ist; es wäre aber, wäre sie bekannt gewesen, vielleicht auf ihr fortgebaut
und von anderer Seite Größeres erzielt worden. Sehr möglich -- und oft
vorgekommen -- ist der Fall, daß eine patentirte Erfindung gesetzmäßig einmal
ausgeführt, sodann aber nicht weiter betrieben wird; so lange das Patent gil¬
tig ist; ist dieselbe, ohne den mindesten Nutzen für Besitzer und Publicum, völ¬
lig der Welt verloren, wahrend ihr Privilegium vielleicht die Entwickelung der
betreffenden Industrie außerordentlich hemmt. Was überhaupt die Patentdaucr
anbetrifft, so ist es mißlich, eine solche willkürlich durch ein technisches Gut¬
achten festzusetzen; es giebt keine unfehlbaren Richter über die Entwickelungs¬
fähigkeit einer industriellen Neuheit. Man denke an Guttenbergs unsterbliche
Erfindung, welche die Welt umgestaltet hat! Welcher Experte würde von einer
so einfachen Manipulation, wie das Zersägen eines in hervorragende Lettern
geschnittenen Hvlzstockö, die Entfaltung der Buchdruckerkunst zu ihrem heutigen
Standpunkt abzuleiten gewagt haben? Wer von allen erleuchteten Geistern seines
Jahrhunderts glaubte den Weissagungen des Salomon de Caus über die der-
einstigen Erfolge der Dampfkraft? Wem wäre es noch in neuester Zeit ein¬
gefallen, als es Daguerre gelang, einen Sonnenstrahl zu fangen, alle die
außerordentlichen Folgerungen daran zu heften, welche heute schon gewonnen,
aber immer nur ein bloßer Anfang sind? -- Genug, das Prüfungsverfahren
der Patentgesetzgebung bietet nach keiner Richtung hin eine befriedigende Ge-


anvertraute Gebiet zu übersehen, gewissenhaft zu verwalten? Die eminentester
Köpfe in jedem Wissenszweig, das ausdauerndste Studium wäre dazu nothwendig,
um stets der riesig fortschreitenden Wissenschaft und Industrie treulich zur Seite
zu bleiben; aber dergleichen Männer geben sich nicht zu Patentcommissären her.
Es wäre demnach von vornherein eine Ungerechtigkeit sowohl wie ein Irrthum
Von Seiten der Behörde gar nicht ausgeschlossen, ja sogar sehr leicht möglich.
In der Prüfung liegt daher auch keineswegs eine Garantie für das Publicum
im Allgemeinen, Der Industrielle jedoch insbesondere bekommt dadurch einen
schwierigen Stand, daß er von der neuen Erfindung nur den Titel erfährt,
weiter nichts; denn ihre Wesenheit wird von Amtswegen geheim gehalten.
Hierin liegt der größte Nachtheil dieses Verfahrens. Denn, gesetzten Falls, ein
Gewerbtreibendcr will eine Verbesserung einführen, welche sich zur Patentirung
eignet, deren Titel aber eine Vieldeutigkeit erlaubt — so kann er sich auf keine
Weise Gewißheit darüber verschaffen, ob er mit anderen Erfindungsrechten in
Collision kommen wird oder nicht, als durch Anfrage und Nachforschung bei
dem Patentamt. Dieser Weg ist lang, zeitraubend, kostspielig — kurz so un¬
angenehm, daß schon manche gerechte Sache darüber liegen gelassen worden ist.
Also wird auch der Erfinder durch das Prüfungsverfahren beeinträchtigt und
unnütz gequält. Das Geheimhalten der Art der Erfindung hat nicht einmal
rechten Sinn; benutzen darf sie doch niemand, wenn das Patent ertheilt wor¬
den ist; es wäre aber, wäre sie bekannt gewesen, vielleicht auf ihr fortgebaut
und von anderer Seite Größeres erzielt worden. Sehr möglich — und oft
vorgekommen — ist der Fall, daß eine patentirte Erfindung gesetzmäßig einmal
ausgeführt, sodann aber nicht weiter betrieben wird; so lange das Patent gil¬
tig ist; ist dieselbe, ohne den mindesten Nutzen für Besitzer und Publicum, völ¬
lig der Welt verloren, wahrend ihr Privilegium vielleicht die Entwickelung der
betreffenden Industrie außerordentlich hemmt. Was überhaupt die Patentdaucr
anbetrifft, so ist es mißlich, eine solche willkürlich durch ein technisches Gut¬
achten festzusetzen; es giebt keine unfehlbaren Richter über die Entwickelungs¬
fähigkeit einer industriellen Neuheit. Man denke an Guttenbergs unsterbliche
Erfindung, welche die Welt umgestaltet hat! Welcher Experte würde von einer
so einfachen Manipulation, wie das Zersägen eines in hervorragende Lettern
geschnittenen Hvlzstockö, die Entfaltung der Buchdruckerkunst zu ihrem heutigen
Standpunkt abzuleiten gewagt haben? Wer von allen erleuchteten Geistern seines
Jahrhunderts glaubte den Weissagungen des Salomon de Caus über die der-
einstigen Erfolge der Dampfkraft? Wem wäre es noch in neuester Zeit ein¬
gefallen, als es Daguerre gelang, einen Sonnenstrahl zu fangen, alle die
außerordentlichen Folgerungen daran zu heften, welche heute schon gewonnen,
aber immer nur ein bloßer Anfang sind? — Genug, das Prüfungsverfahren
der Patentgesetzgebung bietet nach keiner Richtung hin eine befriedigende Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/134>, abgerufen am 24.07.2024.