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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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umsichtiger und gewissenhaftester Eingcweideschau für folgendes Urtheil ent¬
schieden:

Der Haupt- und Grundfeind unsrer Sache ist Oestreich. Wer jetzt noch
die altgothaische Vertuschung predigen, wer nicht sehen kann, daß, so lange
Oestreich eine Macht bleibt, in keiner deutschen Lebensfrage auch nur das
Geringste erreicht werden kann, der muß blind und taub zugleich sein, und es
ist nur zu beklagen, daß er nicht auch stumm ist. Oestreich wird um jeden
Preis einen europäischen Krieg vermeiden und die Bewegung in den Herzog¬
tümern eventuell mit Waffengewalt niederschlagen. Ihre Regierung, Sachsen,
bat den guten Willen, möglichst viel für die patriotische Sache zu thun, und
die gute Hoffnung, vielleicht Holstein zu retten, beides aber nur bis zu der
Grenze, wo Oestreich hindernd dazwischen tritt. Um nichts in der Welt wird
man in Dresden gegen Oestreichs Willen agiren. Auch den Wunsch, ein wenig
Capital für die Trias zu gewinnen und etwas für seine Popularität zu thun
wird man schließlich mit blutendem Herzen dieser Staatsraison zum Opfer bringen.
Bayern und Würtemberg denken ähnlich.

Möglich, daß die Eingeweideschauer sich täuschten, aber nicht wahrschein¬
lich. Dagegen ist sicher, daß man in Dresden mit jener ruchlosen, in Schles¬
wig-Holstein die Nationalität, in Dänemark die Freiheit mit Verrath bedrohenden
Niedertracht, die den Dänen das Joch der Junker aufzwingen und zu diesem
Zweck, mit Vergnügen die Schleswig-Holsteincr opfern möchte, in der That nichts
gemein hat.

Wäre ich ein Großdeutscher, ich hätte mich schon seit Wochen unter Curatel
stellen lassen. Und wissen Sie, was ich als gut preußisch Gesinnter zu thun
fast nicht mehr umhin kann? Einpacken möchte ich mein Preußenthum und es
bis auf glücklichere Tage verbergen, wo es die Motten nicht fressen und da
Diebe nicht hinkommen und stehlen. Nicht weil in Preußen jetzt der Junker thut,
was ihm gefällt, nicht weil Waldeck und Genossen sich schmachvoll benehmen,
sondern weil das preußische Volk sich in dieser Sache lauer und matter beträgt,
als irgend ein deutscher Stamm. Was bleibt uns übrig? -- Man darf's nicht
sagen. Die trostreichste Seite, die man jetzt, wo "deutsches Bruder unsrigcs"
aus Hungarien und der Pvlakei zu dem Schleswiger Pfänderspiel heranrückt,
unsrer verrathenen Sache noch abgewinnen kann, ist die, daß die Hand, die
diesen Fremden den Marsch zu uns gebieten wird, damit den Zeiger an der
Uhr der deutschen Geschicke mit einem Ruck um mehre Stunden nach der zwölften
Stunde hinschieben wird.




15*

umsichtiger und gewissenhaftester Eingcweideschau für folgendes Urtheil ent¬
schieden:

Der Haupt- und Grundfeind unsrer Sache ist Oestreich. Wer jetzt noch
die altgothaische Vertuschung predigen, wer nicht sehen kann, daß, so lange
Oestreich eine Macht bleibt, in keiner deutschen Lebensfrage auch nur das
Geringste erreicht werden kann, der muß blind und taub zugleich sein, und es
ist nur zu beklagen, daß er nicht auch stumm ist. Oestreich wird um jeden
Preis einen europäischen Krieg vermeiden und die Bewegung in den Herzog¬
tümern eventuell mit Waffengewalt niederschlagen. Ihre Regierung, Sachsen,
bat den guten Willen, möglichst viel für die patriotische Sache zu thun, und
die gute Hoffnung, vielleicht Holstein zu retten, beides aber nur bis zu der
Grenze, wo Oestreich hindernd dazwischen tritt. Um nichts in der Welt wird
man in Dresden gegen Oestreichs Willen agiren. Auch den Wunsch, ein wenig
Capital für die Trias zu gewinnen und etwas für seine Popularität zu thun
wird man schließlich mit blutendem Herzen dieser Staatsraison zum Opfer bringen.
Bayern und Würtemberg denken ähnlich.

Möglich, daß die Eingeweideschauer sich täuschten, aber nicht wahrschein¬
lich. Dagegen ist sicher, daß man in Dresden mit jener ruchlosen, in Schles¬
wig-Holstein die Nationalität, in Dänemark die Freiheit mit Verrath bedrohenden
Niedertracht, die den Dänen das Joch der Junker aufzwingen und zu diesem
Zweck, mit Vergnügen die Schleswig-Holsteincr opfern möchte, in der That nichts
gemein hat.

Wäre ich ein Großdeutscher, ich hätte mich schon seit Wochen unter Curatel
stellen lassen. Und wissen Sie, was ich als gut preußisch Gesinnter zu thun
fast nicht mehr umhin kann? Einpacken möchte ich mein Preußenthum und es
bis auf glücklichere Tage verbergen, wo es die Motten nicht fressen und da
Diebe nicht hinkommen und stehlen. Nicht weil in Preußen jetzt der Junker thut,
was ihm gefällt, nicht weil Waldeck und Genossen sich schmachvoll benehmen,
sondern weil das preußische Volk sich in dieser Sache lauer und matter beträgt,
als irgend ein deutscher Stamm. Was bleibt uns übrig? — Man darf's nicht
sagen. Die trostreichste Seite, die man jetzt, wo „deutsches Bruder unsrigcs"
aus Hungarien und der Pvlakei zu dem Schleswiger Pfänderspiel heranrückt,
unsrer verrathenen Sache noch abgewinnen kann, ist die, daß die Hand, die
diesen Fremden den Marsch zu uns gebieten wird, damit den Zeiger an der
Uhr der deutschen Geschicke mit einem Ruck um mehre Stunden nach der zwölften
Stunde hinschieben wird.




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[0125] umsichtiger und gewissenhaftester Eingcweideschau für folgendes Urtheil ent¬ schieden: Der Haupt- und Grundfeind unsrer Sache ist Oestreich. Wer jetzt noch die altgothaische Vertuschung predigen, wer nicht sehen kann, daß, so lange Oestreich eine Macht bleibt, in keiner deutschen Lebensfrage auch nur das Geringste erreicht werden kann, der muß blind und taub zugleich sein, und es ist nur zu beklagen, daß er nicht auch stumm ist. Oestreich wird um jeden Preis einen europäischen Krieg vermeiden und die Bewegung in den Herzog¬ tümern eventuell mit Waffengewalt niederschlagen. Ihre Regierung, Sachsen, bat den guten Willen, möglichst viel für die patriotische Sache zu thun, und die gute Hoffnung, vielleicht Holstein zu retten, beides aber nur bis zu der Grenze, wo Oestreich hindernd dazwischen tritt. Um nichts in der Welt wird man in Dresden gegen Oestreichs Willen agiren. Auch den Wunsch, ein wenig Capital für die Trias zu gewinnen und etwas für seine Popularität zu thun wird man schließlich mit blutendem Herzen dieser Staatsraison zum Opfer bringen. Bayern und Würtemberg denken ähnlich. Möglich, daß die Eingeweideschauer sich täuschten, aber nicht wahrschein¬ lich. Dagegen ist sicher, daß man in Dresden mit jener ruchlosen, in Schles¬ wig-Holstein die Nationalität, in Dänemark die Freiheit mit Verrath bedrohenden Niedertracht, die den Dänen das Joch der Junker aufzwingen und zu diesem Zweck, mit Vergnügen die Schleswig-Holsteincr opfern möchte, in der That nichts gemein hat. Wäre ich ein Großdeutscher, ich hätte mich schon seit Wochen unter Curatel stellen lassen. Und wissen Sie, was ich als gut preußisch Gesinnter zu thun fast nicht mehr umhin kann? Einpacken möchte ich mein Preußenthum und es bis auf glücklichere Tage verbergen, wo es die Motten nicht fressen und da Diebe nicht hinkommen und stehlen. Nicht weil in Preußen jetzt der Junker thut, was ihm gefällt, nicht weil Waldeck und Genossen sich schmachvoll benehmen, sondern weil das preußische Volk sich in dieser Sache lauer und matter beträgt, als irgend ein deutscher Stamm. Was bleibt uns übrig? — Man darf's nicht sagen. Die trostreichste Seite, die man jetzt, wo „deutsches Bruder unsrigcs" aus Hungarien und der Pvlakei zu dem Schleswiger Pfänderspiel heranrückt, unsrer verrathenen Sache noch abgewinnen kann, ist die, daß die Hand, die diesen Fremden den Marsch zu uns gebieten wird, damit den Zeiger an der Uhr der deutschen Geschicke mit einem Ruck um mehre Stunden nach der zwölften Stunde hinschieben wird. 15*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/125>, abgerufen am 29.06.2024.