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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Die Erzählung von dem Abenteuer mit den Schelmen in Steifleinen war
ein Meisterstück, und sein Gesicht bei dem Dementi des Prinzen bis zu der
neuen Lüge "ich kannte euch" wirkte unwiderstehlich komisch.

Aber nun noch eine Bemerkung. Es hat sich die Bühnentradition gebildet,
daß der Darsteller des Percy eine eigenthümliche Sprache spricht, die Worte
überstürzen sich, der Athem versagt ihm. er stockt und stottert sogar an ein¬
zelnen Stellen. Diese seltsame Praxis stützt sich auf die Worte der Lady
Percy II.. 3:


L.na sxsaKinZ tkiek, wbien rmwrö nacio Iiis blsmisü,
Leeaniö ins aooents ok tus valiant.

Mit demselben Rechte einer peinlichen Genauigkeit könnte man seine ganze
Umgebung stottern lassen; denn sie ahmte, wie dieselbe Lady Percy sagt, die¬
sen Naturfehler des vorbildlichen Helden nach. Aber man glaubt damit eine
große dramatische Feinheit anzubringen- der Sturm seines leidenschaftlichen
Gemüths soll sich auch in der Sprache ausdrücken. Und kann man denn wirk¬
lich dies symbolisiren des übersprudelnden Gemüths durch eine stockende, stol¬
pernde Sprache billigen? Mir scheint, ebensowenig als man denjenigen für den
größten Porträtmaler halten wird, der mit minutiösen Fleiß, wie Denner etwa,
jede Runzel und Warze nachzubilden sich bestrebt. Der Charakter des Hei߬
sporns ist von Shakespeare in seinen Reden und Handlungen so klar, so im
dividuell gezeichnet, daß es solcher charakteristrenden Aeußerlichkeiten, denen die
Gefahr des Mißverständnisses sehr nahe liegt, wahrhaftig nicht bedarf. Aber
diese theoretische Einwendung ist auch das Einzige, was sich gegen die Dar-
stellung Percys durch Herrn Wünzer sagen läßt; die sonstige Auffassung und
Ausführung der Rolle war tüchtig.

Wir wenden uns nun zu dem dritten Stück der Reihe, dem zweiten Theil
von Heinrich dem Vierten und besprechen zunächst eine Reihe Einzelheiten, dem
Gang des Dramas nachfolgend, um dann schließlich eine Pnncipienfrage zu
erörtern, zu weicher eine Stelle der dingelstedtschen Bearbeitung Veranlassung
giebt. Daß I, 2 Falstaff dem Oberrichter sein Anlehengesuch noch nachfahren,
macht allerdings einen heitern Effect; aber ist es wohl wahrscheinlich, daß der
letztere in ähnlicher Weise zurückruft und aus der Entfernung ihm Grüße an
Westmoreland aufträgt? Also dürften diese Worte noch auf der Bühne zu
wechseln sein, wie denn das ^xeunt, Lniek ^usties ana ^ttöuäant, in den ge¬
wöhnlichen Ausgaben mit Recht erst nach diesem Grußauftrag folgt. Dagegen
ist es ganz zu billigen, wenn der Erzbischof von York in der folgenden Scene
jene derbe Rede über den Wankelmuth des Volks als eine Art Monolog vor
sich hinspricht. Die Aushebung der Rekruten war sehr wohl arrangirt, und
Herr Hettstedt (Friedensrichter Schaal) bewährte den tüchtigen Komiker: der
weimarische Dialekt, welchen er durchklingen ließ, konnte immerhin das glo-


Grenzboten I. 1864. 13

Die Erzählung von dem Abenteuer mit den Schelmen in Steifleinen war
ein Meisterstück, und sein Gesicht bei dem Dementi des Prinzen bis zu der
neuen Lüge „ich kannte euch" wirkte unwiderstehlich komisch.

Aber nun noch eine Bemerkung. Es hat sich die Bühnentradition gebildet,
daß der Darsteller des Percy eine eigenthümliche Sprache spricht, die Worte
überstürzen sich, der Athem versagt ihm. er stockt und stottert sogar an ein¬
zelnen Stellen. Diese seltsame Praxis stützt sich auf die Worte der Lady
Percy II.. 3:


L.na sxsaKinZ tkiek, wbien rmwrö nacio Iiis blsmisü,
Leeaniö ins aooents ok tus valiant.

Mit demselben Rechte einer peinlichen Genauigkeit könnte man seine ganze
Umgebung stottern lassen; denn sie ahmte, wie dieselbe Lady Percy sagt, die¬
sen Naturfehler des vorbildlichen Helden nach. Aber man glaubt damit eine
große dramatische Feinheit anzubringen- der Sturm seines leidenschaftlichen
Gemüths soll sich auch in der Sprache ausdrücken. Und kann man denn wirk¬
lich dies symbolisiren des übersprudelnden Gemüths durch eine stockende, stol¬
pernde Sprache billigen? Mir scheint, ebensowenig als man denjenigen für den
größten Porträtmaler halten wird, der mit minutiösen Fleiß, wie Denner etwa,
jede Runzel und Warze nachzubilden sich bestrebt. Der Charakter des Hei߬
sporns ist von Shakespeare in seinen Reden und Handlungen so klar, so im
dividuell gezeichnet, daß es solcher charakteristrenden Aeußerlichkeiten, denen die
Gefahr des Mißverständnisses sehr nahe liegt, wahrhaftig nicht bedarf. Aber
diese theoretische Einwendung ist auch das Einzige, was sich gegen die Dar-
stellung Percys durch Herrn Wünzer sagen läßt; die sonstige Auffassung und
Ausführung der Rolle war tüchtig.

Wir wenden uns nun zu dem dritten Stück der Reihe, dem zweiten Theil
von Heinrich dem Vierten und besprechen zunächst eine Reihe Einzelheiten, dem
Gang des Dramas nachfolgend, um dann schließlich eine Pnncipienfrage zu
erörtern, zu weicher eine Stelle der dingelstedtschen Bearbeitung Veranlassung
giebt. Daß I, 2 Falstaff dem Oberrichter sein Anlehengesuch noch nachfahren,
macht allerdings einen heitern Effect; aber ist es wohl wahrscheinlich, daß der
letztere in ähnlicher Weise zurückruft und aus der Entfernung ihm Grüße an
Westmoreland aufträgt? Also dürften diese Worte noch auf der Bühne zu
wechseln sein, wie denn das ^xeunt, Lniek ^usties ana ^ttöuäant, in den ge¬
wöhnlichen Ausgaben mit Recht erst nach diesem Grußauftrag folgt. Dagegen
ist es ganz zu billigen, wenn der Erzbischof von York in der folgenden Scene
jene derbe Rede über den Wankelmuth des Volks als eine Art Monolog vor
sich hinspricht. Die Aushebung der Rekruten war sehr wohl arrangirt, und
Herr Hettstedt (Friedensrichter Schaal) bewährte den tüchtigen Komiker: der
weimarische Dialekt, welchen er durchklingen ließ, konnte immerhin das glo-


Grenzboten I. 1864. 13
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[0107] Die Erzählung von dem Abenteuer mit den Schelmen in Steifleinen war ein Meisterstück, und sein Gesicht bei dem Dementi des Prinzen bis zu der neuen Lüge „ich kannte euch" wirkte unwiderstehlich komisch. Aber nun noch eine Bemerkung. Es hat sich die Bühnentradition gebildet, daß der Darsteller des Percy eine eigenthümliche Sprache spricht, die Worte überstürzen sich, der Athem versagt ihm. er stockt und stottert sogar an ein¬ zelnen Stellen. Diese seltsame Praxis stützt sich auf die Worte der Lady Percy II.. 3: L.na sxsaKinZ tkiek, wbien rmwrö nacio Iiis blsmisü, Leeaniö ins aooents ok tus valiant. Mit demselben Rechte einer peinlichen Genauigkeit könnte man seine ganze Umgebung stottern lassen; denn sie ahmte, wie dieselbe Lady Percy sagt, die¬ sen Naturfehler des vorbildlichen Helden nach. Aber man glaubt damit eine große dramatische Feinheit anzubringen- der Sturm seines leidenschaftlichen Gemüths soll sich auch in der Sprache ausdrücken. Und kann man denn wirk¬ lich dies symbolisiren des übersprudelnden Gemüths durch eine stockende, stol¬ pernde Sprache billigen? Mir scheint, ebensowenig als man denjenigen für den größten Porträtmaler halten wird, der mit minutiösen Fleiß, wie Denner etwa, jede Runzel und Warze nachzubilden sich bestrebt. Der Charakter des Hei߬ sporns ist von Shakespeare in seinen Reden und Handlungen so klar, so im dividuell gezeichnet, daß es solcher charakteristrenden Aeußerlichkeiten, denen die Gefahr des Mißverständnisses sehr nahe liegt, wahrhaftig nicht bedarf. Aber diese theoretische Einwendung ist auch das Einzige, was sich gegen die Dar- stellung Percys durch Herrn Wünzer sagen läßt; die sonstige Auffassung und Ausführung der Rolle war tüchtig. Wir wenden uns nun zu dem dritten Stück der Reihe, dem zweiten Theil von Heinrich dem Vierten und besprechen zunächst eine Reihe Einzelheiten, dem Gang des Dramas nachfolgend, um dann schließlich eine Pnncipienfrage zu erörtern, zu weicher eine Stelle der dingelstedtschen Bearbeitung Veranlassung giebt. Daß I, 2 Falstaff dem Oberrichter sein Anlehengesuch noch nachfahren, macht allerdings einen heitern Effect; aber ist es wohl wahrscheinlich, daß der letztere in ähnlicher Weise zurückruft und aus der Entfernung ihm Grüße an Westmoreland aufträgt? Also dürften diese Worte noch auf der Bühne zu wechseln sein, wie denn das ^xeunt, Lniek ^usties ana ^ttöuäant, in den ge¬ wöhnlichen Ausgaben mit Recht erst nach diesem Grußauftrag folgt. Dagegen ist es ganz zu billigen, wenn der Erzbischof von York in der folgenden Scene jene derbe Rede über den Wankelmuth des Volks als eine Art Monolog vor sich hinspricht. Die Aushebung der Rekruten war sehr wohl arrangirt, und Herr Hettstedt (Friedensrichter Schaal) bewährte den tüchtigen Komiker: der weimarische Dialekt, welchen er durchklingen ließ, konnte immerhin das glo- Grenzboten I. 1864. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/107>, abgerufen am 24.07.2024.