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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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folg in solche Hände gelegt werden könne, welche in die Parteikämpfe der frü¬
heren Zeit persönlich verwickelt gewesen waren.

Ein solcher Aufschwung kündigte sich an, als im Herbst 1858 die Regent"
lchaft in Berlin die altliberale Partei an das Ruder brachte; er wurde rasch
gezeitigt, als kurze Zeit darauf der italienische Krieg die allgemeinste Theilnahme
des deutschen Volkes an politischen Fragen wieder wach rief. Zunächst war
freilich gerade dies Zusammentreffen verhängnißvoll genug. Die constitutionelle
Entwickelung Preußens, an welcher sich rasch weitergehende Hoffnungen ent-
zündet hatten, sah sich in ihrem 'zartesten Stadium durch den Krieg erheblich
beeinträchtigt. Zu den schwierigen innern Fragen traten sogleich die verwickeltsten
Fragen auswärtiger Politik. Die Anforderungen steigerten sich in einem Grade,
dem die damaligen Staatsmänner nicht gewachsen waren. Das Beispiel,
das von Berlin aus gegeben wurde, begann zwar schnell zu wirken, in Bayern
insbesondere. Aber der ruhige Fluß der Entwickelung sah sich doch gestört
durch die leidenschaftliche Discussion, welche sich jetzt über eine auswärtige
Frage erhob und Deutschland in zwei große Lager spaltete.

Es ist heute schwer, sich in den kriegerischen Sturm zurückzuversetzen, der
damals durch Süddeutschland tobte, und in dem sich wahre patriotische Begei¬
sterung und kindlicher Unverstand, opfcrmuthiger Eifer und kalte egoistische
Berechnung, gute und schlechte Elemente wunderbar vermischten und durch¬
kreuzten. Aber die Bedeutung dieses Aufschwungs lag nicht in seiner zufälligen
Veranlassung, in dem nächsten Ziele, auf das er sich mit Leidenschaft geworfen
hatte. Die Hauptsache war vielmehr, daß das deutsche Volk überhaupt in
seinen Tiefen ergriffen und aufgerüttelt, für das politische Leben wieder gewonnen
wurde. Es kam nur darauf an, diesem an sich unklaren Drang das richtige
Ziel zu geben, nämlich die Agitation für die deutsche Reform. An einem ein¬
zelnen Punkte zeigte sich auch sofort die Nothwendigkeit, gerade hierauf sich
vor Allem zu concentnren. Sobald die Kriegsfragc drohte praktisch zu werden,
besann man sich auf die Misere der Bundeskriegsverfassung, und hieran knüpf¬
en sich in der That die ersten Vorschläge der Reform. Von da aus mußte
>ich aber auch sogleich der weitere Schritt ergeben, daß die ganze Bundesver¬
fassung in Zeiten großer europäischer Krisen untauglich sei und überhaupt
gegenüber den Anforderungen des Nationalgefühls einer wesentlichen Umgestal¬
tung bedürfe. Fühlte sich Preußen für eine Action, die man von ihm ver¬
engte, auf jede Weise gebunden und gelähmt, so sahen sich auch die süd¬
deutschen Cabinete durch dieselbe Bundesverfassung, die ihnen die politische
'Touveränetät garantirte, gehindert, ihren kriegerischen Neigungen Folge zu
leisten. Bei den Regierungen wie bei der Bevölkerung hatte sich das Bedürf¬
niß nach Reform als ein brennendes erwiesen, und sobald nur einmal dieser
Gedanke festgehalten wurde, war die Basis gefunden, von welcher aus die


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folg in solche Hände gelegt werden könne, welche in die Parteikämpfe der frü¬
heren Zeit persönlich verwickelt gewesen waren.

Ein solcher Aufschwung kündigte sich an, als im Herbst 1858 die Regent«
lchaft in Berlin die altliberale Partei an das Ruder brachte; er wurde rasch
gezeitigt, als kurze Zeit darauf der italienische Krieg die allgemeinste Theilnahme
des deutschen Volkes an politischen Fragen wieder wach rief. Zunächst war
freilich gerade dies Zusammentreffen verhängnißvoll genug. Die constitutionelle
Entwickelung Preußens, an welcher sich rasch weitergehende Hoffnungen ent-
zündet hatten, sah sich in ihrem 'zartesten Stadium durch den Krieg erheblich
beeinträchtigt. Zu den schwierigen innern Fragen traten sogleich die verwickeltsten
Fragen auswärtiger Politik. Die Anforderungen steigerten sich in einem Grade,
dem die damaligen Staatsmänner nicht gewachsen waren. Das Beispiel,
das von Berlin aus gegeben wurde, begann zwar schnell zu wirken, in Bayern
insbesondere. Aber der ruhige Fluß der Entwickelung sah sich doch gestört
durch die leidenschaftliche Discussion, welche sich jetzt über eine auswärtige
Frage erhob und Deutschland in zwei große Lager spaltete.

Es ist heute schwer, sich in den kriegerischen Sturm zurückzuversetzen, der
damals durch Süddeutschland tobte, und in dem sich wahre patriotische Begei¬
sterung und kindlicher Unverstand, opfcrmuthiger Eifer und kalte egoistische
Berechnung, gute und schlechte Elemente wunderbar vermischten und durch¬
kreuzten. Aber die Bedeutung dieses Aufschwungs lag nicht in seiner zufälligen
Veranlassung, in dem nächsten Ziele, auf das er sich mit Leidenschaft geworfen
hatte. Die Hauptsache war vielmehr, daß das deutsche Volk überhaupt in
seinen Tiefen ergriffen und aufgerüttelt, für das politische Leben wieder gewonnen
wurde. Es kam nur darauf an, diesem an sich unklaren Drang das richtige
Ziel zu geben, nämlich die Agitation für die deutsche Reform. An einem ein¬
zelnen Punkte zeigte sich auch sofort die Nothwendigkeit, gerade hierauf sich
vor Allem zu concentnren. Sobald die Kriegsfragc drohte praktisch zu werden,
besann man sich auf die Misere der Bundeskriegsverfassung, und hieran knüpf¬
en sich in der That die ersten Vorschläge der Reform. Von da aus mußte
>ich aber auch sogleich der weitere Schritt ergeben, daß die ganze Bundesver¬
fassung in Zeiten großer europäischer Krisen untauglich sei und überhaupt
gegenüber den Anforderungen des Nationalgefühls einer wesentlichen Umgestal¬
tung bedürfe. Fühlte sich Preußen für eine Action, die man von ihm ver¬
engte, auf jede Weise gebunden und gelähmt, so sahen sich auch die süd¬
deutschen Cabinete durch dieselbe Bundesverfassung, die ihnen die politische
'Touveränetät garantirte, gehindert, ihren kriegerischen Neigungen Folge zu
leisten. Bei den Regierungen wie bei der Bevölkerung hatte sich das Bedürf¬
niß nach Reform als ein brennendes erwiesen, und sobald nur einmal dieser
Gedanke festgehalten wurde, war die Basis gefunden, von welcher aus die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/7>, abgerufen am 19.10.2024.