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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Kriegsbegeisterung des Südens wie die durch den Umschwung in Preußen neu
erweckten nationalen Hoffnungen in ein gemeinsames Bett geleitet werden
konnten. Als der Krieg beendigt wurde, ohne doch sofort die Gefahr einer
kriegerischen Verwickelung zu beseitigen, war die deutsche Reform das natür¬
liche Object der zurückgebliebenen Agitation.

Noch während der Streit in seinem erbittertsten Stadium war, tauchten
gleichzeitig an mehren Orten, namentlich Mitteldeutschlands, Versuche auf,
eine vermittelnde Stellung zwischen Nord und Süd einzunehmen. Die active
Theilnahme Deutschlands an dem Krieg wurde an die Bedingung geknüpft,
daß dies nur in deutschem Interesse geschehen dürfe, und daß an Preußen,
welches als der mächtigste Staat der natürliche Vertreter des deutschen Interesses
sei, die Initiative und die militärische Leitung zu übertragen sei. Als dann
der Friede geschlossen wurde, der als ein fauler Friede von zweifelhafter Dauer
erschien, machte sich diese Forderung nur um so stärker geltend. Auf die ein¬
zelnen Kundgebungen in den verschiedenen Ländern folgten jetzt die Verabre¬
dungen von patriotischen Männern aus ganz Deutschland; aus den Versamm¬
lungen zu Eisenach im Juli und August ging Mitte September die größere Ver¬
sammlung in Frankfurt am Main, aus dieser die Gründung des deutschen
Nationalvereins hervor.

Alle diese Berathungen verfolgten mit wachsender Bestimmtheit die aus¬
gesprochene Absicht, durch eine Verschmelzung aller Fractionen liberaler Rich¬
tung die Bildung einer großen nationalen Partei herbeizuführen. Dies war
nur möglich, wenn von Anfang an Männer der verschiedenen alten Parteien
sich zu diesem Zweck vereinigten, der Schwerpunkt jedoch auf solchen ruhte,
welche dem alten Parteigegensatz fern standen, weit sie erst in der Zwischenzeit
in das öffentliche Leben eingetreten waren. Es war dies keineswegs eine bloße
Taktik, sondern es sprach sich darin nur ein factisches Verhältniß aus, wie es
sich in den letzten Jahren gebildet hatte. Nicht nur war inzwischen doch viel¬
fach jene gereizte Leidenschaftlichkeit zwischen Demokraten und Altliberalen einer
unbefangeneren Einsicht in die Bedingungen eines gesunden Parteilebens ge¬
wichen, sondern es war thatsächlich in den Ständekammern eine neue Partei
ausgekommen, welche von den Gegensätzen, die das Jahr 1848 geschaffen,
nicht berührt war. In Preußen war gleich bei den ersten Wahlen, die unter
der Regentschaft stattfanden, neben der altliberalen Partei eine Anzahl Poli¬
tiker aufgetaucht, welche sich ebensowenig an diese anschlössen, als sie die
Demokratie des Revvlutionsjahres repräsentirten. Die nächsten Wahlen aber
gaben dieser Fraction ein bedeutendes Uebergewicht, das sich seitdem nur ge¬
steigert hat, und als allmälig auch einzelne Namen aus dem Jahre 1848 wieder
auftauchten und am öffentlichen Leben Theil nahmen, konnten sie nur dadurch
zur Geltung kommen, daß sie sich dieser großen neugebildeten Partei anschlössen.


Kriegsbegeisterung des Südens wie die durch den Umschwung in Preußen neu
erweckten nationalen Hoffnungen in ein gemeinsames Bett geleitet werden
konnten. Als der Krieg beendigt wurde, ohne doch sofort die Gefahr einer
kriegerischen Verwickelung zu beseitigen, war die deutsche Reform das natür¬
liche Object der zurückgebliebenen Agitation.

Noch während der Streit in seinem erbittertsten Stadium war, tauchten
gleichzeitig an mehren Orten, namentlich Mitteldeutschlands, Versuche auf,
eine vermittelnde Stellung zwischen Nord und Süd einzunehmen. Die active
Theilnahme Deutschlands an dem Krieg wurde an die Bedingung geknüpft,
daß dies nur in deutschem Interesse geschehen dürfe, und daß an Preußen,
welches als der mächtigste Staat der natürliche Vertreter des deutschen Interesses
sei, die Initiative und die militärische Leitung zu übertragen sei. Als dann
der Friede geschlossen wurde, der als ein fauler Friede von zweifelhafter Dauer
erschien, machte sich diese Forderung nur um so stärker geltend. Auf die ein¬
zelnen Kundgebungen in den verschiedenen Ländern folgten jetzt die Verabre¬
dungen von patriotischen Männern aus ganz Deutschland; aus den Versamm¬
lungen zu Eisenach im Juli und August ging Mitte September die größere Ver¬
sammlung in Frankfurt am Main, aus dieser die Gründung des deutschen
Nationalvereins hervor.

Alle diese Berathungen verfolgten mit wachsender Bestimmtheit die aus¬
gesprochene Absicht, durch eine Verschmelzung aller Fractionen liberaler Rich¬
tung die Bildung einer großen nationalen Partei herbeizuführen. Dies war
nur möglich, wenn von Anfang an Männer der verschiedenen alten Parteien
sich zu diesem Zweck vereinigten, der Schwerpunkt jedoch auf solchen ruhte,
welche dem alten Parteigegensatz fern standen, weit sie erst in der Zwischenzeit
in das öffentliche Leben eingetreten waren. Es war dies keineswegs eine bloße
Taktik, sondern es sprach sich darin nur ein factisches Verhältniß aus, wie es
sich in den letzten Jahren gebildet hatte. Nicht nur war inzwischen doch viel¬
fach jene gereizte Leidenschaftlichkeit zwischen Demokraten und Altliberalen einer
unbefangeneren Einsicht in die Bedingungen eines gesunden Parteilebens ge¬
wichen, sondern es war thatsächlich in den Ständekammern eine neue Partei
ausgekommen, welche von den Gegensätzen, die das Jahr 1848 geschaffen,
nicht berührt war. In Preußen war gleich bei den ersten Wahlen, die unter
der Regentschaft stattfanden, neben der altliberalen Partei eine Anzahl Poli¬
tiker aufgetaucht, welche sich ebensowenig an diese anschlössen, als sie die
Demokratie des Revvlutionsjahres repräsentirten. Die nächsten Wahlen aber
gaben dieser Fraction ein bedeutendes Uebergewicht, das sich seitdem nur ge¬
steigert hat, und als allmälig auch einzelne Namen aus dem Jahre 1848 wieder
auftauchten und am öffentlichen Leben Theil nahmen, konnten sie nur dadurch
zur Geltung kommen, daß sie sich dieser großen neugebildeten Partei anschlössen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/8>, abgerufen am 27.09.2024.