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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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über 800 Mill. gestiegen, ihre Zinsen machen V- der Staatseinnahmen aus,
aber das Land trägt die Last leicht und weih, daß sie ein unvermeidlicher
Tribut für seine Größe ist. Im vorigen Jahrhundert dagegen wurde das An¬
schwellen der Schuld von allen denkenden Staatsmännern mit Schrecken beob¬
achtet, und als sie nach dem amerikanischen Kriege auf 2S0 Mill. Pfd. Se. ge¬
kommen war, hielt man es für durchaus nöthig, Anstalten zu ihrer Verminderung
zu treffen. Es war auch sicher ungemein richtig, daß Pitt, als er sah, wie
leicht das Land sein neues Steuersystem trug, den Ueberschuß als einen festen
Tilgungsstamm anlegte. Aber er hielt nicht den Grundsatz fest, daß man
Schulden eben nur mit einem Ueberschuß vom Einkommen bezahlen kann und
daß, wenn in dem regelmäßigen Einnahmcbudgct ein Deficit ist, es nichts
hilft der Tilgungskasse Summen zu überweisen, die man nur durch neue An¬
lehen erhalten kann. Pitt "folgte bei seinem Plane wesentlich dem Dr. PrKe,
der verlangte, man solle eine Summe auf Zinseszinsen anlegen und fortwachsen
lassen, bis sie die ganze Schuld decke. Hierbei war mit einem Wort Geld und
Capital verwechselt, man schrieb ersterem die Kraft zu, sich aus sich selbst zu
vergrößern und übersah, daß der Tilgungsstamm sich nur wirklich vergrößern
konnte, wenn Ueberschüsse da waren, indem er einzig aus Steuern genährt
wurde. Reichten die Steuern nicht hin, die laufenden Ausgaben und die Zinsen
der alten Schuld zu decken, so nutzte es nichts, die Tilgungskasse mit erheb¬
lichen Summen jährlich zu dotiren, denn diese konnten nur aus neuen Schul¬
den genommen werden, welche durch verstärkte Auflagen verzinst werden mußten.
Es war ein bloßes Anschreiben, wodurch nichts gespart wurde, wohl aber große
Summen für Verwaltungskosten unnütz ausgegeben wurden. Die Operation
verursachte, um es kurz zu sagen, dem Lande während der Periode der großen
Anlehen 1794--1816 einen jährlichen Verlust von V2 Mill. Pfd. Se., und der
einzige Vortheil, den Pitt davon hatte, war, daß, weil alle Welt für den Til¬
gungsstamm eingenommen war und ihm aus mangelnder nationalökonomischer
Einsicht eine mysteriöse Kraft zuschrieb, er die neuen Anlehen zu weniger un-
vortheilhaften Bedingungen machen konnte. -- In Beziehung auf dieses Capi¬
tel theilte Pitt also die irrigen Ansichten seiner Zeitgenossen, aber es waren
wesentlich die ungünstigen Verhältnisse der auswärtigen Politik, welche seinen
principiellen Irrthum zu Tage kommen ließen. Auf diese Verhältnisse, welche
die zweite Hälfte von Pitts Laufbahn ausfüllen, müssen wir hier etwas näher
eingehen. In der Zeit nach dem Frieden von Versailles und vor der franzö¬
sischen Revolution herrschte verhältnißmäßige Stille in den auswärtigen Ver¬
hältnissen, bei den Unruhen in Holland hatte Pitt einen Defensivvertrag mit
Preußen und dem Statthalter geschlossen, der indessen durch den raschen Erfolg
des Einmarsches von Friedrich Wilhelm dem Zweiten nicht zur Ausführung
kam. Der Schritt war weise, und ebenso benahm sich Pitt bei den Differenzen


über 800 Mill. gestiegen, ihre Zinsen machen V- der Staatseinnahmen aus,
aber das Land trägt die Last leicht und weih, daß sie ein unvermeidlicher
Tribut für seine Größe ist. Im vorigen Jahrhundert dagegen wurde das An¬
schwellen der Schuld von allen denkenden Staatsmännern mit Schrecken beob¬
achtet, und als sie nach dem amerikanischen Kriege auf 2S0 Mill. Pfd. Se. ge¬
kommen war, hielt man es für durchaus nöthig, Anstalten zu ihrer Verminderung
zu treffen. Es war auch sicher ungemein richtig, daß Pitt, als er sah, wie
leicht das Land sein neues Steuersystem trug, den Ueberschuß als einen festen
Tilgungsstamm anlegte. Aber er hielt nicht den Grundsatz fest, daß man
Schulden eben nur mit einem Ueberschuß vom Einkommen bezahlen kann und
daß, wenn in dem regelmäßigen Einnahmcbudgct ein Deficit ist, es nichts
hilft der Tilgungskasse Summen zu überweisen, die man nur durch neue An¬
lehen erhalten kann. Pitt «folgte bei seinem Plane wesentlich dem Dr. PrKe,
der verlangte, man solle eine Summe auf Zinseszinsen anlegen und fortwachsen
lassen, bis sie die ganze Schuld decke. Hierbei war mit einem Wort Geld und
Capital verwechselt, man schrieb ersterem die Kraft zu, sich aus sich selbst zu
vergrößern und übersah, daß der Tilgungsstamm sich nur wirklich vergrößern
konnte, wenn Ueberschüsse da waren, indem er einzig aus Steuern genährt
wurde. Reichten die Steuern nicht hin, die laufenden Ausgaben und die Zinsen
der alten Schuld zu decken, so nutzte es nichts, die Tilgungskasse mit erheb¬
lichen Summen jährlich zu dotiren, denn diese konnten nur aus neuen Schul¬
den genommen werden, welche durch verstärkte Auflagen verzinst werden mußten.
Es war ein bloßes Anschreiben, wodurch nichts gespart wurde, wohl aber große
Summen für Verwaltungskosten unnütz ausgegeben wurden. Die Operation
verursachte, um es kurz zu sagen, dem Lande während der Periode der großen
Anlehen 1794—1816 einen jährlichen Verlust von V2 Mill. Pfd. Se., und der
einzige Vortheil, den Pitt davon hatte, war, daß, weil alle Welt für den Til¬
gungsstamm eingenommen war und ihm aus mangelnder nationalökonomischer
Einsicht eine mysteriöse Kraft zuschrieb, er die neuen Anlehen zu weniger un-
vortheilhaften Bedingungen machen konnte. — In Beziehung auf dieses Capi¬
tel theilte Pitt also die irrigen Ansichten seiner Zeitgenossen, aber es waren
wesentlich die ungünstigen Verhältnisse der auswärtigen Politik, welche seinen
principiellen Irrthum zu Tage kommen ließen. Auf diese Verhältnisse, welche
die zweite Hälfte von Pitts Laufbahn ausfüllen, müssen wir hier etwas näher
eingehen. In der Zeit nach dem Frieden von Versailles und vor der franzö¬
sischen Revolution herrschte verhältnißmäßige Stille in den auswärtigen Ver¬
hältnissen, bei den Unruhen in Holland hatte Pitt einen Defensivvertrag mit
Preußen und dem Statthalter geschlossen, der indessen durch den raschen Erfolg
des Einmarsches von Friedrich Wilhelm dem Zweiten nicht zur Ausführung
kam. Der Schritt war weise, und ebenso benahm sich Pitt bei den Differenzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/60>, abgerufen am 28.09.2024.