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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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durchaus unbegründet war. Wir wissen seit einem Jahre, daß es in der
Hauptsache die persönlichen Anschauungen des Königs sind, denen das gegen¬
wärtige Ministerium vielleicht mit, vielleicht wider die Privatüberzeugungen der
einzelnen Mitglieder ein bereitwilliges Werkzeug geworden ist. Aber das Volk
wird demungeachtet fortfahren, die Minister als die Urheber der kläglichen Lage
des Staates in Anspruch zu nehmen, es ist der letzte und höchste Beweis von
Loyalität, welchen ein treues Volk seinem Fürsten zu geben vermag.

Ein Theil unserer Freunde hält die Ansicht fest, daß die erste politische Ge¬
fahr, welche von außen kommt, das Ministerium stürzen werde. Ein Theil der
Kammermajorität ist der Ansicht, daß unbedingte Verweigerung aller außerordent¬
lichen Geldforderungen und die daraus hervorgehende Creditlosigkeit der Regierung
in Kriegsgefahr ein wirksames Mittel des Volkes sei, entgegenstehende Beschlüsse zu
beugen. Möge man dieser Auffassung nicht vertrauen. Die preußische Regierung
ist durch die eigenthümliche Einrichtung der preußischen Finanzen, durch den Staats¬
schah, durch ihr Verhältniß zur Seehandlung und zur preußischen Bank in den Stand
gesetzt, im äußersten Nothfall mehr als eine Campagne ohne Anleihe durchzuführen,
und ein Theil der gegenwärtigen Minister ist vollständig befähigt, diese äußersten
Mittel anzuwenden. Aber jeder auswärtige Conflict bringt auch unberechen¬
bare Störungen der öffentlichen Meinung hervor. Denn persönliche Gefahr,
Sorge um die eigene Existenz, plötzliche Unsicherheit aller Verhältnisse, auf¬
regende Tagesneuigkeiten lenken wahrscheinlich von dem innern Verfassungs¬
kampfe ab. Jedermann weiß, wie sorglich das Mittel einer Kriegscxpedition
in Frankreich angewendet wird, sobald die Unzufriedenheit mit den innern
Verhältnissen dem Kaiser Gefahr drohend erscheint. Und dort wenigstens hat
die Methode, das Grollen Unzufriedener durch Kanonendonner zu übertäuben,
bis jetzt immer genügenden Erfolg gehabt.

Die Gefahr des Sturzes liegt für den Bestand einer unpopulären Negie¬
rung nicht darin, daß sie einen Krieg aufregt, sondern im unglücklichen Ver¬
lauf und ruhmlosen Ende desselben. Nun ist kein Zweifel, daß in den ma߬
gebenden militärischen Kreisen starke Kriegswünsche bestehen, ein zur Zeit sehr
wenig motivirtes Vertrauen auf die eigene Feldherrntüchtigkcit und ein immer
wiederkehrender heimlicher Wunsch, etwas Großes zu unternehmen.

Aber diese kriegerischen Wallungen reichen leider'nicht aus, die diploma¬
tischen Möglichkeiten eines vorteilhaften Krieges herbeizuführen. Und man ist
trotz ihnen in eine schwache und aussichtslose Defensive hinabgesunken, während
Jedermann sieht, was, wie es scheint, nur den Regierenden unverständlich ist,
wie von außen her ein überlegener Wille langsam und planvoll die feindlich
einengendem Kreise um den Staat zieht. In solcher Zeitlage ist eine Mischung
von Rathlosigkeit und Selbstüberschätzung ganz dazu angethan, die äußerste Ge¬
fahr schnell und verderblich heraufzubeschwören.


durchaus unbegründet war. Wir wissen seit einem Jahre, daß es in der
Hauptsache die persönlichen Anschauungen des Königs sind, denen das gegen¬
wärtige Ministerium vielleicht mit, vielleicht wider die Privatüberzeugungen der
einzelnen Mitglieder ein bereitwilliges Werkzeug geworden ist. Aber das Volk
wird demungeachtet fortfahren, die Minister als die Urheber der kläglichen Lage
des Staates in Anspruch zu nehmen, es ist der letzte und höchste Beweis von
Loyalität, welchen ein treues Volk seinem Fürsten zu geben vermag.

Ein Theil unserer Freunde hält die Ansicht fest, daß die erste politische Ge¬
fahr, welche von außen kommt, das Ministerium stürzen werde. Ein Theil der
Kammermajorität ist der Ansicht, daß unbedingte Verweigerung aller außerordent¬
lichen Geldforderungen und die daraus hervorgehende Creditlosigkeit der Regierung
in Kriegsgefahr ein wirksames Mittel des Volkes sei, entgegenstehende Beschlüsse zu
beugen. Möge man dieser Auffassung nicht vertrauen. Die preußische Regierung
ist durch die eigenthümliche Einrichtung der preußischen Finanzen, durch den Staats¬
schah, durch ihr Verhältniß zur Seehandlung und zur preußischen Bank in den Stand
gesetzt, im äußersten Nothfall mehr als eine Campagne ohne Anleihe durchzuführen,
und ein Theil der gegenwärtigen Minister ist vollständig befähigt, diese äußersten
Mittel anzuwenden. Aber jeder auswärtige Conflict bringt auch unberechen¬
bare Störungen der öffentlichen Meinung hervor. Denn persönliche Gefahr,
Sorge um die eigene Existenz, plötzliche Unsicherheit aller Verhältnisse, auf¬
regende Tagesneuigkeiten lenken wahrscheinlich von dem innern Verfassungs¬
kampfe ab. Jedermann weiß, wie sorglich das Mittel einer Kriegscxpedition
in Frankreich angewendet wird, sobald die Unzufriedenheit mit den innern
Verhältnissen dem Kaiser Gefahr drohend erscheint. Und dort wenigstens hat
die Methode, das Grollen Unzufriedener durch Kanonendonner zu übertäuben,
bis jetzt immer genügenden Erfolg gehabt.

Die Gefahr des Sturzes liegt für den Bestand einer unpopulären Negie¬
rung nicht darin, daß sie einen Krieg aufregt, sondern im unglücklichen Ver¬
lauf und ruhmlosen Ende desselben. Nun ist kein Zweifel, daß in den ma߬
gebenden militärischen Kreisen starke Kriegswünsche bestehen, ein zur Zeit sehr
wenig motivirtes Vertrauen auf die eigene Feldherrntüchtigkcit und ein immer
wiederkehrender heimlicher Wunsch, etwas Großes zu unternehmen.

Aber diese kriegerischen Wallungen reichen leider'nicht aus, die diploma¬
tischen Möglichkeiten eines vorteilhaften Krieges herbeizuführen. Und man ist
trotz ihnen in eine schwache und aussichtslose Defensive hinabgesunken, während
Jedermann sieht, was, wie es scheint, nur den Regierenden unverständlich ist,
wie von außen her ein überlegener Wille langsam und planvoll die feindlich
einengendem Kreise um den Staat zieht. In solcher Zeitlage ist eine Mischung
von Rathlosigkeit und Selbstüberschätzung ganz dazu angethan, die äußerste Ge¬
fahr schnell und verderblich heraufzubeschwören.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/396>, abgerufen am 19.10.2024.