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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Die Entlassung des preußischen Abgeordnetenhauses.

Die Abgeordneten des preußischen Volkes sind ungnädig entlassen, wie man
einen widerwärtigen Diener von sich entfernt. Die Beendigung der Session
war ungewöhnlich, wie der ganze Verlauf der Verhandlungen. Was noch im
vorigen Jahre wünschenswerth schien, ein Beschluß beider Häuser über das
Budget des laufenden Jahres, ist in diesem Jahre dem Ministerium bereits als
unnöthige Formalität erschienen. Wozu auch den Schein bewahren? Auf
dem abschüssigen Wege, den das Ministerium abwärts gleitet, ist das nicht
mehr nöthig. Es geht hier wie bei allen ähnlichen Wagnissen, nur der erste
Schritt kostet etwas. Was hätte die Regierung für Rücksicht zu nehmen? Die
öffentliche Meinung Europas, die gute Meinung des deutschen Volkes, die Zu¬
neigung der Majorität preußischer Wähler, was kann ihr daran noch liegen?
Diese werthvollen Besitzthümer hat das gegenwärtige Ministerium nie in aus¬
gezeichneter Weise besessen, sie sind jetzt unwiederbringlich verloren. Der Kampf,
welcher fortan auszukämpfen ist, geht den Gewalthabern noch um andere
weit näher liegende Güter, als die gute Meinung des großen Publicums, und
ein solcher Kampf fordert andere Waffen. Die bestehenden Gesetze reichen
dazu nicht aus, sie müssen ergänzt und geändert werden, so oder so.

Es ist kein Geheimniß, aus welchem Wege die Regierung ihren Weg zu
verfolgen gedenkt. Mit übermüthiger Offenheit schwatzen die feudalen Blätter
aus, was von ihrem Ministerpräsidenten hier und da vertraulich mitgetheilt
wird. Die unbequeme Presse soll durch Wiederherstellung des Rechts der Con¬
cessionsentziehung gebändigt werden, das lästige Versammlungsrecht soll ge¬
nommen werden, das Terrain der Wahlkreise, welche im Verdacht stehen für
die feudale Partei ungünstig zusammengefügt zu sein, soll umgeformt wer¬
den. Die Abgeordneten sollen durch Diätcnverordnungen, Urlaubsverweigerung
und ähnliche administrative Mittel gedrückt, das Beamtenthum aus ihren Reihen
ausgemerzt werden. Dann will man diese Abgevrdneien noch einmal ein¬
berufen, tun sie aufzulösen, wie feudale Blätter lustig melden, zum Is. Januar
des nächsten Jahres, oder, wie wahrscheinlicher ist, im November des laufen¬
den Jahres. Und dann wird man weiter sehen. Wozu um Verhältnisse sor¬
gen, die noch in grauer Zukunft liegen?

Die Blätter des Ministeriums waren beeifert, das Gerücht zu dementiren,
als ob des Königs Majestät während dem letzten Unwohlsein mit dem Ministe¬
rium unzufrieden geworden sei. Wir sind innig überzeugt, daß das Geruch


Die Entlassung des preußischen Abgeordnetenhauses.

Die Abgeordneten des preußischen Volkes sind ungnädig entlassen, wie man
einen widerwärtigen Diener von sich entfernt. Die Beendigung der Session
war ungewöhnlich, wie der ganze Verlauf der Verhandlungen. Was noch im
vorigen Jahre wünschenswerth schien, ein Beschluß beider Häuser über das
Budget des laufenden Jahres, ist in diesem Jahre dem Ministerium bereits als
unnöthige Formalität erschienen. Wozu auch den Schein bewahren? Auf
dem abschüssigen Wege, den das Ministerium abwärts gleitet, ist das nicht
mehr nöthig. Es geht hier wie bei allen ähnlichen Wagnissen, nur der erste
Schritt kostet etwas. Was hätte die Regierung für Rücksicht zu nehmen? Die
öffentliche Meinung Europas, die gute Meinung des deutschen Volkes, die Zu¬
neigung der Majorität preußischer Wähler, was kann ihr daran noch liegen?
Diese werthvollen Besitzthümer hat das gegenwärtige Ministerium nie in aus¬
gezeichneter Weise besessen, sie sind jetzt unwiederbringlich verloren. Der Kampf,
welcher fortan auszukämpfen ist, geht den Gewalthabern noch um andere
weit näher liegende Güter, als die gute Meinung des großen Publicums, und
ein solcher Kampf fordert andere Waffen. Die bestehenden Gesetze reichen
dazu nicht aus, sie müssen ergänzt und geändert werden, so oder so.

Es ist kein Geheimniß, aus welchem Wege die Regierung ihren Weg zu
verfolgen gedenkt. Mit übermüthiger Offenheit schwatzen die feudalen Blätter
aus, was von ihrem Ministerpräsidenten hier und da vertraulich mitgetheilt
wird. Die unbequeme Presse soll durch Wiederherstellung des Rechts der Con¬
cessionsentziehung gebändigt werden, das lästige Versammlungsrecht soll ge¬
nommen werden, das Terrain der Wahlkreise, welche im Verdacht stehen für
die feudale Partei ungünstig zusammengefügt zu sein, soll umgeformt wer¬
den. Die Abgeordneten sollen durch Diätcnverordnungen, Urlaubsverweigerung
und ähnliche administrative Mittel gedrückt, das Beamtenthum aus ihren Reihen
ausgemerzt werden. Dann will man diese Abgevrdneien noch einmal ein¬
berufen, tun sie aufzulösen, wie feudale Blätter lustig melden, zum Is. Januar
des nächsten Jahres, oder, wie wahrscheinlicher ist, im November des laufen¬
den Jahres. Und dann wird man weiter sehen. Wozu um Verhältnisse sor¬
gen, die noch in grauer Zukunft liegen?

Die Blätter des Ministeriums waren beeifert, das Gerücht zu dementiren,
als ob des Königs Majestät während dem letzten Unwohlsein mit dem Ministe¬
rium unzufrieden geworden sei. Wir sind innig überzeugt, daß das Geruch


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[0395] Die Entlassung des preußischen Abgeordnetenhauses. Die Abgeordneten des preußischen Volkes sind ungnädig entlassen, wie man einen widerwärtigen Diener von sich entfernt. Die Beendigung der Session war ungewöhnlich, wie der ganze Verlauf der Verhandlungen. Was noch im vorigen Jahre wünschenswerth schien, ein Beschluß beider Häuser über das Budget des laufenden Jahres, ist in diesem Jahre dem Ministerium bereits als unnöthige Formalität erschienen. Wozu auch den Schein bewahren? Auf dem abschüssigen Wege, den das Ministerium abwärts gleitet, ist das nicht mehr nöthig. Es geht hier wie bei allen ähnlichen Wagnissen, nur der erste Schritt kostet etwas. Was hätte die Regierung für Rücksicht zu nehmen? Die öffentliche Meinung Europas, die gute Meinung des deutschen Volkes, die Zu¬ neigung der Majorität preußischer Wähler, was kann ihr daran noch liegen? Diese werthvollen Besitzthümer hat das gegenwärtige Ministerium nie in aus¬ gezeichneter Weise besessen, sie sind jetzt unwiederbringlich verloren. Der Kampf, welcher fortan auszukämpfen ist, geht den Gewalthabern noch um andere weit näher liegende Güter, als die gute Meinung des großen Publicums, und ein solcher Kampf fordert andere Waffen. Die bestehenden Gesetze reichen dazu nicht aus, sie müssen ergänzt und geändert werden, so oder so. Es ist kein Geheimniß, aus welchem Wege die Regierung ihren Weg zu verfolgen gedenkt. Mit übermüthiger Offenheit schwatzen die feudalen Blätter aus, was von ihrem Ministerpräsidenten hier und da vertraulich mitgetheilt wird. Die unbequeme Presse soll durch Wiederherstellung des Rechts der Con¬ cessionsentziehung gebändigt werden, das lästige Versammlungsrecht soll ge¬ nommen werden, das Terrain der Wahlkreise, welche im Verdacht stehen für die feudale Partei ungünstig zusammengefügt zu sein, soll umgeformt wer¬ den. Die Abgeordneten sollen durch Diätcnverordnungen, Urlaubsverweigerung und ähnliche administrative Mittel gedrückt, das Beamtenthum aus ihren Reihen ausgemerzt werden. Dann will man diese Abgevrdneien noch einmal ein¬ berufen, tun sie aufzulösen, wie feudale Blätter lustig melden, zum Is. Januar des nächsten Jahres, oder, wie wahrscheinlicher ist, im November des laufen¬ den Jahres. Und dann wird man weiter sehen. Wozu um Verhältnisse sor¬ gen, die noch in grauer Zukunft liegen? Die Blätter des Ministeriums waren beeifert, das Gerücht zu dementiren, als ob des Königs Majestät während dem letzten Unwohlsein mit dem Ministe¬ rium unzufrieden geworden sei. Wir sind innig überzeugt, daß das Geruch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/395>, abgerufen am 27.09.2024.