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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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lung zu Leipzig über seine Pläne hören zu lassen, machte er entschieden Fiasco.
Wenn Herr Lassalle nicht für das Volk zu schreiben versteht, so ist er noch viel
weniger befähigt, zu demselben zu reden. Einen großen Theil des Vertrages
nahmen abgelesene Citate aus volkswirtschaftlichen Schriftstellern in Anspruch,
welche Angriffe von Seiten Max Wirths und Fauchcrs entkräften und das
"eherne Gesetz" als von allen Nationalökonomien angenommen hinstellen
sollten.

Ebenso unverdaulich für den Arbeiter waren die vielen gelehrten Ausdrücke,
deren sich der Redner bediente, unverständlich die Bezeichnung der Gegenpartei
mit dem Namen Manchesterpartei, auffallend endlich der Umstand, daß die Rede
Forderungen, die in seinem offenen Briefe als Hauptbedingungen für Erfolge
zu lesen sind, ganz fallen ließ. So erklärte er, seine Associationen sollten ja
nicht mit dem Gelde des Staates, sondern nur mit der Garantie desselben unter-
stützt werden. So erfuhr man ferner, er beabsichtige keine großen Associationen;
wer nicht hinein wolle, der habe es ja nicht nöthig, u. A. in. Mißverstanden
von den Meisten, fand er Beifall zunächst nur bei dem Cvmitü und dessen näch¬
sten Umgangskreisen, dann aber bei dem an Bildung am niedrigsten stehenden
Theile der anwesenden Arbeiter, die, ohne Urtheil über die Sache, jedenfalls nur
so Viel begriffen, daß sie künftig den Unternehmergewinn einstecken sollten und
daß dies angenehm sein werde.

Einzig in denselben beschränkten Kreisen fanden die Ausfälle der Rede
gegen die Fortschrittspartei Anklang und Wiederhall, wogegen die Vertheidiger
dieser Partei die große Mehrheit der zahlreich besuchten Versammlung für sich
hatten. Und der Schluß des Ganzen lief auf eine reine Farce hinaus. In
seiner Erwiderung auf die Reden der Gegner forderte Lassalle mit noch nicht
dagewesener Taktik plötzlich die Versammelten auf über seine Ideen abzustimmen.

Die Mehrzahl der Anwesenden, überrascht, ungewiß, ob die noch nicht
erlebte Aufforderung ernstlich gemeint sei, zum Theil aus Nichtarbeitcrn be¬
stehend und so nicht zum Stimmen berechtigt, enthielt sich der Abstimmung.
Der Präsident aber, statt das vom Redner verlangte Votum für unstatthaft zu
erklären, proclamirte ohne Weiteres, daß sich die Versammlung mit weit über¬
wiegender Majorität für Lassalle ausgesprochen habe. Die Antwort darauf
war ein begeistertes Hoch der wirklichen Majorität auf Schulze-Delitzsch, für
welchen sich einige Tage spater auch in Berlin die Arbeiterversammlung erklärte,
von der man auf Grund des leipziger Votums einen Anschluß an Lassalle er¬
wartet hatte.

In Leipzig machte die Agitation erst durch die Arveiterversammlung vom
2. Mai wieder von sich reden, zu der ausschließlich die Jünger des berliner
Meisters eingeladen waren. Diese Versammlung, im Vergleich mit den frühe¬
ren überhaupt schwach besucht (man zählte ungefähr dreihundert Anwesende),


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lung zu Leipzig über seine Pläne hören zu lassen, machte er entschieden Fiasco.
Wenn Herr Lassalle nicht für das Volk zu schreiben versteht, so ist er noch viel
weniger befähigt, zu demselben zu reden. Einen großen Theil des Vertrages
nahmen abgelesene Citate aus volkswirtschaftlichen Schriftstellern in Anspruch,
welche Angriffe von Seiten Max Wirths und Fauchcrs entkräften und das
„eherne Gesetz" als von allen Nationalökonomien angenommen hinstellen
sollten.

Ebenso unverdaulich für den Arbeiter waren die vielen gelehrten Ausdrücke,
deren sich der Redner bediente, unverständlich die Bezeichnung der Gegenpartei
mit dem Namen Manchesterpartei, auffallend endlich der Umstand, daß die Rede
Forderungen, die in seinem offenen Briefe als Hauptbedingungen für Erfolge
zu lesen sind, ganz fallen ließ. So erklärte er, seine Associationen sollten ja
nicht mit dem Gelde des Staates, sondern nur mit der Garantie desselben unter-
stützt werden. So erfuhr man ferner, er beabsichtige keine großen Associationen;
wer nicht hinein wolle, der habe es ja nicht nöthig, u. A. in. Mißverstanden
von den Meisten, fand er Beifall zunächst nur bei dem Cvmitü und dessen näch¬
sten Umgangskreisen, dann aber bei dem an Bildung am niedrigsten stehenden
Theile der anwesenden Arbeiter, die, ohne Urtheil über die Sache, jedenfalls nur
so Viel begriffen, daß sie künftig den Unternehmergewinn einstecken sollten und
daß dies angenehm sein werde.

Einzig in denselben beschränkten Kreisen fanden die Ausfälle der Rede
gegen die Fortschrittspartei Anklang und Wiederhall, wogegen die Vertheidiger
dieser Partei die große Mehrheit der zahlreich besuchten Versammlung für sich
hatten. Und der Schluß des Ganzen lief auf eine reine Farce hinaus. In
seiner Erwiderung auf die Reden der Gegner forderte Lassalle mit noch nicht
dagewesener Taktik plötzlich die Versammelten auf über seine Ideen abzustimmen.

Die Mehrzahl der Anwesenden, überrascht, ungewiß, ob die noch nicht
erlebte Aufforderung ernstlich gemeint sei, zum Theil aus Nichtarbeitcrn be¬
stehend und so nicht zum Stimmen berechtigt, enthielt sich der Abstimmung.
Der Präsident aber, statt das vom Redner verlangte Votum für unstatthaft zu
erklären, proclamirte ohne Weiteres, daß sich die Versammlung mit weit über¬
wiegender Majorität für Lassalle ausgesprochen habe. Die Antwort darauf
war ein begeistertes Hoch der wirklichen Majorität auf Schulze-Delitzsch, für
welchen sich einige Tage spater auch in Berlin die Arbeiterversammlung erklärte,
von der man auf Grund des leipziger Votums einen Anschluß an Lassalle er¬
wartet hatte.

In Leipzig machte die Agitation erst durch die Arveiterversammlung vom
2. Mai wieder von sich reden, zu der ausschließlich die Jünger des berliner
Meisters eingeladen waren. Diese Versammlung, im Vergleich mit den frühe¬
ren überhaupt schwach besucht (man zählte ungefähr dreihundert Anwesende),


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[0391] lung zu Leipzig über seine Pläne hören zu lassen, machte er entschieden Fiasco. Wenn Herr Lassalle nicht für das Volk zu schreiben versteht, so ist er noch viel weniger befähigt, zu demselben zu reden. Einen großen Theil des Vertrages nahmen abgelesene Citate aus volkswirtschaftlichen Schriftstellern in Anspruch, welche Angriffe von Seiten Max Wirths und Fauchcrs entkräften und das „eherne Gesetz" als von allen Nationalökonomien angenommen hinstellen sollten. Ebenso unverdaulich für den Arbeiter waren die vielen gelehrten Ausdrücke, deren sich der Redner bediente, unverständlich die Bezeichnung der Gegenpartei mit dem Namen Manchesterpartei, auffallend endlich der Umstand, daß die Rede Forderungen, die in seinem offenen Briefe als Hauptbedingungen für Erfolge zu lesen sind, ganz fallen ließ. So erklärte er, seine Associationen sollten ja nicht mit dem Gelde des Staates, sondern nur mit der Garantie desselben unter- stützt werden. So erfuhr man ferner, er beabsichtige keine großen Associationen; wer nicht hinein wolle, der habe es ja nicht nöthig, u. A. in. Mißverstanden von den Meisten, fand er Beifall zunächst nur bei dem Cvmitü und dessen näch¬ sten Umgangskreisen, dann aber bei dem an Bildung am niedrigsten stehenden Theile der anwesenden Arbeiter, die, ohne Urtheil über die Sache, jedenfalls nur so Viel begriffen, daß sie künftig den Unternehmergewinn einstecken sollten und daß dies angenehm sein werde. Einzig in denselben beschränkten Kreisen fanden die Ausfälle der Rede gegen die Fortschrittspartei Anklang und Wiederhall, wogegen die Vertheidiger dieser Partei die große Mehrheit der zahlreich besuchten Versammlung für sich hatten. Und der Schluß des Ganzen lief auf eine reine Farce hinaus. In seiner Erwiderung auf die Reden der Gegner forderte Lassalle mit noch nicht dagewesener Taktik plötzlich die Versammelten auf über seine Ideen abzustimmen. Die Mehrzahl der Anwesenden, überrascht, ungewiß, ob die noch nicht erlebte Aufforderung ernstlich gemeint sei, zum Theil aus Nichtarbeitcrn be¬ stehend und so nicht zum Stimmen berechtigt, enthielt sich der Abstimmung. Der Präsident aber, statt das vom Redner verlangte Votum für unstatthaft zu erklären, proclamirte ohne Weiteres, daß sich die Versammlung mit weit über¬ wiegender Majorität für Lassalle ausgesprochen habe. Die Antwort darauf war ein begeistertes Hoch der wirklichen Majorität auf Schulze-Delitzsch, für welchen sich einige Tage spater auch in Berlin die Arbeiterversammlung erklärte, von der man auf Grund des leipziger Votums einen Anschluß an Lassalle er¬ wartet hatte. In Leipzig machte die Agitation erst durch die Arveiterversammlung vom 2. Mai wieder von sich reden, zu der ausschließlich die Jünger des berliner Meisters eingeladen waren. Diese Versammlung, im Vergleich mit den frühe¬ ren überhaupt schwach besucht (man zählte ungefähr dreihundert Anwesende), 49"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/391>, abgerufen am 19.10.2024.