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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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talent eines neuen liberalen Kriegsministers. Deshalb haben die technischen
Berathungen der gegenwärtigen Militärcommisston keine Aussicht, in ihrem
Detail unverändert angenommen zu werden, selbst wenn dasselbe Haus in
nicht ferner Zukunft aus seiner Majorität ein neues Ministeriunr. zu bilden hätte.

Endlich ist der Kampf des Abgeordnetenhauses gegen das Ministerium gar
kein Streit, welcher durch eine einzelne Organisation beendigt werden kann.
In Wirklichkeit steht die Frage in Preußen nur so, ob persönlicher Wille, ob
Parlamentarische Regierung die Geschicke des Landes bestimmen soll. Diese
Frage ist so schroff und hart in alle Seelen gedrückt worden, daß ganz Europa
mit Mißtrauen und Widerwillen auf die Zustände eines Staates blickt, der
.vor Kurzem noch für so frisch und hoffnungsvoll galt. Nun erscheint allerdings
dem, der die Preußen kennt, weder der aufgeregte Streit so abenteuerlich,
noch die Krankheit des Staatskörpers so bedenklich, als sie von Fremden be¬
urtheilt wird/ Die Preußen sind von je ein knorriges Volk gewesen, ihrer
Tüchtigkeit ist ein herbes Element beigemischt, und das Leben ihres Staates
hat sich von je in Gegensätzen von Kraft und Schwäche, Haß und Liebe, Ab¬
spannung und Begeisterung entwickelt, welche weniger junge und weniger robuste
Organisationen schwerlich überwunden hätten. Aber wer den gegenwärtigen
Conflict zweier Staatsgewalten zum Frieden führen will, vermag das allerdings
nicht dadurch, daß er die Tiefe des Risses, der jetzt durch den ganzen Bau
geht, mit gemüthlicher Tünche verdeckt. Und mit fester Ueberzeugung wird
ausgesprochen, es ist fast nur Zufall, daß bei der Militärfrage die Unfertigkeit
preußischer Staatsverhältnisse zu Tage gekommen ist; dasselbe persönliche Regi¬
ment würde sich mit derselben Sclbstwiiligkcit der nothwendigen Purification
des Herrenhauses, einer neuen zeitgemäßen Kreisordnung entgegengestellt haben.
Dem gegenwärtigen Hause der Abgeordneten und jedem künftigen bleibt des¬
halb nichts übrig, als sein Recht und sein Gewicht ohne jede Nebenrücksicht
in die Wagschale zu werfen. Es ist jetzt weder möglich Concessionen zu
machen, noch mit den entgegenstehenden Ansprüchen zu verhandeln. Seine
traurige Aufgabe ist vielmehr, die Hindernisse, welche dem parlamentarischen
Leben in Preußen entgegengestellt werden, durch alle gesetzlichen Mittel zu brechen.

Deshalb hat in diesem Momente diejenige liberale Partei die beste Be¬
rechtigung, welche die bestehende Regierung mit der geringsten Schonung an¬
greift. Und es ist kein Zufall, daß die liberalen Parteien aller Staaten außer¬
halb Preußens den Kampf ebenso auffassen. Wenn man an der letzten Adresse
des Abgeordnetenhauses etwas aussetzen soll, so ist es wieder nur, daß sie
noch nicht durchweg mit der erforderlichen stolzen Offenheit die gegenwärtige
hilflose Lage des Staatsregiments charakterisirt.

Kaum wird Jemand auch von der zweckmäßigsten Adresse eine unmittel¬
bare günstige Folge erwarten, aber der seltsame Zweikampf, den die Volksvcr-


talent eines neuen liberalen Kriegsministers. Deshalb haben die technischen
Berathungen der gegenwärtigen Militärcommisston keine Aussicht, in ihrem
Detail unverändert angenommen zu werden, selbst wenn dasselbe Haus in
nicht ferner Zukunft aus seiner Majorität ein neues Ministeriunr. zu bilden hätte.

Endlich ist der Kampf des Abgeordnetenhauses gegen das Ministerium gar
kein Streit, welcher durch eine einzelne Organisation beendigt werden kann.
In Wirklichkeit steht die Frage in Preußen nur so, ob persönlicher Wille, ob
Parlamentarische Regierung die Geschicke des Landes bestimmen soll. Diese
Frage ist so schroff und hart in alle Seelen gedrückt worden, daß ganz Europa
mit Mißtrauen und Widerwillen auf die Zustände eines Staates blickt, der
.vor Kurzem noch für so frisch und hoffnungsvoll galt. Nun erscheint allerdings
dem, der die Preußen kennt, weder der aufgeregte Streit so abenteuerlich,
noch die Krankheit des Staatskörpers so bedenklich, als sie von Fremden be¬
urtheilt wird/ Die Preußen sind von je ein knorriges Volk gewesen, ihrer
Tüchtigkeit ist ein herbes Element beigemischt, und das Leben ihres Staates
hat sich von je in Gegensätzen von Kraft und Schwäche, Haß und Liebe, Ab¬
spannung und Begeisterung entwickelt, welche weniger junge und weniger robuste
Organisationen schwerlich überwunden hätten. Aber wer den gegenwärtigen
Conflict zweier Staatsgewalten zum Frieden führen will, vermag das allerdings
nicht dadurch, daß er die Tiefe des Risses, der jetzt durch den ganzen Bau
geht, mit gemüthlicher Tünche verdeckt. Und mit fester Ueberzeugung wird
ausgesprochen, es ist fast nur Zufall, daß bei der Militärfrage die Unfertigkeit
preußischer Staatsverhältnisse zu Tage gekommen ist; dasselbe persönliche Regi¬
ment würde sich mit derselben Sclbstwiiligkcit der nothwendigen Purification
des Herrenhauses, einer neuen zeitgemäßen Kreisordnung entgegengestellt haben.
Dem gegenwärtigen Hause der Abgeordneten und jedem künftigen bleibt des¬
halb nichts übrig, als sein Recht und sein Gewicht ohne jede Nebenrücksicht
in die Wagschale zu werfen. Es ist jetzt weder möglich Concessionen zu
machen, noch mit den entgegenstehenden Ansprüchen zu verhandeln. Seine
traurige Aufgabe ist vielmehr, die Hindernisse, welche dem parlamentarischen
Leben in Preußen entgegengestellt werden, durch alle gesetzlichen Mittel zu brechen.

Deshalb hat in diesem Momente diejenige liberale Partei die beste Be¬
rechtigung, welche die bestehende Regierung mit der geringsten Schonung an¬
greift. Und es ist kein Zufall, daß die liberalen Parteien aller Staaten außer¬
halb Preußens den Kampf ebenso auffassen. Wenn man an der letzten Adresse
des Abgeordnetenhauses etwas aussetzen soll, so ist es wieder nur, daß sie
noch nicht durchweg mit der erforderlichen stolzen Offenheit die gegenwärtige
hilflose Lage des Staatsregiments charakterisirt.

Kaum wird Jemand auch von der zweckmäßigsten Adresse eine unmittel¬
bare günstige Folge erwarten, aber der seltsame Zweikampf, den die Volksvcr-


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[0329] talent eines neuen liberalen Kriegsministers. Deshalb haben die technischen Berathungen der gegenwärtigen Militärcommisston keine Aussicht, in ihrem Detail unverändert angenommen zu werden, selbst wenn dasselbe Haus in nicht ferner Zukunft aus seiner Majorität ein neues Ministeriunr. zu bilden hätte. Endlich ist der Kampf des Abgeordnetenhauses gegen das Ministerium gar kein Streit, welcher durch eine einzelne Organisation beendigt werden kann. In Wirklichkeit steht die Frage in Preußen nur so, ob persönlicher Wille, ob Parlamentarische Regierung die Geschicke des Landes bestimmen soll. Diese Frage ist so schroff und hart in alle Seelen gedrückt worden, daß ganz Europa mit Mißtrauen und Widerwillen auf die Zustände eines Staates blickt, der .vor Kurzem noch für so frisch und hoffnungsvoll galt. Nun erscheint allerdings dem, der die Preußen kennt, weder der aufgeregte Streit so abenteuerlich, noch die Krankheit des Staatskörpers so bedenklich, als sie von Fremden be¬ urtheilt wird/ Die Preußen sind von je ein knorriges Volk gewesen, ihrer Tüchtigkeit ist ein herbes Element beigemischt, und das Leben ihres Staates hat sich von je in Gegensätzen von Kraft und Schwäche, Haß und Liebe, Ab¬ spannung und Begeisterung entwickelt, welche weniger junge und weniger robuste Organisationen schwerlich überwunden hätten. Aber wer den gegenwärtigen Conflict zweier Staatsgewalten zum Frieden führen will, vermag das allerdings nicht dadurch, daß er die Tiefe des Risses, der jetzt durch den ganzen Bau geht, mit gemüthlicher Tünche verdeckt. Und mit fester Ueberzeugung wird ausgesprochen, es ist fast nur Zufall, daß bei der Militärfrage die Unfertigkeit preußischer Staatsverhältnisse zu Tage gekommen ist; dasselbe persönliche Regi¬ ment würde sich mit derselben Sclbstwiiligkcit der nothwendigen Purification des Herrenhauses, einer neuen zeitgemäßen Kreisordnung entgegengestellt haben. Dem gegenwärtigen Hause der Abgeordneten und jedem künftigen bleibt des¬ halb nichts übrig, als sein Recht und sein Gewicht ohne jede Nebenrücksicht in die Wagschale zu werfen. Es ist jetzt weder möglich Concessionen zu machen, noch mit den entgegenstehenden Ansprüchen zu verhandeln. Seine traurige Aufgabe ist vielmehr, die Hindernisse, welche dem parlamentarischen Leben in Preußen entgegengestellt werden, durch alle gesetzlichen Mittel zu brechen. Deshalb hat in diesem Momente diejenige liberale Partei die beste Be¬ rechtigung, welche die bestehende Regierung mit der geringsten Schonung an¬ greift. Und es ist kein Zufall, daß die liberalen Parteien aller Staaten außer¬ halb Preußens den Kampf ebenso auffassen. Wenn man an der letzten Adresse des Abgeordnetenhauses etwas aussetzen soll, so ist es wieder nur, daß sie noch nicht durchweg mit der erforderlichen stolzen Offenheit die gegenwärtige hilflose Lage des Staatsregiments charakterisirt. Kaum wird Jemand auch von der zweckmäßigsten Adresse eine unmittel¬ bare günstige Folge erwarten, aber der seltsame Zweikampf, den die Volksvcr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/329>, abgerufen am 20.10.2024.