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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Das Haus der Abgeordneten war seit der Polendebatte nicht ohne eigene
Schuld in eine gefährliche Lage gekommen, welche seine Bedeutung für den
Verfasfungskampf zu verringern drohte. In der letzten Woche hat das Ministe¬
rium reichlich das Seine gethan, um dem hohen Hause in der unruhigen und
aufgeregten öffentlichen Meinung seine Wichtigkeit als Vorkämpfer für das
parlamentarische Leben in Preußen zurückzugeben.

Das Haus war nach der Polendcbatte in die schwierigen Verhandlungen
über die Heeresorganisation eingetreten, und diese Verhandlungen drohten auch
die liberale Majorität zu spalten. Wie mißlich es für eine Versammlung von
Volksvertretern ist, sich in eine Lösung technischer Fragen einzulassen, das hat
die Berathung der Heeresorganisation wieder schlagend bewiesen. Darüber, ob
Preußen 60.000, 66.000. oder gar nur 40.000 Rekruten jährlich ausbildet,
sollen die Volksvertreter jedenfalls mitzusprechen haben, insofern sie das Geld
dafür bewilligen. Aber sie werden weise handeln, wenn sie nicht vom mili¬
tärischen Standpunkt die Opportunität und Zweckmäßigkeit dieser Zahlen unter¬
suchen, sondern allein auf dem Grundsatz stehen, daß sie nur solchen Ministern
den Miiitärctat bewilligen, welche ihr Vertrauen besitzen. Wenn aber das
hohe Haus seine Weigerung motiviren wollte, so bliebe ihm die bequemere
Form übrig, die tief empfundenen Uebelstände in der factischen Heercsorgani-
sation als Motive für seine Weigerung aufzuzählen.

Dies Verfahren würde wahrscheinlich unter allen Umständen das zweck¬
mäßigste gewesen sein, bei der gegenwärtigen außerordentlichen Lage des Staates
machten noch besondere Gründe diese kurze Entschlossenheit nothwendig. Die
äußeren Gefahren, von denen Preußen umringt ist. machten breite Verhand¬
lungen und Zwistigkeiten über die Höhe des künftigen stehenden Heeres zuweilen
besonders peinlich und erinnerten auf das Lebhafteste an die Debatten der
deutschen Nationalversammlung von 1848 über Grundrechte in einer Zeit, wo nur
schnelles und unaufhörliches Umsichgreifen, der nationalen Sache Erfolg versprach.

Zweitens aber ist die Stellung des Abgeordnetenhauses zu der Regierung
von der Art, daß Jedermann schmerzlich das Unfruchtbare langer Berathungen
empfand. Dsß es unmöglich sein werde, das gegenwärtige 'Ministerium zu
einem ehrlichen Eingehen auf die Forderungen des Abgeordnetenhauses zu be¬
wegen, war wohl Keinem zweifelhaft. In dieser gespannten Lage aber waren
auch Kompromisse zwischen den gegenwärtigen Ansichten der Abgeordneten ziem¬
lich unnütz. Wenn es in Preußen einmal besser wird, so kann der Frieden
über die Heeresorganisation zwischen populären Ministern und Volksvertretern
nur mit Berücksichtigung der in dieser Zcitlage maßgebenden Verhältnisse ge¬
schlossen werden. Andere Minister werden mit einem neuen Hause sich ver¬
einigen, in jedem Fall wird noch ein neuer Factor bei Regelung dieser Frage
eine gewisse Geltung beanspruchen: die Ueberzeugungen und das Organisations-


Das Haus der Abgeordneten war seit der Polendebatte nicht ohne eigene
Schuld in eine gefährliche Lage gekommen, welche seine Bedeutung für den
Verfasfungskampf zu verringern drohte. In der letzten Woche hat das Ministe¬
rium reichlich das Seine gethan, um dem hohen Hause in der unruhigen und
aufgeregten öffentlichen Meinung seine Wichtigkeit als Vorkämpfer für das
parlamentarische Leben in Preußen zurückzugeben.

Das Haus war nach der Polendcbatte in die schwierigen Verhandlungen
über die Heeresorganisation eingetreten, und diese Verhandlungen drohten auch
die liberale Majorität zu spalten. Wie mißlich es für eine Versammlung von
Volksvertretern ist, sich in eine Lösung technischer Fragen einzulassen, das hat
die Berathung der Heeresorganisation wieder schlagend bewiesen. Darüber, ob
Preußen 60.000, 66.000. oder gar nur 40.000 Rekruten jährlich ausbildet,
sollen die Volksvertreter jedenfalls mitzusprechen haben, insofern sie das Geld
dafür bewilligen. Aber sie werden weise handeln, wenn sie nicht vom mili¬
tärischen Standpunkt die Opportunität und Zweckmäßigkeit dieser Zahlen unter¬
suchen, sondern allein auf dem Grundsatz stehen, daß sie nur solchen Ministern
den Miiitärctat bewilligen, welche ihr Vertrauen besitzen. Wenn aber das
hohe Haus seine Weigerung motiviren wollte, so bliebe ihm die bequemere
Form übrig, die tief empfundenen Uebelstände in der factischen Heercsorgani-
sation als Motive für seine Weigerung aufzuzählen.

Dies Verfahren würde wahrscheinlich unter allen Umständen das zweck¬
mäßigste gewesen sein, bei der gegenwärtigen außerordentlichen Lage des Staates
machten noch besondere Gründe diese kurze Entschlossenheit nothwendig. Die
äußeren Gefahren, von denen Preußen umringt ist. machten breite Verhand¬
lungen und Zwistigkeiten über die Höhe des künftigen stehenden Heeres zuweilen
besonders peinlich und erinnerten auf das Lebhafteste an die Debatten der
deutschen Nationalversammlung von 1848 über Grundrechte in einer Zeit, wo nur
schnelles und unaufhörliches Umsichgreifen, der nationalen Sache Erfolg versprach.

Zweitens aber ist die Stellung des Abgeordnetenhauses zu der Regierung
von der Art, daß Jedermann schmerzlich das Unfruchtbare langer Berathungen
empfand. Dsß es unmöglich sein werde, das gegenwärtige 'Ministerium zu
einem ehrlichen Eingehen auf die Forderungen des Abgeordnetenhauses zu be¬
wegen, war wohl Keinem zweifelhaft. In dieser gespannten Lage aber waren
auch Kompromisse zwischen den gegenwärtigen Ansichten der Abgeordneten ziem¬
lich unnütz. Wenn es in Preußen einmal besser wird, so kann der Frieden
über die Heeresorganisation zwischen populären Ministern und Volksvertretern
nur mit Berücksichtigung der in dieser Zcitlage maßgebenden Verhältnisse ge¬
schlossen werden. Andere Minister werden mit einem neuen Hause sich ver¬
einigen, in jedem Fall wird noch ein neuer Factor bei Regelung dieser Frage
eine gewisse Geltung beanspruchen: die Ueberzeugungen und das Organisations-


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[0328] Das Haus der Abgeordneten war seit der Polendebatte nicht ohne eigene Schuld in eine gefährliche Lage gekommen, welche seine Bedeutung für den Verfasfungskampf zu verringern drohte. In der letzten Woche hat das Ministe¬ rium reichlich das Seine gethan, um dem hohen Hause in der unruhigen und aufgeregten öffentlichen Meinung seine Wichtigkeit als Vorkämpfer für das parlamentarische Leben in Preußen zurückzugeben. Das Haus war nach der Polendcbatte in die schwierigen Verhandlungen über die Heeresorganisation eingetreten, und diese Verhandlungen drohten auch die liberale Majorität zu spalten. Wie mißlich es für eine Versammlung von Volksvertretern ist, sich in eine Lösung technischer Fragen einzulassen, das hat die Berathung der Heeresorganisation wieder schlagend bewiesen. Darüber, ob Preußen 60.000, 66.000. oder gar nur 40.000 Rekruten jährlich ausbildet, sollen die Volksvertreter jedenfalls mitzusprechen haben, insofern sie das Geld dafür bewilligen. Aber sie werden weise handeln, wenn sie nicht vom mili¬ tärischen Standpunkt die Opportunität und Zweckmäßigkeit dieser Zahlen unter¬ suchen, sondern allein auf dem Grundsatz stehen, daß sie nur solchen Ministern den Miiitärctat bewilligen, welche ihr Vertrauen besitzen. Wenn aber das hohe Haus seine Weigerung motiviren wollte, so bliebe ihm die bequemere Form übrig, die tief empfundenen Uebelstände in der factischen Heercsorgani- sation als Motive für seine Weigerung aufzuzählen. Dies Verfahren würde wahrscheinlich unter allen Umständen das zweck¬ mäßigste gewesen sein, bei der gegenwärtigen außerordentlichen Lage des Staates machten noch besondere Gründe diese kurze Entschlossenheit nothwendig. Die äußeren Gefahren, von denen Preußen umringt ist. machten breite Verhand¬ lungen und Zwistigkeiten über die Höhe des künftigen stehenden Heeres zuweilen besonders peinlich und erinnerten auf das Lebhafteste an die Debatten der deutschen Nationalversammlung von 1848 über Grundrechte in einer Zeit, wo nur schnelles und unaufhörliches Umsichgreifen, der nationalen Sache Erfolg versprach. Zweitens aber ist die Stellung des Abgeordnetenhauses zu der Regierung von der Art, daß Jedermann schmerzlich das Unfruchtbare langer Berathungen empfand. Dsß es unmöglich sein werde, das gegenwärtige 'Ministerium zu einem ehrlichen Eingehen auf die Forderungen des Abgeordnetenhauses zu be¬ wegen, war wohl Keinem zweifelhaft. In dieser gespannten Lage aber waren auch Kompromisse zwischen den gegenwärtigen Ansichten der Abgeordneten ziem¬ lich unnütz. Wenn es in Preußen einmal besser wird, so kann der Frieden über die Heeresorganisation zwischen populären Ministern und Volksvertretern nur mit Berücksichtigung der in dieser Zcitlage maßgebenden Verhältnisse ge¬ schlossen werden. Andere Minister werden mit einem neuen Hause sich ver¬ einigen, in jedem Fall wird noch ein neuer Factor bei Regelung dieser Frage eine gewisse Geltung beanspruchen: die Ueberzeugungen und das Organisations-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/328>, abgerufen am 20.10.2024.