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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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gerd bekommt zum tiefen Schmerz ihrer Erzieher heißes Verlangen nach dem
blau und rothen Tuche.

Ich habe jetzt noch der letzten Enthüllungen zu gedenken, die wir den
Haussuchungen im Hotel Dzialynski zu Posen verdanken. Die Unvorsichtigkeit,
mit welcher die Herren, die sich täglich gchaussucht sehen, ihre Papiere finden
lassen, ist unbegreiflich. Aber man hat sie gefunden, und was man erfahren
hat, reicht vollständig aus, um jeden, der nicht von vornherein beschlossen
hat. Farbe zu halten und gar nichts zu glauben, von seinem Optimismus zu
bekehren. Eine vollständige Organisation der Verschwörung über die ganze
Provinz; Generalcommissäre für diese, speciale sür die einzelnen Kreise, zum Theil
dieselben, die 1848 ihr Wesen trieben. Eine eingehende Instruction, welche
vorläufig noch nicht in die Oeffentlichkeit kommen soll, aber doch die Behaup¬
tung, es sei nur aus Zuzüge abgesehn, sehr unglaublich macht. Eines kann
us Ihnen versichern: Richter, vorurteilsfreie, liberale Richter meinen, die
Entdeckung sei keine "Seeschlange".

Mir aber ist es leid, daß ich nicht im Wahlbezirk Sabrina-Schroda-
Wreschen wohne. Der ist doch im Landtage am besten vertreten. Herr Bent-
kowsti, der Minister von Langiewicz, hat schon niedergelegt. Guttry, der
zweite Abgeordnete, war unser künftiger Oberpräsident, der Gcncralcommissär
für Posen. Jan Dzialynski, der dritte, gab sein Hotel und seinen Namen für
die Verschwörung her.

Guttry, der nach Belgien entflohen sein soll, ist ein Mann in den besten
Jahren; seine Herrschaft Paryz ist eine Musterwirthschaft, auf der namentlich
auch viel Bienenzucht getrieben wird. Vorzüge des Geistes und des Charakters
haben ihm jene Achtung unter seinen Landsleuten verschafft, die ihn für die
ihm zugedachte Stellung qualisicirte; aber nicht weniger auch reiche Erfahrungen
auf dem Gebiete der polnischen Agitation, in der er kein Neuling ist.

Jan Dzialynski, Schwiegersohn Czartorystis, ist nur jung und reich.
Sonst hat er nicht einmal das Maß allgemeiner Bildung erworben, welches
die Führer unseres Adels zu erstreben Pflegen, d. h. er hat nicht einmal den
Gymnasialcursus absolvirt. Bei den Wahlen hat er indeß gewandt gesprochen.
Man sagt, daß er mit Niegolewski und dem gleichfalls compromittirten, ihnen
Beiden sehr weit überlegenen Herrn v. Wolniewicz auf Dembicz ins La¬
ger Taczanowskis gegangen sei, nachdem er sich in Berlin überzeugt, daß
der Landtag die Erlaubniß zu seiner Verhaftung nicht verweigert haben würde.
Wolniewicz ist Demokrat, Dzialynski natürlich Aristokrat; auch sonst zeigt sich
aus der Liste der Verhafteten und Flüchtigen, daß das Comite die verschiede¬
nen Parteien vereinigte.

Gern möchte ich Ihnen noch den Schuhmacher Hoffmann in Kosten vor¬
stellen, der sich für Plon-Plon mit Wielopolski Mu. schlagen will. Aber es


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gerd bekommt zum tiefen Schmerz ihrer Erzieher heißes Verlangen nach dem
blau und rothen Tuche.

Ich habe jetzt noch der letzten Enthüllungen zu gedenken, die wir den
Haussuchungen im Hotel Dzialynski zu Posen verdanken. Die Unvorsichtigkeit,
mit welcher die Herren, die sich täglich gchaussucht sehen, ihre Papiere finden
lassen, ist unbegreiflich. Aber man hat sie gefunden, und was man erfahren
hat, reicht vollständig aus, um jeden, der nicht von vornherein beschlossen
hat. Farbe zu halten und gar nichts zu glauben, von seinem Optimismus zu
bekehren. Eine vollständige Organisation der Verschwörung über die ganze
Provinz; Generalcommissäre für diese, speciale sür die einzelnen Kreise, zum Theil
dieselben, die 1848 ihr Wesen trieben. Eine eingehende Instruction, welche
vorläufig noch nicht in die Oeffentlichkeit kommen soll, aber doch die Behaup¬
tung, es sei nur aus Zuzüge abgesehn, sehr unglaublich macht. Eines kann
us Ihnen versichern: Richter, vorurteilsfreie, liberale Richter meinen, die
Entdeckung sei keine „Seeschlange".

Mir aber ist es leid, daß ich nicht im Wahlbezirk Sabrina-Schroda-
Wreschen wohne. Der ist doch im Landtage am besten vertreten. Herr Bent-
kowsti, der Minister von Langiewicz, hat schon niedergelegt. Guttry, der
zweite Abgeordnete, war unser künftiger Oberpräsident, der Gcncralcommissär
für Posen. Jan Dzialynski, der dritte, gab sein Hotel und seinen Namen für
die Verschwörung her.

Guttry, der nach Belgien entflohen sein soll, ist ein Mann in den besten
Jahren; seine Herrschaft Paryz ist eine Musterwirthschaft, auf der namentlich
auch viel Bienenzucht getrieben wird. Vorzüge des Geistes und des Charakters
haben ihm jene Achtung unter seinen Landsleuten verschafft, die ihn für die
ihm zugedachte Stellung qualisicirte; aber nicht weniger auch reiche Erfahrungen
auf dem Gebiete der polnischen Agitation, in der er kein Neuling ist.

Jan Dzialynski, Schwiegersohn Czartorystis, ist nur jung und reich.
Sonst hat er nicht einmal das Maß allgemeiner Bildung erworben, welches
die Führer unseres Adels zu erstreben Pflegen, d. h. er hat nicht einmal den
Gymnasialcursus absolvirt. Bei den Wahlen hat er indeß gewandt gesprochen.
Man sagt, daß er mit Niegolewski und dem gleichfalls compromittirten, ihnen
Beiden sehr weit überlegenen Herrn v. Wolniewicz auf Dembicz ins La¬
ger Taczanowskis gegangen sei, nachdem er sich in Berlin überzeugt, daß
der Landtag die Erlaubniß zu seiner Verhaftung nicht verweigert haben würde.
Wolniewicz ist Demokrat, Dzialynski natürlich Aristokrat; auch sonst zeigt sich
aus der Liste der Verhafteten und Flüchtigen, daß das Comite die verschiede¬
nen Parteien vereinigte.

Gern möchte ich Ihnen noch den Schuhmacher Hoffmann in Kosten vor¬
stellen, der sich für Plon-Plon mit Wielopolski Mu. schlagen will. Aber es


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[0255] gerd bekommt zum tiefen Schmerz ihrer Erzieher heißes Verlangen nach dem blau und rothen Tuche. Ich habe jetzt noch der letzten Enthüllungen zu gedenken, die wir den Haussuchungen im Hotel Dzialynski zu Posen verdanken. Die Unvorsichtigkeit, mit welcher die Herren, die sich täglich gchaussucht sehen, ihre Papiere finden lassen, ist unbegreiflich. Aber man hat sie gefunden, und was man erfahren hat, reicht vollständig aus, um jeden, der nicht von vornherein beschlossen hat. Farbe zu halten und gar nichts zu glauben, von seinem Optimismus zu bekehren. Eine vollständige Organisation der Verschwörung über die ganze Provinz; Generalcommissäre für diese, speciale sür die einzelnen Kreise, zum Theil dieselben, die 1848 ihr Wesen trieben. Eine eingehende Instruction, welche vorläufig noch nicht in die Oeffentlichkeit kommen soll, aber doch die Behaup¬ tung, es sei nur aus Zuzüge abgesehn, sehr unglaublich macht. Eines kann us Ihnen versichern: Richter, vorurteilsfreie, liberale Richter meinen, die Entdeckung sei keine „Seeschlange". Mir aber ist es leid, daß ich nicht im Wahlbezirk Sabrina-Schroda- Wreschen wohne. Der ist doch im Landtage am besten vertreten. Herr Bent- kowsti, der Minister von Langiewicz, hat schon niedergelegt. Guttry, der zweite Abgeordnete, war unser künftiger Oberpräsident, der Gcncralcommissär für Posen. Jan Dzialynski, der dritte, gab sein Hotel und seinen Namen für die Verschwörung her. Guttry, der nach Belgien entflohen sein soll, ist ein Mann in den besten Jahren; seine Herrschaft Paryz ist eine Musterwirthschaft, auf der namentlich auch viel Bienenzucht getrieben wird. Vorzüge des Geistes und des Charakters haben ihm jene Achtung unter seinen Landsleuten verschafft, die ihn für die ihm zugedachte Stellung qualisicirte; aber nicht weniger auch reiche Erfahrungen auf dem Gebiete der polnischen Agitation, in der er kein Neuling ist. Jan Dzialynski, Schwiegersohn Czartorystis, ist nur jung und reich. Sonst hat er nicht einmal das Maß allgemeiner Bildung erworben, welches die Führer unseres Adels zu erstreben Pflegen, d. h. er hat nicht einmal den Gymnasialcursus absolvirt. Bei den Wahlen hat er indeß gewandt gesprochen. Man sagt, daß er mit Niegolewski und dem gleichfalls compromittirten, ihnen Beiden sehr weit überlegenen Herrn v. Wolniewicz auf Dembicz ins La¬ ger Taczanowskis gegangen sei, nachdem er sich in Berlin überzeugt, daß der Landtag die Erlaubniß zu seiner Verhaftung nicht verweigert haben würde. Wolniewicz ist Demokrat, Dzialynski natürlich Aristokrat; auch sonst zeigt sich aus der Liste der Verhafteten und Flüchtigen, daß das Comite die verschiede¬ nen Parteien vereinigte. Gern möchte ich Ihnen noch den Schuhmacher Hoffmann in Kosten vor¬ stellen, der sich für Plon-Plon mit Wielopolski Mu. schlagen will. Aber es 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/255>, abgerufen am 20.10.2024.