Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Utznach, die KaMuffe von Cannstatt, die Tuffe vom Aetna enthalten feine
anderen Arten, als solche, die heute noch in der Nähe lebend vorkommen,
Stromboli und Madeira haben neben vielen ebensolchen einige wenige, heut¬
zutage an diesen Standorten nicht mehr vorhandene, Madeira auch einige ganz
ausgestorbene Formen geliefert. Der einzige derartige Fund von Stromboli
ist von besonderem Interesse: die Lorbecrart, welche jetzt den canarischen Inseln
eigenthümlich ist. In der nach Jahrtausenden bemessen unendlich weit hinter
der Gletschcrzeit zurückliegenden Zeit der Entstehung dieser Ablagerungen war
also die Vegetation mit der gegenwärtigen wesentlich übereinstimmend; und es
liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, daß das Klima von damals mit dem heu¬
tigen übereinstimmte, also seit dem Ende der Tertiärzeit kälter geworden war.

Für eine seit jenem Zeitpunkte eingetretene, noch tiefer herabgcstiegcne,
seither wieder ausgeglichene, weitere Erniedrigung der Temperatur der ganzen
Erdoberfläche liegt uns unwidersprechlichcs Zeugniß in den Spuren der ein¬
stigen Thätigkeit gewaltiger Gletscher- und Eismassen vor. Die Thatsachen,
welche in Nordeuropa auf Schritt und Tritt uns aufstoßen, die Ueberschüttung
unserer Ebenen mit nordischen Geschieben, die Moränenbiidung am Ausgange
jedes größeren Thales höherer Gebirge, die durch Gletscher geschliffenen Fels¬
flächen weit unterhalb und außerhalb der jetzigen Ausdehnung der Gletscher,,
sind so bekannt, daß wir sie nur anzudeuten brauchen. Aehnliches ist in allen
anderen Welttheilen beobachtet. Auch vor den Thalausgängen des Himalaya
liegen in der Region des Maisbaues gewaltige Moräncnwälle. Alpen. Gletscher¬
schliffe und Moränen trifft man auf Neuseeland und Neuholland in heut¬
zutage gletschcrloscn Gebirgen. Im mittleren Chile finden sich riesige Moränen
weit unterhalb der jetzigen Gletschcrgrenzc. Nordamerika ist bis zum 36. Breite¬
grade mit nordischen Geschieben bedeckt. Während dieser Eiszeit muß die mitt¬
lere Jahrestemperatur unserer Breiten um mindestens 4" herabgedrückt gewesen
sein; die Voraussetzung eines wenigstens so großen Sinkens der Wärme ist
unerläßlich zur Erklärung der einstigen großen Ausdehnung der Gletscher.

In je tiefere, ältere Schichten der tertiären Formation wir hinabsteigen,
um so mehr, aber allmälig, schwindet die Ähnlichkeit der Vegetation mit der der
wärmeren nördlichen gemäßigten Zone. Die nordamerikanischen. südeuropäischen
Formen treten zurück; die tropischen, äquatorial-asiatischen und die neuhollän-
dischen mehren sich; bis endlich die ältesten tertiären Schichten eine Flora von
scharf ausgeprägtem malayischen Typus besitzen. Alles dies weist darauf hin,
daß in den früheren tertiären Zeiten die Temperatur höher stand, als in den
späteren. Nach dem Wärmebedürfniß der für jene charakteristischen Pflanzen zu
schließen, mag die mittlere Jahrestemperatur zwischen 20 und 25" C. betragen
haben; was einer Differenz von beiläufig 18 Breitengraden von der jetzigen ent¬
spricht. Immerhin zeigt sich aber die Flora aller tertiären Schichten darin als


Utznach, die KaMuffe von Cannstatt, die Tuffe vom Aetna enthalten feine
anderen Arten, als solche, die heute noch in der Nähe lebend vorkommen,
Stromboli und Madeira haben neben vielen ebensolchen einige wenige, heut¬
zutage an diesen Standorten nicht mehr vorhandene, Madeira auch einige ganz
ausgestorbene Formen geliefert. Der einzige derartige Fund von Stromboli
ist von besonderem Interesse: die Lorbecrart, welche jetzt den canarischen Inseln
eigenthümlich ist. In der nach Jahrtausenden bemessen unendlich weit hinter
der Gletschcrzeit zurückliegenden Zeit der Entstehung dieser Ablagerungen war
also die Vegetation mit der gegenwärtigen wesentlich übereinstimmend; und es
liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, daß das Klima von damals mit dem heu¬
tigen übereinstimmte, also seit dem Ende der Tertiärzeit kälter geworden war.

Für eine seit jenem Zeitpunkte eingetretene, noch tiefer herabgcstiegcne,
seither wieder ausgeglichene, weitere Erniedrigung der Temperatur der ganzen
Erdoberfläche liegt uns unwidersprechlichcs Zeugniß in den Spuren der ein¬
stigen Thätigkeit gewaltiger Gletscher- und Eismassen vor. Die Thatsachen,
welche in Nordeuropa auf Schritt und Tritt uns aufstoßen, die Ueberschüttung
unserer Ebenen mit nordischen Geschieben, die Moränenbiidung am Ausgange
jedes größeren Thales höherer Gebirge, die durch Gletscher geschliffenen Fels¬
flächen weit unterhalb und außerhalb der jetzigen Ausdehnung der Gletscher,,
sind so bekannt, daß wir sie nur anzudeuten brauchen. Aehnliches ist in allen
anderen Welttheilen beobachtet. Auch vor den Thalausgängen des Himalaya
liegen in der Region des Maisbaues gewaltige Moräncnwälle. Alpen. Gletscher¬
schliffe und Moränen trifft man auf Neuseeland und Neuholland in heut¬
zutage gletschcrloscn Gebirgen. Im mittleren Chile finden sich riesige Moränen
weit unterhalb der jetzigen Gletschcrgrenzc. Nordamerika ist bis zum 36. Breite¬
grade mit nordischen Geschieben bedeckt. Während dieser Eiszeit muß die mitt¬
lere Jahrestemperatur unserer Breiten um mindestens 4" herabgedrückt gewesen
sein; die Voraussetzung eines wenigstens so großen Sinkens der Wärme ist
unerläßlich zur Erklärung der einstigen großen Ausdehnung der Gletscher.

In je tiefere, ältere Schichten der tertiären Formation wir hinabsteigen,
um so mehr, aber allmälig, schwindet die Ähnlichkeit der Vegetation mit der der
wärmeren nördlichen gemäßigten Zone. Die nordamerikanischen. südeuropäischen
Formen treten zurück; die tropischen, äquatorial-asiatischen und die neuhollän-
dischen mehren sich; bis endlich die ältesten tertiären Schichten eine Flora von
scharf ausgeprägtem malayischen Typus besitzen. Alles dies weist darauf hin,
daß in den früheren tertiären Zeiten die Temperatur höher stand, als in den
späteren. Nach dem Wärmebedürfniß der für jene charakteristischen Pflanzen zu
schließen, mag die mittlere Jahrestemperatur zwischen 20 und 25" C. betragen
haben; was einer Differenz von beiläufig 18 Breitengraden von der jetzigen ent¬
spricht. Immerhin zeigt sich aber die Flora aller tertiären Schichten darin als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188261"/>
            <p xml:id="ID_743" prev="#ID_742"> Utznach, die KaMuffe von Cannstatt, die Tuffe vom Aetna enthalten feine<lb/>
anderen Arten, als solche, die heute noch in der Nähe lebend vorkommen,<lb/>
Stromboli und Madeira haben neben vielen ebensolchen einige wenige, heut¬<lb/>
zutage an diesen Standorten nicht mehr vorhandene, Madeira auch einige ganz<lb/>
ausgestorbene Formen geliefert. Der einzige derartige Fund von Stromboli<lb/>
ist von besonderem Interesse: die Lorbecrart, welche jetzt den canarischen Inseln<lb/>
eigenthümlich ist. In der nach Jahrtausenden bemessen unendlich weit hinter<lb/>
der Gletschcrzeit zurückliegenden Zeit der Entstehung dieser Ablagerungen war<lb/>
also die Vegetation mit der gegenwärtigen wesentlich übereinstimmend; und es<lb/>
liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, daß das Klima von damals mit dem heu¬<lb/>
tigen übereinstimmte, also seit dem Ende der Tertiärzeit kälter geworden war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_744"> Für eine seit jenem Zeitpunkte eingetretene, noch tiefer herabgcstiegcne,<lb/>
seither wieder ausgeglichene, weitere Erniedrigung der Temperatur der ganzen<lb/>
Erdoberfläche liegt uns unwidersprechlichcs Zeugniß in den Spuren der ein¬<lb/>
stigen Thätigkeit gewaltiger Gletscher- und Eismassen vor. Die Thatsachen,<lb/>
welche in Nordeuropa auf Schritt und Tritt uns aufstoßen, die Ueberschüttung<lb/>
unserer Ebenen mit nordischen Geschieben, die Moränenbiidung am Ausgange<lb/>
jedes größeren Thales höherer Gebirge, die durch Gletscher geschliffenen Fels¬<lb/>
flächen weit unterhalb und außerhalb der jetzigen Ausdehnung der Gletscher,,<lb/>
sind so bekannt, daß wir sie nur anzudeuten brauchen. Aehnliches ist in allen<lb/>
anderen Welttheilen beobachtet. Auch vor den Thalausgängen des Himalaya<lb/>
liegen in der Region des Maisbaues gewaltige Moräncnwälle. Alpen. Gletscher¬<lb/>
schliffe und Moränen trifft man auf Neuseeland und Neuholland in heut¬<lb/>
zutage gletschcrloscn Gebirgen. Im mittleren Chile finden sich riesige Moränen<lb/>
weit unterhalb der jetzigen Gletschcrgrenzc. Nordamerika ist bis zum 36. Breite¬<lb/>
grade mit nordischen Geschieben bedeckt. Während dieser Eiszeit muß die mitt¬<lb/>
lere Jahrestemperatur unserer Breiten um mindestens 4" herabgedrückt gewesen<lb/>
sein; die Voraussetzung eines wenigstens so großen Sinkens der Wärme ist<lb/>
unerläßlich zur Erklärung der einstigen großen Ausdehnung der Gletscher.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_745" next="#ID_746"> In je tiefere, ältere Schichten der tertiären Formation wir hinabsteigen,<lb/>
um so mehr, aber allmälig, schwindet die Ähnlichkeit der Vegetation mit der der<lb/>
wärmeren nördlichen gemäßigten Zone. Die nordamerikanischen. südeuropäischen<lb/>
Formen treten zurück; die tropischen, äquatorial-asiatischen und die neuhollän-<lb/>
dischen mehren sich; bis endlich die ältesten tertiären Schichten eine Flora von<lb/>
scharf ausgeprägtem malayischen Typus besitzen. Alles dies weist darauf hin,<lb/>
daß in den früheren tertiären Zeiten die Temperatur höher stand, als in den<lb/>
späteren. Nach dem Wärmebedürfniß der für jene charakteristischen Pflanzen zu<lb/>
schließen, mag die mittlere Jahrestemperatur zwischen 20 und 25" C. betragen<lb/>
haben; was einer Differenz von beiläufig 18 Breitengraden von der jetzigen ent¬<lb/>
spricht. Immerhin zeigt sich aber die Flora aller tertiären Schichten darin als</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] Utznach, die KaMuffe von Cannstatt, die Tuffe vom Aetna enthalten feine anderen Arten, als solche, die heute noch in der Nähe lebend vorkommen, Stromboli und Madeira haben neben vielen ebensolchen einige wenige, heut¬ zutage an diesen Standorten nicht mehr vorhandene, Madeira auch einige ganz ausgestorbene Formen geliefert. Der einzige derartige Fund von Stromboli ist von besonderem Interesse: die Lorbecrart, welche jetzt den canarischen Inseln eigenthümlich ist. In der nach Jahrtausenden bemessen unendlich weit hinter der Gletschcrzeit zurückliegenden Zeit der Entstehung dieser Ablagerungen war also die Vegetation mit der gegenwärtigen wesentlich übereinstimmend; und es liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, daß das Klima von damals mit dem heu¬ tigen übereinstimmte, also seit dem Ende der Tertiärzeit kälter geworden war. Für eine seit jenem Zeitpunkte eingetretene, noch tiefer herabgcstiegcne, seither wieder ausgeglichene, weitere Erniedrigung der Temperatur der ganzen Erdoberfläche liegt uns unwidersprechlichcs Zeugniß in den Spuren der ein¬ stigen Thätigkeit gewaltiger Gletscher- und Eismassen vor. Die Thatsachen, welche in Nordeuropa auf Schritt und Tritt uns aufstoßen, die Ueberschüttung unserer Ebenen mit nordischen Geschieben, die Moränenbiidung am Ausgange jedes größeren Thales höherer Gebirge, die durch Gletscher geschliffenen Fels¬ flächen weit unterhalb und außerhalb der jetzigen Ausdehnung der Gletscher,, sind so bekannt, daß wir sie nur anzudeuten brauchen. Aehnliches ist in allen anderen Welttheilen beobachtet. Auch vor den Thalausgängen des Himalaya liegen in der Region des Maisbaues gewaltige Moräncnwälle. Alpen. Gletscher¬ schliffe und Moränen trifft man auf Neuseeland und Neuholland in heut¬ zutage gletschcrloscn Gebirgen. Im mittleren Chile finden sich riesige Moränen weit unterhalb der jetzigen Gletschcrgrenzc. Nordamerika ist bis zum 36. Breite¬ grade mit nordischen Geschieben bedeckt. Während dieser Eiszeit muß die mitt¬ lere Jahrestemperatur unserer Breiten um mindestens 4" herabgedrückt gewesen sein; die Voraussetzung eines wenigstens so großen Sinkens der Wärme ist unerläßlich zur Erklärung der einstigen großen Ausdehnung der Gletscher. In je tiefere, ältere Schichten der tertiären Formation wir hinabsteigen, um so mehr, aber allmälig, schwindet die Ähnlichkeit der Vegetation mit der der wärmeren nördlichen gemäßigten Zone. Die nordamerikanischen. südeuropäischen Formen treten zurück; die tropischen, äquatorial-asiatischen und die neuhollän- dischen mehren sich; bis endlich die ältesten tertiären Schichten eine Flora von scharf ausgeprägtem malayischen Typus besitzen. Alles dies weist darauf hin, daß in den früheren tertiären Zeiten die Temperatur höher stand, als in den späteren. Nach dem Wärmebedürfniß der für jene charakteristischen Pflanzen zu schließen, mag die mittlere Jahrestemperatur zwischen 20 und 25" C. betragen haben; was einer Differenz von beiläufig 18 Breitengraden von der jetzigen ent¬ spricht. Immerhin zeigt sich aber die Flora aller tertiären Schichten darin als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/234>, abgerufen am 20.10.2024.