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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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dessen Tode hatte er mit Vollendung des neunzehnten Lebensjahrs das re¬
gierungsfähige Alter erreicht.

Das Land trug seinem jugendlichen Fürsten viel Liede und Vertrauen ent¬
gegen. Was man über ihn wußte, verkündete nur Gutes. Seine Erziehung
hatte als Jnstructor Kliefolh geleitet; aber der damalige Kliefoth wurzelte mit
seiner theologischen Richtung in der schlcicrinacherschen Schule, und die Keime
seiner später hervorgetretenen kirchlichen Tendenz mochten wohl kaum für seine
vertrauteren Freunde schon erkennbar sein. Dem Fürsten ging der Ruf einer
sittlich ernsten Denkweise und eines regen geistigen Strebens voran. Auf den
Rundreisen durch das Land, welche er bald nach dem Antritt der Regierung
unternahm, um sich mit den ihm noch sehr fremden Verhältnissen und Personen
bekannt zu machen, gewann er die Herzen durch die Bescheidenheit, mit welcher
er überall auftrat, und erweckte durch die Fülle von Fragen, welche er stets in
Bereitschaft hatte, die vertrauensvolle Meinung, das, er sein Land gründlich
kennen zu lernen wünsche. Auch die unterbrochene wissenschaftliche Beschäf¬
tigung ward wieder aufgenommen und vervollständigt. Der Professor Lobell
aus Bonn ward auf einige Zeit nach Schwerin eingeladen, um dem Gro߬
herzog Vorträge über Geschichte zu halten und nebenbei auch der damals noch
wenig an solche Dinge gewöhnten Hofgesellschaft einige wissenschaftliche Nah¬
rung darzubieten. Andere Lehrer wurden angenommen, um den Großherzog
in andere Zweige der Wissenschaft einzuführen. Selbst das Criminalrecht blieb
davon nicht ausgeschlossen.

In Regierungsangelegenheiten übte der Rath des ersten Ministers, v. Lützow,
der in diesem Amt schon dem Vater des Großherzogs eine bewährte Stütze
gewesen war, einen entscheidenden Einfluß. Er war ein einsichtsvoller und
humaner Mann und hatte den redlichen Willen, den Fürsten, dem er persönlich
sehr nahe stand, zu allem Guten zu leiten. Die ersten sechs Regierungsjahre
Friedrich Franz des Zweiten liefen in ziemlich ebenem Geleise dahin. Aus
den Ereignissen des innern Staatslebens hebt sich die Fortsetzung des bereits
unter Paul Friedrich begonnenen Kampfes der bürgerlichen gegen die adeligen
Mitglieder der Ritterschaft hervor, bei welchen es sich auf Seiten der ersteren
um die Erringung der ihnen vom Adel vorenthaltenen politischen Gleichberech¬
tigung handelte. Der Kampf nahm allmälig ziemlich große Dimensionen an,
da fast alle bürgerlichen Gutsbesitzer, mehre hundert an der Zahl, sich als
festgcschlossene Partei an demselben beteiligten. Die Regierung nahm eine
vermittelnde Stellung ein und schützte einstweilen den eingeborenen Adel in
den von ihm behaupteten politischen Vorrechten. An sich war dieser Kampf
ohne principiellen Gehalt. Aber es verbanden sich mit demselben, den Kämpfen¬
den selbst meistens unbewußt, allgemeinere Tendenzen. Die bürgerliche Partei
griff mit einzelnen Anträgen, z. B. in Betreff der Aufhebung der Censur, über den


Grenzboten II. 1863. . 27

dessen Tode hatte er mit Vollendung des neunzehnten Lebensjahrs das re¬
gierungsfähige Alter erreicht.

Das Land trug seinem jugendlichen Fürsten viel Liede und Vertrauen ent¬
gegen. Was man über ihn wußte, verkündete nur Gutes. Seine Erziehung
hatte als Jnstructor Kliefolh geleitet; aber der damalige Kliefoth wurzelte mit
seiner theologischen Richtung in der schlcicrinacherschen Schule, und die Keime
seiner später hervorgetretenen kirchlichen Tendenz mochten wohl kaum für seine
vertrauteren Freunde schon erkennbar sein. Dem Fürsten ging der Ruf einer
sittlich ernsten Denkweise und eines regen geistigen Strebens voran. Auf den
Rundreisen durch das Land, welche er bald nach dem Antritt der Regierung
unternahm, um sich mit den ihm noch sehr fremden Verhältnissen und Personen
bekannt zu machen, gewann er die Herzen durch die Bescheidenheit, mit welcher
er überall auftrat, und erweckte durch die Fülle von Fragen, welche er stets in
Bereitschaft hatte, die vertrauensvolle Meinung, das, er sein Land gründlich
kennen zu lernen wünsche. Auch die unterbrochene wissenschaftliche Beschäf¬
tigung ward wieder aufgenommen und vervollständigt. Der Professor Lobell
aus Bonn ward auf einige Zeit nach Schwerin eingeladen, um dem Gro߬
herzog Vorträge über Geschichte zu halten und nebenbei auch der damals noch
wenig an solche Dinge gewöhnten Hofgesellschaft einige wissenschaftliche Nah¬
rung darzubieten. Andere Lehrer wurden angenommen, um den Großherzog
in andere Zweige der Wissenschaft einzuführen. Selbst das Criminalrecht blieb
davon nicht ausgeschlossen.

In Regierungsangelegenheiten übte der Rath des ersten Ministers, v. Lützow,
der in diesem Amt schon dem Vater des Großherzogs eine bewährte Stütze
gewesen war, einen entscheidenden Einfluß. Er war ein einsichtsvoller und
humaner Mann und hatte den redlichen Willen, den Fürsten, dem er persönlich
sehr nahe stand, zu allem Guten zu leiten. Die ersten sechs Regierungsjahre
Friedrich Franz des Zweiten liefen in ziemlich ebenem Geleise dahin. Aus
den Ereignissen des innern Staatslebens hebt sich die Fortsetzung des bereits
unter Paul Friedrich begonnenen Kampfes der bürgerlichen gegen die adeligen
Mitglieder der Ritterschaft hervor, bei welchen es sich auf Seiten der ersteren
um die Erringung der ihnen vom Adel vorenthaltenen politischen Gleichberech¬
tigung handelte. Der Kampf nahm allmälig ziemlich große Dimensionen an,
da fast alle bürgerlichen Gutsbesitzer, mehre hundert an der Zahl, sich als
festgcschlossene Partei an demselben beteiligten. Die Regierung nahm eine
vermittelnde Stellung ein und schützte einstweilen den eingeborenen Adel in
den von ihm behaupteten politischen Vorrechten. An sich war dieser Kampf
ohne principiellen Gehalt. Aber es verbanden sich mit demselben, den Kämpfen¬
den selbst meistens unbewußt, allgemeinere Tendenzen. Die bürgerliche Partei
griff mit einzelnen Anträgen, z. B. in Betreff der Aufhebung der Censur, über den


Grenzboten II. 1863. . 27
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[0213] dessen Tode hatte er mit Vollendung des neunzehnten Lebensjahrs das re¬ gierungsfähige Alter erreicht. Das Land trug seinem jugendlichen Fürsten viel Liede und Vertrauen ent¬ gegen. Was man über ihn wußte, verkündete nur Gutes. Seine Erziehung hatte als Jnstructor Kliefolh geleitet; aber der damalige Kliefoth wurzelte mit seiner theologischen Richtung in der schlcicrinacherschen Schule, und die Keime seiner später hervorgetretenen kirchlichen Tendenz mochten wohl kaum für seine vertrauteren Freunde schon erkennbar sein. Dem Fürsten ging der Ruf einer sittlich ernsten Denkweise und eines regen geistigen Strebens voran. Auf den Rundreisen durch das Land, welche er bald nach dem Antritt der Regierung unternahm, um sich mit den ihm noch sehr fremden Verhältnissen und Personen bekannt zu machen, gewann er die Herzen durch die Bescheidenheit, mit welcher er überall auftrat, und erweckte durch die Fülle von Fragen, welche er stets in Bereitschaft hatte, die vertrauensvolle Meinung, das, er sein Land gründlich kennen zu lernen wünsche. Auch die unterbrochene wissenschaftliche Beschäf¬ tigung ward wieder aufgenommen und vervollständigt. Der Professor Lobell aus Bonn ward auf einige Zeit nach Schwerin eingeladen, um dem Gro߬ herzog Vorträge über Geschichte zu halten und nebenbei auch der damals noch wenig an solche Dinge gewöhnten Hofgesellschaft einige wissenschaftliche Nah¬ rung darzubieten. Andere Lehrer wurden angenommen, um den Großherzog in andere Zweige der Wissenschaft einzuführen. Selbst das Criminalrecht blieb davon nicht ausgeschlossen. In Regierungsangelegenheiten übte der Rath des ersten Ministers, v. Lützow, der in diesem Amt schon dem Vater des Großherzogs eine bewährte Stütze gewesen war, einen entscheidenden Einfluß. Er war ein einsichtsvoller und humaner Mann und hatte den redlichen Willen, den Fürsten, dem er persönlich sehr nahe stand, zu allem Guten zu leiten. Die ersten sechs Regierungsjahre Friedrich Franz des Zweiten liefen in ziemlich ebenem Geleise dahin. Aus den Ereignissen des innern Staatslebens hebt sich die Fortsetzung des bereits unter Paul Friedrich begonnenen Kampfes der bürgerlichen gegen die adeligen Mitglieder der Ritterschaft hervor, bei welchen es sich auf Seiten der ersteren um die Erringung der ihnen vom Adel vorenthaltenen politischen Gleichberech¬ tigung handelte. Der Kampf nahm allmälig ziemlich große Dimensionen an, da fast alle bürgerlichen Gutsbesitzer, mehre hundert an der Zahl, sich als festgcschlossene Partei an demselben beteiligten. Die Regierung nahm eine vermittelnde Stellung ein und schützte einstweilen den eingeborenen Adel in den von ihm behaupteten politischen Vorrechten. An sich war dieser Kampf ohne principiellen Gehalt. Aber es verbanden sich mit demselben, den Kämpfen¬ den selbst meistens unbewußt, allgemeinere Tendenzen. Die bürgerliche Partei griff mit einzelnen Anträgen, z. B. in Betreff der Aufhebung der Censur, über den Grenzboten II. 1863. . 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/213>, abgerufen am 20.10.2024.