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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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liberale Koalition ohne deutsches Programm schloß. Allerdings wäre wohl das
Maß des sächsischen Liberalismus etwas über das der Herren v. Lerchenfeld,
Weis und Consorten hinausgegangen, aber die sächsische Kammer zum Tummel¬
platz liberaler Abgeordneter verschiedenen deutschen Bekenntnisses gemacht, dies
würde dazu führen, daß das minder Wichtige, wiederum wie vor 1848. für
das Wesentliche gehalten, und das Eine, was noth thut, der Aufmerksamkeit
der Abgeordneten und des Volkes entrückt würde. In Sachsen ist es aber vor
Allem nöthig. daß dieses Eine fest und unverrückt den Leuten vor die Augen
gehalten werde, daß sie es sich nicht mehr aus dem Sinne schlagen dürfen,
daß sie anfangen darüber zu grübeln, daß sie sich der harten Alternativen, die
darin enthalten sind, immer deutlicher bewußt werden, und daß der Gegenstand
Politischen Denkens endlich zur Herzenssache wird, der sie Tag und Nacht nicht
verläßt. Hierzu kommt, daß auf keine Weise ein rascher Erfolg sich erwarten
läßt. Dafür hat schon die Partialerneuerung gesorgt; die Eifersucht der jetzt
vertretenen Stände, insonderheit der Rittergutsbesitzer und Bauern, die Eitel¬
keit der durch den Bezirkszwang in die Höhe poussirten Localgrößen sind zu
stark, als daß die neugewählten liberalen Männer, in Verbindung mit den be¬
reits in der Kammer befindlichen wenigen liberalen Männern, denen bei der
düsteren Schilderung unserer Zustände im Allgemeinen eine warme Anerkennung
nicht versagt sei, auf Erfolg in wesentlichen Dingen, namentlich bezüglich der
Wahlreform. hoffen dürften. Muß man aber einmal auf Nächstliegende Erfolge
verzichten, dann ist um so weniger Grund vorhanden, in jener Cardin alfrage,
der deutschen Frage, lax zu sein, der Frage, welche allein der neuen Partei-
bildung vollen geistigen Inhalt und politische Berechtigung geben kann, mit der
man allein den vollen Gegensatz zum Ministerium Beust zum Ausdruck
bringen kann.

Dies führt uns zu dem zweiten Punkte, welchen wir oben als einer reif¬
licher Prüfung bedürftig bezeichneten, wir meinen damit die Kompetenzfrage.
War es bisher der einzelnen Person überlassen geblieben, sich mit seinem Ge¬
wissen betreffs dieser Frage abzufinden, so war es nun bei der Bildung einer
neuen Partei unbedingt nothwendig, zu der Frage, inwieweit man unsern jetzigen
staatlichen Zuständen, namentlich dem auf dem Verordnungswege wieder ein¬
geführten alten Wahlgesetze sich unterwerfe, eine bestimmte Stellung einzu¬
nehmen. Daß man, wenn man nicht überhaupt auf jede politische Betheili¬
gung verzichten wollte, sich dem factisch Bestehenden fügen mußte, darüber war
Wohl kein Zweifel vorhanden. Es fragte sich nur, ob man sich gegen die Aner¬
kennung durch einen Protest verwahren und sich so gewissermaßen die Liquidi-
rung des Anspruchs in meliorsm koiwirs-in vorbehalten, oder ob man den
Kampf ohne Weitere" auf den gegebenen Grundlagen aufnehmen sollte.^Die
Meinungen in dieser Beziehung theilten sich nicht nach den vorhandenen Par-


liberale Koalition ohne deutsches Programm schloß. Allerdings wäre wohl das
Maß des sächsischen Liberalismus etwas über das der Herren v. Lerchenfeld,
Weis und Consorten hinausgegangen, aber die sächsische Kammer zum Tummel¬
platz liberaler Abgeordneter verschiedenen deutschen Bekenntnisses gemacht, dies
würde dazu führen, daß das minder Wichtige, wiederum wie vor 1848. für
das Wesentliche gehalten, und das Eine, was noth thut, der Aufmerksamkeit
der Abgeordneten und des Volkes entrückt würde. In Sachsen ist es aber vor
Allem nöthig. daß dieses Eine fest und unverrückt den Leuten vor die Augen
gehalten werde, daß sie es sich nicht mehr aus dem Sinne schlagen dürfen,
daß sie anfangen darüber zu grübeln, daß sie sich der harten Alternativen, die
darin enthalten sind, immer deutlicher bewußt werden, und daß der Gegenstand
Politischen Denkens endlich zur Herzenssache wird, der sie Tag und Nacht nicht
verläßt. Hierzu kommt, daß auf keine Weise ein rascher Erfolg sich erwarten
läßt. Dafür hat schon die Partialerneuerung gesorgt; die Eifersucht der jetzt
vertretenen Stände, insonderheit der Rittergutsbesitzer und Bauern, die Eitel¬
keit der durch den Bezirkszwang in die Höhe poussirten Localgrößen sind zu
stark, als daß die neugewählten liberalen Männer, in Verbindung mit den be¬
reits in der Kammer befindlichen wenigen liberalen Männern, denen bei der
düsteren Schilderung unserer Zustände im Allgemeinen eine warme Anerkennung
nicht versagt sei, auf Erfolg in wesentlichen Dingen, namentlich bezüglich der
Wahlreform. hoffen dürften. Muß man aber einmal auf Nächstliegende Erfolge
verzichten, dann ist um so weniger Grund vorhanden, in jener Cardin alfrage,
der deutschen Frage, lax zu sein, der Frage, welche allein der neuen Partei-
bildung vollen geistigen Inhalt und politische Berechtigung geben kann, mit der
man allein den vollen Gegensatz zum Ministerium Beust zum Ausdruck
bringen kann.

Dies führt uns zu dem zweiten Punkte, welchen wir oben als einer reif¬
licher Prüfung bedürftig bezeichneten, wir meinen damit die Kompetenzfrage.
War es bisher der einzelnen Person überlassen geblieben, sich mit seinem Ge¬
wissen betreffs dieser Frage abzufinden, so war es nun bei der Bildung einer
neuen Partei unbedingt nothwendig, zu der Frage, inwieweit man unsern jetzigen
staatlichen Zuständen, namentlich dem auf dem Verordnungswege wieder ein¬
geführten alten Wahlgesetze sich unterwerfe, eine bestimmte Stellung einzu¬
nehmen. Daß man, wenn man nicht überhaupt auf jede politische Betheili¬
gung verzichten wollte, sich dem factisch Bestehenden fügen mußte, darüber war
Wohl kein Zweifel vorhanden. Es fragte sich nur, ob man sich gegen die Aner¬
kennung durch einen Protest verwahren und sich so gewissermaßen die Liquidi-
rung des Anspruchs in meliorsm koiwirs-in vorbehalten, oder ob man den
Kampf ohne Weitere« auf den gegebenen Grundlagen aufnehmen sollte.^Die
Meinungen in dieser Beziehung theilten sich nicht nach den vorhandenen Par-


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[0201] liberale Koalition ohne deutsches Programm schloß. Allerdings wäre wohl das Maß des sächsischen Liberalismus etwas über das der Herren v. Lerchenfeld, Weis und Consorten hinausgegangen, aber die sächsische Kammer zum Tummel¬ platz liberaler Abgeordneter verschiedenen deutschen Bekenntnisses gemacht, dies würde dazu führen, daß das minder Wichtige, wiederum wie vor 1848. für das Wesentliche gehalten, und das Eine, was noth thut, der Aufmerksamkeit der Abgeordneten und des Volkes entrückt würde. In Sachsen ist es aber vor Allem nöthig. daß dieses Eine fest und unverrückt den Leuten vor die Augen gehalten werde, daß sie es sich nicht mehr aus dem Sinne schlagen dürfen, daß sie anfangen darüber zu grübeln, daß sie sich der harten Alternativen, die darin enthalten sind, immer deutlicher bewußt werden, und daß der Gegenstand Politischen Denkens endlich zur Herzenssache wird, der sie Tag und Nacht nicht verläßt. Hierzu kommt, daß auf keine Weise ein rascher Erfolg sich erwarten läßt. Dafür hat schon die Partialerneuerung gesorgt; die Eifersucht der jetzt vertretenen Stände, insonderheit der Rittergutsbesitzer und Bauern, die Eitel¬ keit der durch den Bezirkszwang in die Höhe poussirten Localgrößen sind zu stark, als daß die neugewählten liberalen Männer, in Verbindung mit den be¬ reits in der Kammer befindlichen wenigen liberalen Männern, denen bei der düsteren Schilderung unserer Zustände im Allgemeinen eine warme Anerkennung nicht versagt sei, auf Erfolg in wesentlichen Dingen, namentlich bezüglich der Wahlreform. hoffen dürften. Muß man aber einmal auf Nächstliegende Erfolge verzichten, dann ist um so weniger Grund vorhanden, in jener Cardin alfrage, der deutschen Frage, lax zu sein, der Frage, welche allein der neuen Partei- bildung vollen geistigen Inhalt und politische Berechtigung geben kann, mit der man allein den vollen Gegensatz zum Ministerium Beust zum Ausdruck bringen kann. Dies führt uns zu dem zweiten Punkte, welchen wir oben als einer reif¬ licher Prüfung bedürftig bezeichneten, wir meinen damit die Kompetenzfrage. War es bisher der einzelnen Person überlassen geblieben, sich mit seinem Ge¬ wissen betreffs dieser Frage abzufinden, so war es nun bei der Bildung einer neuen Partei unbedingt nothwendig, zu der Frage, inwieweit man unsern jetzigen staatlichen Zuständen, namentlich dem auf dem Verordnungswege wieder ein¬ geführten alten Wahlgesetze sich unterwerfe, eine bestimmte Stellung einzu¬ nehmen. Daß man, wenn man nicht überhaupt auf jede politische Betheili¬ gung verzichten wollte, sich dem factisch Bestehenden fügen mußte, darüber war Wohl kein Zweifel vorhanden. Es fragte sich nur, ob man sich gegen die Aner¬ kennung durch einen Protest verwahren und sich so gewissermaßen die Liquidi- rung des Anspruchs in meliorsm koiwirs-in vorbehalten, oder ob man den Kampf ohne Weitere« auf den gegebenen Grundlagen aufnehmen sollte.^Die Meinungen in dieser Beziehung theilten sich nicht nach den vorhandenen Par-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/201>, abgerufen am 20.10.2024.