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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Wickelung ist aus dem Ständelandtag in den sogenannten Unverstandslandtag,
und später, aus Urias? der deutschen Frage, wieder in den Ständelandtag
gefallen, und so haben denn in Sachsen immer nur Conservative in des Wortes
verwegenster Bedeutung und Demokraten recht gedeihen wollen. Die liberale
Partei hat numerisch nie über große Kräfte zu gebieten gehabt. Von den De¬
mokraten hat sich ein Theil dem Nationalverein angeschlossen, ein anderer Theil
'se großdeutsch geblieben. Von den Letzteren hat wieder ein Theil sich den De¬
mokraten des Nationalvereins genähert, während ein anderer Theil sich die
widerliche Aufgabe gestellt hat. zum Vortheile des Herrn v. Beust und der
Reaction die liberalen Elemente des Landes mit Koth zu beweisen, dann ge¬
legentlich wieder radicale Phrasen zu dreschen, neuerdings sogar mit Herrn
Lassalle schön zu thun. Die Lage der Dinge in Preußen hat namentlich in den
mittlern und kleinern Städten den Großdeutschen wieder viele Anhänger zu¬
geführt. Man beurtheilt ja dort so leicht die Dinge nicht nach dem innern
zwingenden Gedanken, sondern nach dem nächsten Erfolge, und so heißt es denn
auch: "Die preußische Spike bat Fiasko gemacht, man muß daher einen andern
Weg ergreifen". Als ob die preußische Spitze je gewählt worden wäre wegen
der Vortrefflichkeit der preußischen Regierung, und als ob nicht für die preußi¬
sche Spitze in Preußen jetzt eine gründlichere Nadicalcur vorgenommen würde,
als sich noch vor wenig Jahren hoffen lieh. Bei der Bildung der neuen Partei
handelte es sich nun darum, inwieweit eine Vereinigung der alten Parteien zu den
neuen Zielen möglich sei. Eine Basis der Annäherung hatte zum Theil schon
früher der Nationalverein geboten, dem die Liberalen neueren Datums meist sich
angeschlossen haben; es galt nun, auch für die innern Fragen eine Annäherung
zu gewinnen. Die Lethargie, in welcher sich das politische Leben Sachsens seit
dreizehn Jahren befunden hatte, war dem Heranwachsen neuer Kräfte hinderlich
gewesen, und so sind es im Wesentlichen noch die alten Persönlichkeiten, welche
maßgebend sind. Wohl mag es Manchen darunter bei sämmtlichen Parteien
schwer geworden sein, die Erinnerungen der früheren Jahre zu vergessen und
mit den Gegnern von ehedem sich auf engerm vaterländischen Gebiete die Hand
zum Bunde zu reichen; allein solche persönliche Stimmungen mußten überwunden
werden. Daß es an den Hetzern nicht fehlte, die wieder das alte Kunststückchen
gebrauchten, jeder Partei zu sagen, sie werde von der andern mißbraucht, ver¬
stand sich von selbst. Sachlich bedurften namentlich zwei Punkte einer reiflicheren
Prüfung: einmal wie verhielt sich die Einigung behufs gemeinschaftlichen Vor¬
gehens in sächsischen Dingen zu der nationalen Frage, und sodann, welche
Stellung hatte die Partei zu den Verfassungsvorgängen Sachsens von 1850
zu nehmen? In der ersten Beziehung fragte sichs darum: sollten sich sämmt¬
liche liberalen Parteien zusammenthun, um zunächst in Sachsen die Garantien
des Rechts und der Freiheit erhöhen zu helfen, um sodann auf dieser gewor-


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Wickelung ist aus dem Ständelandtag in den sogenannten Unverstandslandtag,
und später, aus Urias? der deutschen Frage, wieder in den Ständelandtag
gefallen, und so haben denn in Sachsen immer nur Conservative in des Wortes
verwegenster Bedeutung und Demokraten recht gedeihen wollen. Die liberale
Partei hat numerisch nie über große Kräfte zu gebieten gehabt. Von den De¬
mokraten hat sich ein Theil dem Nationalverein angeschlossen, ein anderer Theil
'se großdeutsch geblieben. Von den Letzteren hat wieder ein Theil sich den De¬
mokraten des Nationalvereins genähert, während ein anderer Theil sich die
widerliche Aufgabe gestellt hat. zum Vortheile des Herrn v. Beust und der
Reaction die liberalen Elemente des Landes mit Koth zu beweisen, dann ge¬
legentlich wieder radicale Phrasen zu dreschen, neuerdings sogar mit Herrn
Lassalle schön zu thun. Die Lage der Dinge in Preußen hat namentlich in den
mittlern und kleinern Städten den Großdeutschen wieder viele Anhänger zu¬
geführt. Man beurtheilt ja dort so leicht die Dinge nicht nach dem innern
zwingenden Gedanken, sondern nach dem nächsten Erfolge, und so heißt es denn
auch: „Die preußische Spike bat Fiasko gemacht, man muß daher einen andern
Weg ergreifen". Als ob die preußische Spitze je gewählt worden wäre wegen
der Vortrefflichkeit der preußischen Regierung, und als ob nicht für die preußi¬
sche Spitze in Preußen jetzt eine gründlichere Nadicalcur vorgenommen würde,
als sich noch vor wenig Jahren hoffen lieh. Bei der Bildung der neuen Partei
handelte es sich nun darum, inwieweit eine Vereinigung der alten Parteien zu den
neuen Zielen möglich sei. Eine Basis der Annäherung hatte zum Theil schon
früher der Nationalverein geboten, dem die Liberalen neueren Datums meist sich
angeschlossen haben; es galt nun, auch für die innern Fragen eine Annäherung
zu gewinnen. Die Lethargie, in welcher sich das politische Leben Sachsens seit
dreizehn Jahren befunden hatte, war dem Heranwachsen neuer Kräfte hinderlich
gewesen, und so sind es im Wesentlichen noch die alten Persönlichkeiten, welche
maßgebend sind. Wohl mag es Manchen darunter bei sämmtlichen Parteien
schwer geworden sein, die Erinnerungen der früheren Jahre zu vergessen und
mit den Gegnern von ehedem sich auf engerm vaterländischen Gebiete die Hand
zum Bunde zu reichen; allein solche persönliche Stimmungen mußten überwunden
werden. Daß es an den Hetzern nicht fehlte, die wieder das alte Kunststückchen
gebrauchten, jeder Partei zu sagen, sie werde von der andern mißbraucht, ver¬
stand sich von selbst. Sachlich bedurften namentlich zwei Punkte einer reiflicheren
Prüfung: einmal wie verhielt sich die Einigung behufs gemeinschaftlichen Vor¬
gehens in sächsischen Dingen zu der nationalen Frage, und sodann, welche
Stellung hatte die Partei zu den Verfassungsvorgängen Sachsens von 1850
zu nehmen? In der ersten Beziehung fragte sichs darum: sollten sich sämmt¬
liche liberalen Parteien zusammenthun, um zunächst in Sachsen die Garantien
des Rechts und der Freiheit erhöhen zu helfen, um sodann auf dieser gewor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/199>, abgerufen am 20.10.2024.