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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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sondere Form zu geben, gewissermaßen den abstracten Parteimenschen zum con-
creten zu erheben. Freilich kann man ein Bedauern nicht unterdrücken, wenn
man diese Nothwendigkeit einräumt; leider ist aber das allgemeine nationale
Ziel noch so entfernt, daß seine Behandlung noch unter die Kategorie abstracter
Politik zu gehören scheint, und leider sind alle concreten Fragen der Ver¬
fassung"- und Verwaltungspolitik noch particularistisch. aber ein Bedauern kann
die Wahrheit nicht aufheben. Auch in Sachsen machte sich diese Nothwendig¬
keit fühlbar; denn wenn auch in Leipzig, und zum Theil auch in Dresden
und Chemnitz, der Nationalverein auch für die inneren, staatlichen und städtische"
Fragen, eine Bedeutung erlangt hatte, so bedürfte es doch für das übrige Land
unbedingt einer neuen Parteibildung, welche sich auf deu sächsischen Verhält¬
nissen und für diese aufbaute. Und zwar bot sich für Sachsen außer jene"
beiden Gesichtspunkten noch ein dritter: eben der, nur überhaupt vorerst po¬
litisches Leben wieder in Sachsen zu wecken, und alle genauer begrenzte Partei¬
bildung der Zukunft zu überlassen, und es hat in der That nicht an wohl¬
meinenden und tüchtigen Männern gefehlt, welche die Einhaltung dieses
Gesichtspunktes befürworteten.

Die nächste Veranlassung, welche endlich nöthigte, politisch zu denken und zu
handeln, war durch die demnächst bevorstehende theilweise Erneuerung der sächsi¬
schen zweiten Kammer geboten. Wie in diesem Blatte früher berichtet worden,
hatte die vom vorigen Landtage genehmigte Wahlreform, welche die Süd"e
für die Junivcrvrdnungen von 1850 hatte gewähren sollen, nur wenige Abände¬
rungen des Bestehenden gebracht. Festgehalten war am Ständeprincip,
Bczirtszwang, an den neunjährigen Wahlperioden, nur in Bezug auf den
Eensus, das Erforderniß der Ansässigkeit, den Stand des zu wählenden Ab¬
geordneten :c. waren einige Erleichterungen geschaffen worden; außerdem w>"'de
eine Vermehrung der Vertreter des Fabrik- und Handelsstandes um fünf be¬
schlossen. Trotz dieses Antlammerns an die bewährten Sicherheitsvorkehrnngcu
hatte man es aber doch nicht gewagt, eine totale Erneuerung der zweite"
Kammer vorzunehmen, man entschloß sich zu dem eigenthümlichen Experimente,
einen Theil der Kammer nach andern Wahlgrundsätzen erwählen zu lassen, als
die sind, nach denen die Wahl der übrigen Mitglieder erfolgte. So steht denn
in diesem Jahre die Wahl eines Drittels der zweiten Kammer und der fü"s
neucreirtcn Vertreter des Handels- und Fabrikstandes bevor.

Bereits seit Monaten war von manchen Seiten die Mahnung zur Bil¬
dung einer Fortschrittspartei erhoben worden, die hervorragenden Mitglieder
der liberalen Parteien näherten sich zu vertraulichen Besprechungen, und der
Entschluß, nunmehr ans Wert zu gehn, wurde gefaßt. Die Elemente, welche
sich in Sachsen für eine derartige Parteibildung vorfinden, sind eigenthümlicher
Art. Sachsen ist das Land der politischen Extreme; seine constitutionelle Ent-


sondere Form zu geben, gewissermaßen den abstracten Parteimenschen zum con-
creten zu erheben. Freilich kann man ein Bedauern nicht unterdrücken, wenn
man diese Nothwendigkeit einräumt; leider ist aber das allgemeine nationale
Ziel noch so entfernt, daß seine Behandlung noch unter die Kategorie abstracter
Politik zu gehören scheint, und leider sind alle concreten Fragen der Ver¬
fassung«- und Verwaltungspolitik noch particularistisch. aber ein Bedauern kann
die Wahrheit nicht aufheben. Auch in Sachsen machte sich diese Nothwendig¬
keit fühlbar; denn wenn auch in Leipzig, und zum Theil auch in Dresden
und Chemnitz, der Nationalverein auch für die inneren, staatlichen und städtische»
Fragen, eine Bedeutung erlangt hatte, so bedürfte es doch für das übrige Land
unbedingt einer neuen Parteibildung, welche sich auf deu sächsischen Verhält¬
nissen und für diese aufbaute. Und zwar bot sich für Sachsen außer jene»
beiden Gesichtspunkten noch ein dritter: eben der, nur überhaupt vorerst po¬
litisches Leben wieder in Sachsen zu wecken, und alle genauer begrenzte Partei¬
bildung der Zukunft zu überlassen, und es hat in der That nicht an wohl¬
meinenden und tüchtigen Männern gefehlt, welche die Einhaltung dieses
Gesichtspunktes befürworteten.

Die nächste Veranlassung, welche endlich nöthigte, politisch zu denken und zu
handeln, war durch die demnächst bevorstehende theilweise Erneuerung der sächsi¬
schen zweiten Kammer geboten. Wie in diesem Blatte früher berichtet worden,
hatte die vom vorigen Landtage genehmigte Wahlreform, welche die Süd»e
für die Junivcrvrdnungen von 1850 hatte gewähren sollen, nur wenige Abände¬
rungen des Bestehenden gebracht. Festgehalten war am Ständeprincip,
Bczirtszwang, an den neunjährigen Wahlperioden, nur in Bezug auf den
Eensus, das Erforderniß der Ansässigkeit, den Stand des zu wählenden Ab¬
geordneten :c. waren einige Erleichterungen geschaffen worden; außerdem w>"'de
eine Vermehrung der Vertreter des Fabrik- und Handelsstandes um fünf be¬
schlossen. Trotz dieses Antlammerns an die bewährten Sicherheitsvorkehrnngcu
hatte man es aber doch nicht gewagt, eine totale Erneuerung der zweite»
Kammer vorzunehmen, man entschloß sich zu dem eigenthümlichen Experimente,
einen Theil der Kammer nach andern Wahlgrundsätzen erwählen zu lassen, als
die sind, nach denen die Wahl der übrigen Mitglieder erfolgte. So steht denn
in diesem Jahre die Wahl eines Drittels der zweiten Kammer und der fü»s
neucreirtcn Vertreter des Handels- und Fabrikstandes bevor.

Bereits seit Monaten war von manchen Seiten die Mahnung zur Bil¬
dung einer Fortschrittspartei erhoben worden, die hervorragenden Mitglieder
der liberalen Parteien näherten sich zu vertraulichen Besprechungen, und der
Entschluß, nunmehr ans Wert zu gehn, wurde gefaßt. Die Elemente, welche
sich in Sachsen für eine derartige Parteibildung vorfinden, sind eigenthümlicher
Art. Sachsen ist das Land der politischen Extreme; seine constitutionelle Ent-


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[0198] sondere Form zu geben, gewissermaßen den abstracten Parteimenschen zum con- creten zu erheben. Freilich kann man ein Bedauern nicht unterdrücken, wenn man diese Nothwendigkeit einräumt; leider ist aber das allgemeine nationale Ziel noch so entfernt, daß seine Behandlung noch unter die Kategorie abstracter Politik zu gehören scheint, und leider sind alle concreten Fragen der Ver¬ fassung«- und Verwaltungspolitik noch particularistisch. aber ein Bedauern kann die Wahrheit nicht aufheben. Auch in Sachsen machte sich diese Nothwendig¬ keit fühlbar; denn wenn auch in Leipzig, und zum Theil auch in Dresden und Chemnitz, der Nationalverein auch für die inneren, staatlichen und städtische» Fragen, eine Bedeutung erlangt hatte, so bedürfte es doch für das übrige Land unbedingt einer neuen Parteibildung, welche sich auf deu sächsischen Verhält¬ nissen und für diese aufbaute. Und zwar bot sich für Sachsen außer jene» beiden Gesichtspunkten noch ein dritter: eben der, nur überhaupt vorerst po¬ litisches Leben wieder in Sachsen zu wecken, und alle genauer begrenzte Partei¬ bildung der Zukunft zu überlassen, und es hat in der That nicht an wohl¬ meinenden und tüchtigen Männern gefehlt, welche die Einhaltung dieses Gesichtspunktes befürworteten. Die nächste Veranlassung, welche endlich nöthigte, politisch zu denken und zu handeln, war durch die demnächst bevorstehende theilweise Erneuerung der sächsi¬ schen zweiten Kammer geboten. Wie in diesem Blatte früher berichtet worden, hatte die vom vorigen Landtage genehmigte Wahlreform, welche die Süd»e für die Junivcrvrdnungen von 1850 hatte gewähren sollen, nur wenige Abände¬ rungen des Bestehenden gebracht. Festgehalten war am Ständeprincip, Bczirtszwang, an den neunjährigen Wahlperioden, nur in Bezug auf den Eensus, das Erforderniß der Ansässigkeit, den Stand des zu wählenden Ab¬ geordneten :c. waren einige Erleichterungen geschaffen worden; außerdem w>"'de eine Vermehrung der Vertreter des Fabrik- und Handelsstandes um fünf be¬ schlossen. Trotz dieses Antlammerns an die bewährten Sicherheitsvorkehrnngcu hatte man es aber doch nicht gewagt, eine totale Erneuerung der zweite» Kammer vorzunehmen, man entschloß sich zu dem eigenthümlichen Experimente, einen Theil der Kammer nach andern Wahlgrundsätzen erwählen zu lassen, als die sind, nach denen die Wahl der übrigen Mitglieder erfolgte. So steht denn in diesem Jahre die Wahl eines Drittels der zweiten Kammer und der fü»s neucreirtcn Vertreter des Handels- und Fabrikstandes bevor. Bereits seit Monaten war von manchen Seiten die Mahnung zur Bil¬ dung einer Fortschrittspartei erhoben worden, die hervorragenden Mitglieder der liberalen Parteien näherten sich zu vertraulichen Besprechungen, und der Entschluß, nunmehr ans Wert zu gehn, wurde gefaßt. Die Elemente, welche sich in Sachsen für eine derartige Parteibildung vorfinden, sind eigenthümlicher Art. Sachsen ist das Land der politischen Extreme; seine constitutionelle Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/198>, abgerufen am 19.10.2024.