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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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14 berichtet, ist äußerst skizzenhaft und theilt uns nichts Neues mit. Selbst
der ruhmvolle Antheil, den das zweite Corps an der Schlacht bei Leipzig
nahm, wo es bei Wachau und Güldengossa stand und schrecklich gelichtet, aber
unerschüttert den großen Reitersturm über sich ergehen ließ, der das verbündete
Centrum fast durchbrochen hätte. ist nur flüchtig berührt. Ebenso ist der Bericht
über das Treffen bei la Fere Champenoise und der tapfere Sturm auf die
Höhen von Nvmainvillc vor Paris werden in wenig Zeilen abgefertigt. Für
letztere That wurde der Prinz zum General der Infanterie ernannt, aber auch
diesmal in dem Armeebericht nicht genannt. Der Feldzug von 1815 brachte
das russische Heer bekanntlich gar nicht in den Kampf, und nach dem Frieden
jog sich der Prinz in die stille Einsamkeit seiner Besitzungen in Schlesien zurück.

Seine öffentliche Wirksamkeit war jedoch noch nicht zu Ende. Obgleich
immer noch vernachlässigt, ließ er sich von der Ausführung des wiederholten
Vorsatzes, seinen Abschied aus russischen Diensten zu nehmen, immer wieder von
der gutmüthigen Ueberzeugung abhalten, daß die erlittenen Zurücksetzungen nicht
dem Herzen Alexanders, sondern Rücksichten der Politik beizumessen seien. Erbe¬
fand sich gerade in Petersburg, als die Nachricht von dem Tode des Kaisers
eintraf und hatte. bei dem dem Regierungsantritt Nikolaus folgenden Militär¬
aufruhr Gelegenheit, dem neuen Kaiser wichtige Dienste zu leisten. Er traf
den Kaiser des Morgens auf dem Schloßplatze unter dem Volke, dasselbe an¬
redend. Ais Nikolaus ihn erblickte, sagte er zu ihm flüchtig: "Schütze mir Frau
und Kind!" ?"Und wo wollen Sie denn hin?" fragte der Herzog besorgt. "Auf
den Scnatsplatz!" erwiderte der Kaiser. Dort hatten sich die aufrührerische"
Soldaten versammelt, und eine aus ihren Reihen entsendete Kugel hatte den
tapfern General Miloradowitsch tödtlich verwundet. Der Herzog beschwor in
seiner Angst den Kaiser, ihm zu gestatten, ihn bei diesem gefährlichen Gang
begleiten zu dürfen. Nikolaus aber sagte zu ihm in höchster Eile: "Versichere
dich des Schlosses und dann bringe Nachricht!" Der Herzog ordnete darauf
die Wachen, ließ durch den Commandanten, der die Localitäten genau kannte,
dieselben theils verrammeln, theils besetzen und begab sich alsdann wieder zum
Kaiser, nachdem ihn seine Tante vorher mit den Worten fast zur Thür hinaus
gedrängt hatte: "Was machst du hier unter den Weibern? Dein Platz ist bei
dem Kaiser!" Er war dann bis zum letzten Augenblick bei der Unterdrückung
des Aufstandes thätig.

Als die Beziehungen zur Türkei immer kritischer wurden und ein Krieg
in naher Aussicht stand, machte Nikolaus dem Herzog Hoffnung auf den Ober¬
befehl in dem bevorstehenden Feldzug. Daß er ihn nicht erhielt, schreibt der
Herzog den Intriguen des General Diebitsch zu. Derselbe, behauptet er, habe
als Chef des Gencralstabes alle militärischen Capacitäten und besonders ihn
aus der Umgebung des Kaisers zu entfernen gewußt, um sich allein Einfluß


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14 berichtet, ist äußerst skizzenhaft und theilt uns nichts Neues mit. Selbst
der ruhmvolle Antheil, den das zweite Corps an der Schlacht bei Leipzig
nahm, wo es bei Wachau und Güldengossa stand und schrecklich gelichtet, aber
unerschüttert den großen Reitersturm über sich ergehen ließ, der das verbündete
Centrum fast durchbrochen hätte. ist nur flüchtig berührt. Ebenso ist der Bericht
über das Treffen bei la Fere Champenoise und der tapfere Sturm auf die
Höhen von Nvmainvillc vor Paris werden in wenig Zeilen abgefertigt. Für
letztere That wurde der Prinz zum General der Infanterie ernannt, aber auch
diesmal in dem Armeebericht nicht genannt. Der Feldzug von 1815 brachte
das russische Heer bekanntlich gar nicht in den Kampf, und nach dem Frieden
jog sich der Prinz in die stille Einsamkeit seiner Besitzungen in Schlesien zurück.

Seine öffentliche Wirksamkeit war jedoch noch nicht zu Ende. Obgleich
immer noch vernachlässigt, ließ er sich von der Ausführung des wiederholten
Vorsatzes, seinen Abschied aus russischen Diensten zu nehmen, immer wieder von
der gutmüthigen Ueberzeugung abhalten, daß die erlittenen Zurücksetzungen nicht
dem Herzen Alexanders, sondern Rücksichten der Politik beizumessen seien. Erbe¬
fand sich gerade in Petersburg, als die Nachricht von dem Tode des Kaisers
eintraf und hatte. bei dem dem Regierungsantritt Nikolaus folgenden Militär¬
aufruhr Gelegenheit, dem neuen Kaiser wichtige Dienste zu leisten. Er traf
den Kaiser des Morgens auf dem Schloßplatze unter dem Volke, dasselbe an¬
redend. Ais Nikolaus ihn erblickte, sagte er zu ihm flüchtig: „Schütze mir Frau
und Kind!" ?„Und wo wollen Sie denn hin?" fragte der Herzog besorgt. „Auf
den Scnatsplatz!" erwiderte der Kaiser. Dort hatten sich die aufrührerische»
Soldaten versammelt, und eine aus ihren Reihen entsendete Kugel hatte den
tapfern General Miloradowitsch tödtlich verwundet. Der Herzog beschwor in
seiner Angst den Kaiser, ihm zu gestatten, ihn bei diesem gefährlichen Gang
begleiten zu dürfen. Nikolaus aber sagte zu ihm in höchster Eile: „Versichere
dich des Schlosses und dann bringe Nachricht!" Der Herzog ordnete darauf
die Wachen, ließ durch den Commandanten, der die Localitäten genau kannte,
dieselben theils verrammeln, theils besetzen und begab sich alsdann wieder zum
Kaiser, nachdem ihn seine Tante vorher mit den Worten fast zur Thür hinaus
gedrängt hatte: „Was machst du hier unter den Weibern? Dein Platz ist bei
dem Kaiser!" Er war dann bis zum letzten Augenblick bei der Unterdrückung
des Aufstandes thätig.

Als die Beziehungen zur Türkei immer kritischer wurden und ein Krieg
in naher Aussicht stand, machte Nikolaus dem Herzog Hoffnung auf den Ober¬
befehl in dem bevorstehenden Feldzug. Daß er ihn nicht erhielt, schreibt der
Herzog den Intriguen des General Diebitsch zu. Derselbe, behauptet er, habe
als Chef des Gencralstabes alle militärischen Capacitäten und besonders ihn
aus der Umgebung des Kaisers zu entfernen gewußt, um sich allein Einfluß


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[0183] 14 berichtet, ist äußerst skizzenhaft und theilt uns nichts Neues mit. Selbst der ruhmvolle Antheil, den das zweite Corps an der Schlacht bei Leipzig nahm, wo es bei Wachau und Güldengossa stand und schrecklich gelichtet, aber unerschüttert den großen Reitersturm über sich ergehen ließ, der das verbündete Centrum fast durchbrochen hätte. ist nur flüchtig berührt. Ebenso ist der Bericht über das Treffen bei la Fere Champenoise und der tapfere Sturm auf die Höhen von Nvmainvillc vor Paris werden in wenig Zeilen abgefertigt. Für letztere That wurde der Prinz zum General der Infanterie ernannt, aber auch diesmal in dem Armeebericht nicht genannt. Der Feldzug von 1815 brachte das russische Heer bekanntlich gar nicht in den Kampf, und nach dem Frieden jog sich der Prinz in die stille Einsamkeit seiner Besitzungen in Schlesien zurück. Seine öffentliche Wirksamkeit war jedoch noch nicht zu Ende. Obgleich immer noch vernachlässigt, ließ er sich von der Ausführung des wiederholten Vorsatzes, seinen Abschied aus russischen Diensten zu nehmen, immer wieder von der gutmüthigen Ueberzeugung abhalten, daß die erlittenen Zurücksetzungen nicht dem Herzen Alexanders, sondern Rücksichten der Politik beizumessen seien. Erbe¬ fand sich gerade in Petersburg, als die Nachricht von dem Tode des Kaisers eintraf und hatte. bei dem dem Regierungsantritt Nikolaus folgenden Militär¬ aufruhr Gelegenheit, dem neuen Kaiser wichtige Dienste zu leisten. Er traf den Kaiser des Morgens auf dem Schloßplatze unter dem Volke, dasselbe an¬ redend. Ais Nikolaus ihn erblickte, sagte er zu ihm flüchtig: „Schütze mir Frau und Kind!" ?„Und wo wollen Sie denn hin?" fragte der Herzog besorgt. „Auf den Scnatsplatz!" erwiderte der Kaiser. Dort hatten sich die aufrührerische» Soldaten versammelt, und eine aus ihren Reihen entsendete Kugel hatte den tapfern General Miloradowitsch tödtlich verwundet. Der Herzog beschwor in seiner Angst den Kaiser, ihm zu gestatten, ihn bei diesem gefährlichen Gang begleiten zu dürfen. Nikolaus aber sagte zu ihm in höchster Eile: „Versichere dich des Schlosses und dann bringe Nachricht!" Der Herzog ordnete darauf die Wachen, ließ durch den Commandanten, der die Localitäten genau kannte, dieselben theils verrammeln, theils besetzen und begab sich alsdann wieder zum Kaiser, nachdem ihn seine Tante vorher mit den Worten fast zur Thür hinaus gedrängt hatte: „Was machst du hier unter den Weibern? Dein Platz ist bei dem Kaiser!" Er war dann bis zum letzten Augenblick bei der Unterdrückung des Aufstandes thätig. Als die Beziehungen zur Türkei immer kritischer wurden und ein Krieg in naher Aussicht stand, machte Nikolaus dem Herzog Hoffnung auf den Ober¬ befehl in dem bevorstehenden Feldzug. Daß er ihn nicht erhielt, schreibt der Herzog den Intriguen des General Diebitsch zu. Derselbe, behauptet er, habe als Chef des Gencralstabes alle militärischen Capacitäten und besonders ihn aus der Umgebung des Kaisers zu entfernen gewußt, um sich allein Einfluß 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/183>, abgerufen am 28.09.2024.