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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Und doch bedroht den Verein die gegenwärtige Ohnmacht Preußens mit
einer Gefahr, weiche ganz wo anders liegt als in einem möglichen Verbot.
So lange zu hoffen war, daß Preußen unter König Wilhelm dem Ersten seiner
deutschen Ausgabe gerecht werben würde, konnte der Nationalverein als Er-
wecker und Förderer eines großen deutschen Interesses, welches im Vordergrund
stand, seine Mitglieder durch die Agitation für die gemeinsamen deutschen Fragen
zusammenhalten, und er konnte für diese Fragen in den einzelnen Staaten
einheitliche Thätigkeit entwickeln. Seit es schwierig geworden ist, den nicht
preußischen Deutschen von größerer Concentration und einer deutschen Politik
des größten deutschen Staates zusprechen, ist gerade solchen, welche Freunde
der preußischen Politik seul möchten, fast nur eine abwehrende Thätigkeit
möglich. Die erregte Theilnahme an politischen Dingen hat sich seitdem auf
die innern Angelegenheiten der einzelnen Staaten geworfen, überall bilden sich,
wie zuerst in Preußen, Fortschrittsvereine, deren Aufgabe ist, in den ein¬
zelnen Staaten die ungenügenden, mit den Zielen des Nationalvereins unver¬
einbarer Verhältnisse durch gesetzliche Agitation zu reformiren.

Diese Vereine entstehen allerdings im Anschluß und als Ergänzung des
Nationalvereins, ihre Führer gehören in der Mehrzahl zu den leitenden Mit¬
gliedern der großen Vereinigung, auch sie sind bemüht eine Verbindung der
verschiedenen liberalen Parteien ihres Landes mit Ausschluß der entschieden
Großdeutschen und der raoicalen Demokratie hervorzubringen. Aber
ihre Zwecke sind zum Theil localer und provinciellcr Natur, die Führer der
einzelnen Vereine sind veranlaßt, in dieser neuen Thätigkeit größere Selbstän¬
digkeit und neue Politik zu entwickeln, es ist natürlich, daß sie für ihre Land¬
schaft eine erhöhte und selbständige Bedeutung gewinnen. Es muß ferner ihr
Bestreben sein, zu Mitgliedern dieser provinciellen Vereine auch solche herbeizu¬
ziehen, welche nicht bereits Mitglieder des Nationalvereins sind, ja auch solche,
welche in den Lcmdesfragcn ihre Ueberzeugung theilen, ohne in gleichem Maße
für die Ziele des Nationalvereins Wärme zu empfinden. Es wird also localen
Vorurtheilen, provincieller Beschränktheit hier und da mehr nachgegeben werden
müssen, als dem Nationalverein selbst nöthig war.

Allerdings vermag diese erHöhle Thätigkeit der Theile und die Vertheilung
des deutschen Lebens auf die innern Fragen der einzelnen Länder ein gro¬
ßer Zuwachs des Gescnnmtvereins zu werden, weil sie viele Tausende wenig¬
stens indirect mit dem Verein verbindet. Sie droht auf der andern Seite aber
auch den Zusammenhang der nationalen Partei zu lockern und durch die Ein¬
führung abweichender Ansichten Einheit und planvolles Vorschreiten des Ge¬
sammtvereins zu erschweren. Die Gefahr würde groß sein, wenn nicht gerade
die Weitcrsehenden überall auf deutscher Erde lebhaft die Schwäche und das
Ungenügende der innern Verhältnisse empfänden, und schon dadurch auf den


Und doch bedroht den Verein die gegenwärtige Ohnmacht Preußens mit
einer Gefahr, weiche ganz wo anders liegt als in einem möglichen Verbot.
So lange zu hoffen war, daß Preußen unter König Wilhelm dem Ersten seiner
deutschen Ausgabe gerecht werben würde, konnte der Nationalverein als Er-
wecker und Förderer eines großen deutschen Interesses, welches im Vordergrund
stand, seine Mitglieder durch die Agitation für die gemeinsamen deutschen Fragen
zusammenhalten, und er konnte für diese Fragen in den einzelnen Staaten
einheitliche Thätigkeit entwickeln. Seit es schwierig geworden ist, den nicht
preußischen Deutschen von größerer Concentration und einer deutschen Politik
des größten deutschen Staates zusprechen, ist gerade solchen, welche Freunde
der preußischen Politik seul möchten, fast nur eine abwehrende Thätigkeit
möglich. Die erregte Theilnahme an politischen Dingen hat sich seitdem auf
die innern Angelegenheiten der einzelnen Staaten geworfen, überall bilden sich,
wie zuerst in Preußen, Fortschrittsvereine, deren Aufgabe ist, in den ein¬
zelnen Staaten die ungenügenden, mit den Zielen des Nationalvereins unver¬
einbarer Verhältnisse durch gesetzliche Agitation zu reformiren.

Diese Vereine entstehen allerdings im Anschluß und als Ergänzung des
Nationalvereins, ihre Führer gehören in der Mehrzahl zu den leitenden Mit¬
gliedern der großen Vereinigung, auch sie sind bemüht eine Verbindung der
verschiedenen liberalen Parteien ihres Landes mit Ausschluß der entschieden
Großdeutschen und der raoicalen Demokratie hervorzubringen. Aber
ihre Zwecke sind zum Theil localer und provinciellcr Natur, die Führer der
einzelnen Vereine sind veranlaßt, in dieser neuen Thätigkeit größere Selbstän¬
digkeit und neue Politik zu entwickeln, es ist natürlich, daß sie für ihre Land¬
schaft eine erhöhte und selbständige Bedeutung gewinnen. Es muß ferner ihr
Bestreben sein, zu Mitgliedern dieser provinciellen Vereine auch solche herbeizu¬
ziehen, welche nicht bereits Mitglieder des Nationalvereins sind, ja auch solche,
welche in den Lcmdesfragcn ihre Ueberzeugung theilen, ohne in gleichem Maße
für die Ziele des Nationalvereins Wärme zu empfinden. Es wird also localen
Vorurtheilen, provincieller Beschränktheit hier und da mehr nachgegeben werden
müssen, als dem Nationalverein selbst nöthig war.

Allerdings vermag diese erHöhle Thätigkeit der Theile und die Vertheilung
des deutschen Lebens auf die innern Fragen der einzelnen Länder ein gro¬
ßer Zuwachs des Gescnnmtvereins zu werden, weil sie viele Tausende wenig¬
stens indirect mit dem Verein verbindet. Sie droht auf der andern Seite aber
auch den Zusammenhang der nationalen Partei zu lockern und durch die Ein¬
führung abweichender Ansichten Einheit und planvolles Vorschreiten des Ge¬
sammtvereins zu erschweren. Die Gefahr würde groß sein, wenn nicht gerade
die Weitcrsehenden überall auf deutscher Erde lebhaft die Schwäche und das
Ungenügende der innern Verhältnisse empfänden, und schon dadurch auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/156>, abgerufen am 20.10.2024.