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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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ehern wollte man den Zusammenhang nicht aufgeben; überall reservirte man
Sitze für die Oestreicher, welche nicht kamen, und jetzt noch hält man ihnen
die Plätze offen, selbst nachdem sie in -- vielleicht unbewußt -- richtiger Wür¬
digung des Verhältnisses von Oestreich zu Deutschland den Abgeordnetentag
zu Weimar nicht beschickt haben. Auch die bayerischen Altliberalen, obwohl sie
bei jeder Gelegenheit sehr unverblümt ihre Feindschaft gegen das nationale
Programm zur Schau getragen hatten, schienen eine Zeit lang im Ungewissen,
ob sie in Weimar erscheinen sollten oder nicht. Ein eigenthümliches Zwischen¬
glied hatte sich überdies in der schwäbischen Demokratie gebildet, welche lange
Zeit hin und her schwankte, und die eine Hand der Nationalpartei, die andere
den großdeutschen Glaubensgenossen reichte. Allein eben der Abgeordnetentag
zu Weimar, welchem einerseits die Coalition einiger Regierungen zu dem De-
legirtenproject, andrerseits die Aufstellung der Reichsverfassung von 1849 als
Programm für den Nationalverein vorangegangen war, führte die Entscheidung
herbei. Anstatt nach Weimar zu gehen, entschieden sich die Bayern in Verbin¬
dung mit einigen Oestreichern, dem Anhang Schmerlings, rasch eine Organi¬
sation der grvßdeutschen Partei ins Werk zu setzen, die sie lange genug vorbe¬
reitet, wenigstens angekündigt hatten.

Die sogenannte Organisation der großdeutschen Partei trug wesentlich dazu
bei, die Lage zu klären, für die Nationalpartei brachte sie den größten Gewinn.
Sie sonderte schärfer als bisher geschehen die Freunde und Gegner der bundes¬
staatlichen Reform, die Schwankenden mußten sich entscheiden, die verschiedenen
Parteien traten in leicht erkennbare Hauptgruppen auseinander. Zu gleicher
Zeit ergab sich die nun mögliche Ueberschau über die geschlossenen Reihen
der Gegner, wie verhältnißmäßig schwach sie waren, schwach zunächst in An¬
sehung der moralischen Mittel, über welche sie geboten. Der großdeutsche
Verein hatte sich auf Grund des Delegirtenprojects gebildet; dies war die
Fahne, welche inmitten des Lagers aufgesteckt wurde, für dieses Project Pro¬
paganda zu machen, war ausdrücklich die Aufgabe der Zweigvereine, welche
sich nun allerwärts bilden sollten. Wenige Wochen darauf -- und das Dele-
girtenproject war am Bunde selbst gefallen, schneller als es sonst das Schick¬
sal der am Bund eingebrachten Anträge zu sein Pflegt. Die Grvßdeutschen
hatten an einen Köder angebissen, der gar nicht ernstlich gemeint war, sie
waren die Dupirten der Regierungen, deren Beschwichtigungsproject sie für
baare Münze gehalten hatten. Ihr Programm war ihnen von denen selbst, zu
deren Unterstützung sie sich verbunden hatten, aus den Händen gewunden,
und sie sahen sich nun genöthigt, sich nach einem andern umzusehen.

In ihrer Verbreitung und Zusammensetzung, sowie in der Richtung, in
welche sie dadurch immer mehr gedrängt wurden, zeigte sich eine noch auffälligere
Schwäche der großdeutschen Vereine. Um ihren Anspruch zu würdigen, eine


ehern wollte man den Zusammenhang nicht aufgeben; überall reservirte man
Sitze für die Oestreicher, welche nicht kamen, und jetzt noch hält man ihnen
die Plätze offen, selbst nachdem sie in — vielleicht unbewußt — richtiger Wür¬
digung des Verhältnisses von Oestreich zu Deutschland den Abgeordnetentag
zu Weimar nicht beschickt haben. Auch die bayerischen Altliberalen, obwohl sie
bei jeder Gelegenheit sehr unverblümt ihre Feindschaft gegen das nationale
Programm zur Schau getragen hatten, schienen eine Zeit lang im Ungewissen,
ob sie in Weimar erscheinen sollten oder nicht. Ein eigenthümliches Zwischen¬
glied hatte sich überdies in der schwäbischen Demokratie gebildet, welche lange
Zeit hin und her schwankte, und die eine Hand der Nationalpartei, die andere
den großdeutschen Glaubensgenossen reichte. Allein eben der Abgeordnetentag
zu Weimar, welchem einerseits die Coalition einiger Regierungen zu dem De-
legirtenproject, andrerseits die Aufstellung der Reichsverfassung von 1849 als
Programm für den Nationalverein vorangegangen war, führte die Entscheidung
herbei. Anstatt nach Weimar zu gehen, entschieden sich die Bayern in Verbin¬
dung mit einigen Oestreichern, dem Anhang Schmerlings, rasch eine Organi¬
sation der grvßdeutschen Partei ins Werk zu setzen, die sie lange genug vorbe¬
reitet, wenigstens angekündigt hatten.

Die sogenannte Organisation der großdeutschen Partei trug wesentlich dazu
bei, die Lage zu klären, für die Nationalpartei brachte sie den größten Gewinn.
Sie sonderte schärfer als bisher geschehen die Freunde und Gegner der bundes¬
staatlichen Reform, die Schwankenden mußten sich entscheiden, die verschiedenen
Parteien traten in leicht erkennbare Hauptgruppen auseinander. Zu gleicher
Zeit ergab sich die nun mögliche Ueberschau über die geschlossenen Reihen
der Gegner, wie verhältnißmäßig schwach sie waren, schwach zunächst in An¬
sehung der moralischen Mittel, über welche sie geboten. Der großdeutsche
Verein hatte sich auf Grund des Delegirtenprojects gebildet; dies war die
Fahne, welche inmitten des Lagers aufgesteckt wurde, für dieses Project Pro¬
paganda zu machen, war ausdrücklich die Aufgabe der Zweigvereine, welche
sich nun allerwärts bilden sollten. Wenige Wochen darauf — und das Dele-
girtenproject war am Bunde selbst gefallen, schneller als es sonst das Schick¬
sal der am Bund eingebrachten Anträge zu sein Pflegt. Die Grvßdeutschen
hatten an einen Köder angebissen, der gar nicht ernstlich gemeint war, sie
waren die Dupirten der Regierungen, deren Beschwichtigungsproject sie für
baare Münze gehalten hatten. Ihr Programm war ihnen von denen selbst, zu
deren Unterstützung sie sich verbunden hatten, aus den Händen gewunden,
und sie sahen sich nun genöthigt, sich nach einem andern umzusehen.

In ihrer Verbreitung und Zusammensetzung, sowie in der Richtung, in
welche sie dadurch immer mehr gedrängt wurden, zeigte sich eine noch auffälligere
Schwäche der großdeutschen Vereine. Um ihren Anspruch zu würdigen, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/10>, abgerufen am 19.10.2024.