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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Aehnliches war an anderen Orten geschehen. In Bayern war zwar die alt¬
liberale particularistische Partei noch immer im Besitz der großen Mehrheit,
aber bereits hatte sich ans ihrem Schoß eine tüchtige Fraction abgezweigt,
deren unterscheidendes Merkmal nicht etwa die demokratische Färbung, sondern
die nationale Gesinnung war. In Hannover hatte sich der stüvcsche Alt¬
liberalismus völlig überlebt. Die Opposition war von jüngeren Kräften in die
Hand genommen worden, welche Stüves Zähigkeit, nicht aber dessen Parti-
cularismus theilten. In Würtemberg hatten sich die Altliberalen mehr und
mehr vom öffentlichen Leben zurückgezogen und der Demokratie das Feld ge¬
lassen, aber in der Demokratie selbst bereitete sich ein Scheidungsproceß vor,
der den größeren Theil derselben den Liberalen im übrigen Deutschland näher
brachte. In Baden waren die Partcigegenscitze der Revolution am gründlichsten
verschwunden- den Klerikalen stand die eine liberale Partei gegenüber; ähnlich
in Kurhessen, wo der Verfassungskampf alle Parteiunterschiede zurückdrängte.
In Mitteldeutschland überhaupt war für die Verschmelzung der liberalen Frac-
tionen Alles reif.

Die Bedingungen für die Bildung einer Nationalpartei waren also ge¬
geben, aber der Erfolg hing doch wesentlich davon ab, wie die alten Parteien ihr
gegenüber sich Verhalten würden; denn an ein völliges Aufgehen der letzteren
war nicht zu denken. Sie hatten ihre eigne. Geschichte, und darin bestand ihr
Recht in gewissem Sinne fortzudauern. Ihr Recht schwand aber in demselben
Maße, in welchem die geschichtlichen Bedingungen, welchen sie ihr Dasein ver¬
dankten, sich veränderten. Sie durften sich nicht ablehnend oder gar feind¬
selig gegen die Herstellung einer liberalen Union Verhalten, welche, jeder libe¬
ralen Richtung ihre Berechtigung lassend, deren Kräfte zu gemeinsamer vater¬
ländischer Thätigkeit zu vereinigen und eben damit die Schärfe solcher Gegen¬
sätze, welche mehr in vergangenen als in gegenwärtigen Verhältnissen ihren
Ursprung hatten, aufzuheben bestimmt war. In der That verhielt sich zu diesen
Unionsbestrebungen keine der alten Parteien feindselig, mit Ausnahme der
Nwßdeutschen. und auch diese schien eine Zeit lang zu schwanken, und die Be¬
rührung, ja eine gewisse gemeinsame Action nicht ohne Weiteres abzulehnen.

Zwar hatten frühzeitig die Verdächtigungen von dieser Seite begonnen.
Die Anklagen, mit denen man die preußische Politik des Jahres 1859 über¬
tust hatte, fanden ihre natürliche Fortsetzung in den Verdächtigungen gegen
nationale Partei, und diese Anfeindung steigerte sich mit den Erfolgen der
Thieren. Allein so lange die großdeutsche Partei einer eigenen Organisation
entbehrte, fehlte es nicht an vermittelnden Bestrebungen. Die Nationalpartei
s^bst war am wenigsten geneigt nach irgend einer Seite, die das Bedürfniß
einer gründlichen Reform anerkannte, ausschließend vorzugehen; sie that in
dieser Beziehung vielleicht eher zu viel als zu wenig. Auch mit den Oesirei-


Aehnliches war an anderen Orten geschehen. In Bayern war zwar die alt¬
liberale particularistische Partei noch immer im Besitz der großen Mehrheit,
aber bereits hatte sich ans ihrem Schoß eine tüchtige Fraction abgezweigt,
deren unterscheidendes Merkmal nicht etwa die demokratische Färbung, sondern
die nationale Gesinnung war. In Hannover hatte sich der stüvcsche Alt¬
liberalismus völlig überlebt. Die Opposition war von jüngeren Kräften in die
Hand genommen worden, welche Stüves Zähigkeit, nicht aber dessen Parti-
cularismus theilten. In Würtemberg hatten sich die Altliberalen mehr und
mehr vom öffentlichen Leben zurückgezogen und der Demokratie das Feld ge¬
lassen, aber in der Demokratie selbst bereitete sich ein Scheidungsproceß vor,
der den größeren Theil derselben den Liberalen im übrigen Deutschland näher
brachte. In Baden waren die Partcigegenscitze der Revolution am gründlichsten
verschwunden- den Klerikalen stand die eine liberale Partei gegenüber; ähnlich
in Kurhessen, wo der Verfassungskampf alle Parteiunterschiede zurückdrängte.
In Mitteldeutschland überhaupt war für die Verschmelzung der liberalen Frac-
tionen Alles reif.

Die Bedingungen für die Bildung einer Nationalpartei waren also ge¬
geben, aber der Erfolg hing doch wesentlich davon ab, wie die alten Parteien ihr
gegenüber sich Verhalten würden; denn an ein völliges Aufgehen der letzteren
war nicht zu denken. Sie hatten ihre eigne. Geschichte, und darin bestand ihr
Recht in gewissem Sinne fortzudauern. Ihr Recht schwand aber in demselben
Maße, in welchem die geschichtlichen Bedingungen, welchen sie ihr Dasein ver¬
dankten, sich veränderten. Sie durften sich nicht ablehnend oder gar feind¬
selig gegen die Herstellung einer liberalen Union Verhalten, welche, jeder libe¬
ralen Richtung ihre Berechtigung lassend, deren Kräfte zu gemeinsamer vater¬
ländischer Thätigkeit zu vereinigen und eben damit die Schärfe solcher Gegen¬
sätze, welche mehr in vergangenen als in gegenwärtigen Verhältnissen ihren
Ursprung hatten, aufzuheben bestimmt war. In der That verhielt sich zu diesen
Unionsbestrebungen keine der alten Parteien feindselig, mit Ausnahme der
Nwßdeutschen. und auch diese schien eine Zeit lang zu schwanken, und die Be¬
rührung, ja eine gewisse gemeinsame Action nicht ohne Weiteres abzulehnen.

Zwar hatten frühzeitig die Verdächtigungen von dieser Seite begonnen.
Die Anklagen, mit denen man die preußische Politik des Jahres 1859 über¬
tust hatte, fanden ihre natürliche Fortsetzung in den Verdächtigungen gegen
nationale Partei, und diese Anfeindung steigerte sich mit den Erfolgen der
Thieren. Allein so lange die großdeutsche Partei einer eigenen Organisation
entbehrte, fehlte es nicht an vermittelnden Bestrebungen. Die Nationalpartei
s^bst war am wenigsten geneigt nach irgend einer Seite, die das Bedürfniß
einer gründlichen Reform anerkannte, ausschließend vorzugehen; sie that in
dieser Beziehung vielleicht eher zu viel als zu wenig. Auch mit den Oesirei-


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[0009] Aehnliches war an anderen Orten geschehen. In Bayern war zwar die alt¬ liberale particularistische Partei noch immer im Besitz der großen Mehrheit, aber bereits hatte sich ans ihrem Schoß eine tüchtige Fraction abgezweigt, deren unterscheidendes Merkmal nicht etwa die demokratische Färbung, sondern die nationale Gesinnung war. In Hannover hatte sich der stüvcsche Alt¬ liberalismus völlig überlebt. Die Opposition war von jüngeren Kräften in die Hand genommen worden, welche Stüves Zähigkeit, nicht aber dessen Parti- cularismus theilten. In Würtemberg hatten sich die Altliberalen mehr und mehr vom öffentlichen Leben zurückgezogen und der Demokratie das Feld ge¬ lassen, aber in der Demokratie selbst bereitete sich ein Scheidungsproceß vor, der den größeren Theil derselben den Liberalen im übrigen Deutschland näher brachte. In Baden waren die Partcigegenscitze der Revolution am gründlichsten verschwunden- den Klerikalen stand die eine liberale Partei gegenüber; ähnlich in Kurhessen, wo der Verfassungskampf alle Parteiunterschiede zurückdrängte. In Mitteldeutschland überhaupt war für die Verschmelzung der liberalen Frac- tionen Alles reif. Die Bedingungen für die Bildung einer Nationalpartei waren also ge¬ geben, aber der Erfolg hing doch wesentlich davon ab, wie die alten Parteien ihr gegenüber sich Verhalten würden; denn an ein völliges Aufgehen der letzteren war nicht zu denken. Sie hatten ihre eigne. Geschichte, und darin bestand ihr Recht in gewissem Sinne fortzudauern. Ihr Recht schwand aber in demselben Maße, in welchem die geschichtlichen Bedingungen, welchen sie ihr Dasein ver¬ dankten, sich veränderten. Sie durften sich nicht ablehnend oder gar feind¬ selig gegen die Herstellung einer liberalen Union Verhalten, welche, jeder libe¬ ralen Richtung ihre Berechtigung lassend, deren Kräfte zu gemeinsamer vater¬ ländischer Thätigkeit zu vereinigen und eben damit die Schärfe solcher Gegen¬ sätze, welche mehr in vergangenen als in gegenwärtigen Verhältnissen ihren Ursprung hatten, aufzuheben bestimmt war. In der That verhielt sich zu diesen Unionsbestrebungen keine der alten Parteien feindselig, mit Ausnahme der Nwßdeutschen. und auch diese schien eine Zeit lang zu schwanken, und die Be¬ rührung, ja eine gewisse gemeinsame Action nicht ohne Weiteres abzulehnen. Zwar hatten frühzeitig die Verdächtigungen von dieser Seite begonnen. Die Anklagen, mit denen man die preußische Politik des Jahres 1859 über¬ tust hatte, fanden ihre natürliche Fortsetzung in den Verdächtigungen gegen nationale Partei, und diese Anfeindung steigerte sich mit den Erfolgen der Thieren. Allein so lange die großdeutsche Partei einer eigenen Organisation entbehrte, fehlte es nicht an vermittelnden Bestrebungen. Die Nationalpartei s^bst war am wenigsten geneigt nach irgend einer Seite, die das Bedürfniß einer gründlichen Reform anerkannte, ausschließend vorzugehen; sie that in dieser Beziehung vielleicht eher zu viel als zu wenig. Auch mit den Oesirei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/9>, abgerufen am 27.09.2024.