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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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meinsam sein. Dieses ältere Stück mag vielleicht dem andächtigen Geiste eines
ächten Dichters entsprungen sein, das schimmert sogar aus mancher Stelle durch,
die späteren Ueberarbeitungen sind durchschnittlich' herzlich mittelmäßig und er¬
hielten ihr Gepräge zum'Theil wahrscheinlich dadurch, daß sie sich nach den
Bedürfnissen der Personen, der Zeit und des Ortes richten mußten. Sei dem
aber, wie ihm wolle, das Drama des Mittelalters hatte zweifellos auf das Volk
einen größeren Einfluß als der Minnegesang, der zunächst auf einen Stand
beschränkt blieb, und behauptet demgemäß neben dem Volksliede und den Volks¬
büchern seinen Rang. Die Forschung brachte Manches von diesen alten Resten
zu Tage, dock sind wir noch ziemlich weit davon, eine vollständige Geschichte des
älteren Dramas in nächster Zeit erwarten zu dürfen. Einen Beitrag zu der¬
selben mag der Bericht über ein Manuscript des Passion, welches 'jüngst zu
Brixen aufgefunden wurde, liefern. Es trägt zwar die Jahreszahl 1SK1 und
auch die Schrift verweist es Hieher; daher ist der Schluß erlaubt, daß es damals,
vielleicht von den Schülern des bischöflichen Seminars, aufgeführt worden, die
Sprache jedoch, wenn auch mit Tirolismen gemischt, deutet auf einen viel älteren
Ursprung. Auch hier liegt jenes Stück zu Grunde, welches wir als Grundlage
der Passionsspiele des späteren Mittelalters vermuthen dürfen. Das Brirn'er
Manuscript wird schwerlich jemals abgedruckt werden, dadurch mag es gerecht¬
fertigt sein, wenn wir hier eine kurze Jnhaltsanzeige und eine Probe geben.
Zuerst kündigt der Präcursor den Inhalt an:


Hort zu alle frommen Christenleut
Was euch hie wird vorbedeut,
Wir wollen euch zu dieser Stund
Durch ein Figur machen kund
Das Abendmal unseres Herrn Jesu Christ,
Auch wie er in sein Leiden gangen ist.

Christus tritt mit seiner Mutter und den zwölf Jüngern aus und kehrt
bei Simon dem Aussätzigen ein, wo ihm Magdalena die Salbe auf die Füße
gießt und deswegen von Judas gescholten wird. Dann sagt jener sein Leben
und Sterben voraus; Maria erhebt sich und macht dem Engel Gabriel Bor¬
würfe, warum ihr Sohn, nachdem er ihr einst in fröhlicher Botschaft angekündet
worden, sie jetzt mit solchem Schmerz erfüllen müsse. Darauf wendet sie sich
sehr naiv an diesen und spricht:


Gedenk Herr und Sun an das,
Was du dargeboten hast:
Vater und Mutter zu ehren
Und ihr Lob stets zu mehren.
Ich crmahn' dich an dein Gebot,
So du leiden willt den Tod,
So lehr dein Sterben in ein andre Weis',
Denn an dem hohen Galgen das Kreuz.

Der Erlöser antwortet, daß er von ihr nur die Menschheit habe, aber von
ewig die Gottheit, darum sei er dem himmlischen Vater verpflichtet, sein Gebot
auszurichten und die Menschheit mit ihm zu versöhnen. Das kann und maa
nicht anders sein! Nun werden wir in das Syncdrium versetzt, Judas erbietet
sich seinen Meister zu verrathen und erhält dafür die bedungene Summe. Auf dem
Rückweg begegnet ihm Maria und frägt ihn. ob es recht sei, daß man beschlossen
habe, ihren Sohn in den Tod zu bringen. Jener läugnet es, nun empfiehlt sie
ihm in rührender Weise den Sohn, er gelobt ihn treulich zu bewahren. Solche
feine Züge begegnen uns öfter unter aller Rohheit. Christus verfügt sich zum
letzten Abendmahle, auf dem Wege tritt ihn, Maria noch einmal entgegen, voll
Traurigkeit fleht sie ihn an:


meinsam sein. Dieses ältere Stück mag vielleicht dem andächtigen Geiste eines
ächten Dichters entsprungen sein, das schimmert sogar aus mancher Stelle durch,
die späteren Ueberarbeitungen sind durchschnittlich' herzlich mittelmäßig und er¬
hielten ihr Gepräge zum'Theil wahrscheinlich dadurch, daß sie sich nach den
Bedürfnissen der Personen, der Zeit und des Ortes richten mußten. Sei dem
aber, wie ihm wolle, das Drama des Mittelalters hatte zweifellos auf das Volk
einen größeren Einfluß als der Minnegesang, der zunächst auf einen Stand
beschränkt blieb, und behauptet demgemäß neben dem Volksliede und den Volks¬
büchern seinen Rang. Die Forschung brachte Manches von diesen alten Resten
zu Tage, dock sind wir noch ziemlich weit davon, eine vollständige Geschichte des
älteren Dramas in nächster Zeit erwarten zu dürfen. Einen Beitrag zu der¬
selben mag der Bericht über ein Manuscript des Passion, welches 'jüngst zu
Brixen aufgefunden wurde, liefern. Es trägt zwar die Jahreszahl 1SK1 und
auch die Schrift verweist es Hieher; daher ist der Schluß erlaubt, daß es damals,
vielleicht von den Schülern des bischöflichen Seminars, aufgeführt worden, die
Sprache jedoch, wenn auch mit Tirolismen gemischt, deutet auf einen viel älteren
Ursprung. Auch hier liegt jenes Stück zu Grunde, welches wir als Grundlage
der Passionsspiele des späteren Mittelalters vermuthen dürfen. Das Brirn'er
Manuscript wird schwerlich jemals abgedruckt werden, dadurch mag es gerecht¬
fertigt sein, wenn wir hier eine kurze Jnhaltsanzeige und eine Probe geben.
Zuerst kündigt der Präcursor den Inhalt an:


Hort zu alle frommen Christenleut
Was euch hie wird vorbedeut,
Wir wollen euch zu dieser Stund
Durch ein Figur machen kund
Das Abendmal unseres Herrn Jesu Christ,
Auch wie er in sein Leiden gangen ist.

Christus tritt mit seiner Mutter und den zwölf Jüngern aus und kehrt
bei Simon dem Aussätzigen ein, wo ihm Magdalena die Salbe auf die Füße
gießt und deswegen von Judas gescholten wird. Dann sagt jener sein Leben
und Sterben voraus; Maria erhebt sich und macht dem Engel Gabriel Bor¬
würfe, warum ihr Sohn, nachdem er ihr einst in fröhlicher Botschaft angekündet
worden, sie jetzt mit solchem Schmerz erfüllen müsse. Darauf wendet sie sich
sehr naiv an diesen und spricht:


Gedenk Herr und Sun an das,
Was du dargeboten hast:
Vater und Mutter zu ehren
Und ihr Lob stets zu mehren.
Ich crmahn' dich an dein Gebot,
So du leiden willt den Tod,
So lehr dein Sterben in ein andre Weis',
Denn an dem hohen Galgen das Kreuz.

Der Erlöser antwortet, daß er von ihr nur die Menschheit habe, aber von
ewig die Gottheit, darum sei er dem himmlischen Vater verpflichtet, sein Gebot
auszurichten und die Menschheit mit ihm zu versöhnen. Das kann und maa
nicht anders sein! Nun werden wir in das Syncdrium versetzt, Judas erbietet
sich seinen Meister zu verrathen und erhält dafür die bedungene Summe. Auf dem
Rückweg begegnet ihm Maria und frägt ihn. ob es recht sei, daß man beschlossen
habe, ihren Sohn in den Tod zu bringen. Jener läugnet es, nun empfiehlt sie
ihm in rührender Weise den Sohn, er gelobt ihn treulich zu bewahren. Solche
feine Züge begegnen uns öfter unter aller Rohheit. Christus verfügt sich zum
letzten Abendmahle, auf dem Wege tritt ihn, Maria noch einmal entgegen, voll
Traurigkeit fleht sie ihn an:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/82>, abgerufen am 25.11.2024.