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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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der Gottheit immer noch als ein gewagtes, ja gotteslästerliches Unternehmen
angesehen wurde, so galt es doch für kein Unrecht, den Erlöser unter der Ge¬
stalt des guten Hirten oder als Orpheus, der die Seele aus der Unterwelt holt,
wiederzugeben, oder seine wunderbare Geburt, seine Leidenszeit, Tod, Auf¬
erstehung und Himmelfahrt durch solche Bilder und Gestalten zu symbolisiren,
die in dem Alten Testament als vorbildlich für das Neue zu finden waren.

Die Maler der Katakomben umwanden das christliche Thema mit heid¬
nischen Verzierungen, Cupido flatterte in Weinblättern um die Gestalt des
guten Hirten, die Chlamys und Tunica umhüllte die Formen der Jungfrau,
das Pallium die der Propheten, "während phrygische Mütze und Kleidung
die Köpfe und Gestalten der Hirten" oder Weisen bedeckte. Stellung, Bewegung
Form und Anordnung waren die der classischen Zeit, eine gesunkene und seelen¬
lose Nachahmung vergangener Größe. Während das AntliH des Heilands
entfernt an die Züge des olympischen Jupiter oder Apollo erinnerte, waren
die Propheten nur zu oft eine Reminiscenz an griechische Philosophen. In
den dunklen und verworrenen Gängen und Gewölben, in denen die ersten
Christen ihre Conventikel hielten, arbeiteten die halbheidnischen Künstler, indem
sie die rauh angeworfener Wände kühn mit lebhaften klaren Wasserfarben be¬
malten, Gestalten mit flüchtigen Linien oberflächlich skizzirten und dem Be¬
schauer überließen, sich Detail und Modellirung hinzuzudenken. Ihre Dar¬
stellungen hatten immer noch etwas Classisches und Kühnes in der Bewegung,
ihre Gruppenbildung glich genau der aus der heidnischen Zeit, aber die Aus¬
führung blieb roh und oberflächlich.

Zwar sträubten sich die Maler noch, die Züge des Gottessohns so dar¬
zustellen, wie er sie in seinem Mannesalter gehabt haben mochte, aber sie heg¬
ten keine Bedenklichkeit mehr, ihn als Kind auf dem Schooß seiner Mutter
abzubilden. Die Jungfrau selbst war den ersten Christen noch weniger be¬
deutend, als den späteren Bekennern des Evangeliums, aber sie wurde im
dritten und vierten Jahrhundert schon hoch in Ehren gehalten. Man sieht sie
gewöhnlich auf einem Thron sitzen, entweder die Geschenke der heiligen drei
Könige empfangend, oder von den Propheten des alten Testaments umgeben,
die ihr Kommen geweissagt haben.

Erst im Anfang des vierten Jahrhunderts schwand die Scheu, welche den
ersten christlichen Malern verboten hatte, die sichtbaren Formen und Züge
des Heilands in seinem Mannesalter darzustellen; es wurde jetzt eher ver¬
dienstlich als gotteslästerlich, ihm Antlitz und Gestalt zu bilden.

Wohl war den ersten Künstlern des vierten Jahrhunderts ein frommer Be¬
trug behilflich, um den Heiland bildlich darzustellen, jener falsche Brief des
Consul Lentulus, in welchem Gestalt und Aussehn Christi beschrieben wurde.
Aber dennoch ist in den zuerst angenommenen Typen die Antike sehr genau nach-


der Gottheit immer noch als ein gewagtes, ja gotteslästerliches Unternehmen
angesehen wurde, so galt es doch für kein Unrecht, den Erlöser unter der Ge¬
stalt des guten Hirten oder als Orpheus, der die Seele aus der Unterwelt holt,
wiederzugeben, oder seine wunderbare Geburt, seine Leidenszeit, Tod, Auf¬
erstehung und Himmelfahrt durch solche Bilder und Gestalten zu symbolisiren,
die in dem Alten Testament als vorbildlich für das Neue zu finden waren.

Die Maler der Katakomben umwanden das christliche Thema mit heid¬
nischen Verzierungen, Cupido flatterte in Weinblättern um die Gestalt des
guten Hirten, die Chlamys und Tunica umhüllte die Formen der Jungfrau,
das Pallium die der Propheten, „während phrygische Mütze und Kleidung
die Köpfe und Gestalten der Hirten" oder Weisen bedeckte. Stellung, Bewegung
Form und Anordnung waren die der classischen Zeit, eine gesunkene und seelen¬
lose Nachahmung vergangener Größe. Während das AntliH des Heilands
entfernt an die Züge des olympischen Jupiter oder Apollo erinnerte, waren
die Propheten nur zu oft eine Reminiscenz an griechische Philosophen. In
den dunklen und verworrenen Gängen und Gewölben, in denen die ersten
Christen ihre Conventikel hielten, arbeiteten die halbheidnischen Künstler, indem
sie die rauh angeworfener Wände kühn mit lebhaften klaren Wasserfarben be¬
malten, Gestalten mit flüchtigen Linien oberflächlich skizzirten und dem Be¬
schauer überließen, sich Detail und Modellirung hinzuzudenken. Ihre Dar¬
stellungen hatten immer noch etwas Classisches und Kühnes in der Bewegung,
ihre Gruppenbildung glich genau der aus der heidnischen Zeit, aber die Aus¬
führung blieb roh und oberflächlich.

Zwar sträubten sich die Maler noch, die Züge des Gottessohns so dar¬
zustellen, wie er sie in seinem Mannesalter gehabt haben mochte, aber sie heg¬
ten keine Bedenklichkeit mehr, ihn als Kind auf dem Schooß seiner Mutter
abzubilden. Die Jungfrau selbst war den ersten Christen noch weniger be¬
deutend, als den späteren Bekennern des Evangeliums, aber sie wurde im
dritten und vierten Jahrhundert schon hoch in Ehren gehalten. Man sieht sie
gewöhnlich auf einem Thron sitzen, entweder die Geschenke der heiligen drei
Könige empfangend, oder von den Propheten des alten Testaments umgeben,
die ihr Kommen geweissagt haben.

Erst im Anfang des vierten Jahrhunderts schwand die Scheu, welche den
ersten christlichen Malern verboten hatte, die sichtbaren Formen und Züge
des Heilands in seinem Mannesalter darzustellen; es wurde jetzt eher ver¬
dienstlich als gotteslästerlich, ihm Antlitz und Gestalt zu bilden.

Wohl war den ersten Künstlern des vierten Jahrhunderts ein frommer Be¬
trug behilflich, um den Heiland bildlich darzustellen, jener falsche Brief des
Consul Lentulus, in welchem Gestalt und Aussehn Christi beschrieben wurde.
Aber dennoch ist in den zuerst angenommenen Typen die Antike sehr genau nach-


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[0061] der Gottheit immer noch als ein gewagtes, ja gotteslästerliches Unternehmen angesehen wurde, so galt es doch für kein Unrecht, den Erlöser unter der Ge¬ stalt des guten Hirten oder als Orpheus, der die Seele aus der Unterwelt holt, wiederzugeben, oder seine wunderbare Geburt, seine Leidenszeit, Tod, Auf¬ erstehung und Himmelfahrt durch solche Bilder und Gestalten zu symbolisiren, die in dem Alten Testament als vorbildlich für das Neue zu finden waren. Die Maler der Katakomben umwanden das christliche Thema mit heid¬ nischen Verzierungen, Cupido flatterte in Weinblättern um die Gestalt des guten Hirten, die Chlamys und Tunica umhüllte die Formen der Jungfrau, das Pallium die der Propheten, „während phrygische Mütze und Kleidung die Köpfe und Gestalten der Hirten" oder Weisen bedeckte. Stellung, Bewegung Form und Anordnung waren die der classischen Zeit, eine gesunkene und seelen¬ lose Nachahmung vergangener Größe. Während das AntliH des Heilands entfernt an die Züge des olympischen Jupiter oder Apollo erinnerte, waren die Propheten nur zu oft eine Reminiscenz an griechische Philosophen. In den dunklen und verworrenen Gängen und Gewölben, in denen die ersten Christen ihre Conventikel hielten, arbeiteten die halbheidnischen Künstler, indem sie die rauh angeworfener Wände kühn mit lebhaften klaren Wasserfarben be¬ malten, Gestalten mit flüchtigen Linien oberflächlich skizzirten und dem Be¬ schauer überließen, sich Detail und Modellirung hinzuzudenken. Ihre Dar¬ stellungen hatten immer noch etwas Classisches und Kühnes in der Bewegung, ihre Gruppenbildung glich genau der aus der heidnischen Zeit, aber die Aus¬ führung blieb roh und oberflächlich. Zwar sträubten sich die Maler noch, die Züge des Gottessohns so dar¬ zustellen, wie er sie in seinem Mannesalter gehabt haben mochte, aber sie heg¬ ten keine Bedenklichkeit mehr, ihn als Kind auf dem Schooß seiner Mutter abzubilden. Die Jungfrau selbst war den ersten Christen noch weniger be¬ deutend, als den späteren Bekennern des Evangeliums, aber sie wurde im dritten und vierten Jahrhundert schon hoch in Ehren gehalten. Man sieht sie gewöhnlich auf einem Thron sitzen, entweder die Geschenke der heiligen drei Könige empfangend, oder von den Propheten des alten Testaments umgeben, die ihr Kommen geweissagt haben. Erst im Anfang des vierten Jahrhunderts schwand die Scheu, welche den ersten christlichen Malern verboten hatte, die sichtbaren Formen und Züge des Heilands in seinem Mannesalter darzustellen; es wurde jetzt eher ver¬ dienstlich als gotteslästerlich, ihm Antlitz und Gestalt zu bilden. Wohl war den ersten Künstlern des vierten Jahrhunderts ein frommer Be¬ trug behilflich, um den Heiland bildlich darzustellen, jener falsche Brief des Consul Lentulus, in welchem Gestalt und Aussehn Christi beschrieben wurde. Aber dennoch ist in den zuerst angenommenen Typen die Antike sehr genau nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/61>, abgerufen am 27.07.2024.